Bestimmungen werden modernisiert, Pflichtteil für Eltern abgeschafft
Wien (pk) – Das österreichische Erbrecht wird modernisiert. Der Nationalrat stimmte heute mit breiter
Mehrheit einem von Justizminister Wolfgang Brandstetter erarbeiteten Gesetzentwurf zu. Mit der Änderung des
Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) und zahlreicher weiterer Gesetze werden nicht nur veraltete Formulierungen
sprachlich adaptiert und überholte Bestimmungen abgeschafft, sondern in einigen Punkten auch inhaltliche Neuregelungen
getroffen. Gegen das Gesetz stimmten lediglich die FPÖ und das Team Stronach, ihrer Meinung nach sind etliche
Punkte zu unpräzise geregelt. Auch Grüne und NEOS sind nicht ganz zufrieden.
Im Konkreten sieht der Gesetzentwurf unter anderem vor, die Enterbung naher Angehöriger unter gewissen Umständen
zu vereinfachen, pflegende Angehörige stärker bei der Verteilung des Erbes zu berücksichtigen und
Eltern vom Pflichterbe auszunehmen. Nur noch die Nachkommen und der Ehegatte oder eingetragene Partner werden pflichtteilsberechtigt
sein. Zudem ist es Erben von Familienbetrieben künftig möglich, ihre Miterben in Raten auszuzahlen. Damit
soll der Fortbestand von Klein- und Mittelbetrieben sichergestellt werden.
Testamente zugunsten früherer Ehegatten oder Lebensgefährten werden nach einer Scheidung automatisch
als aufgehoben gewertet. Gibt es kein Testament und keine Verwandten, hat ein Lebensgefährte künftig
Vorrang vor dem Staat. Beibehalten wird die Bestimmung, dass ein nicht selbst geschriebenes Testament dreier Zeugen
bedarf, das fremdhändige Testament soll aber durch verschiedene Maßnahmen fälschungssicherer gestaltet
werden.
Im Rahmen der Debatte hoben die Abgeordneten Peter Haubner (V), Beatrix Karl (V), Ruth Becher (S) und Harald Troch
(S) die Notwendigkeit hervor, die 200 Jahre alten Bestimmungen zu modernisieren und gesellschaftlichen Veränderungen
Rechnung zu tragen. Das Erbrecht sei in die Jahre gekommen, es sei höchste Zeit für eine Reform, meinten
sie unisono, wobei Becher unter anderem die verstärkte Testierfreiheit begrüßte.
Gewisse Bedenken hat Becher, was die künftige Berücksichtigung pflegender Angehöriger bei der Aufteilung
des Erbes betrifft. Sie fürchtet, dass dadurch die traditionelle Rollenverteilung, also die überwiegende
Erbringung von Pflegeleistungen durch Frauen, weiter einzementiert wird. Überdies sieht sie wie Grün-Abgeordneter
Albert Steinhauser die Gefahr von Familienstreitigkeiten. Abgeordnete Karl zeigte sich hingegen ausdrücklich
über die ihrer Meinung nach notwendige faire Abgeltung von Pflegeleistungen erfreut. Zur Feststellung von
Abgeordnetem Steinhauser, die öffentliche Hand dürfe die künftige Bevorzugung von pflegenden Angehörigen
im Erbrecht nicht zum Anlass nehmen, Pflege an die Familie zu delegieren, merkte Karl an, es sei nicht die Intention
des Erbrechts, den Staat aus der Verantwortung für ein funktionierendes Pflegesystem zu nehmen. Das bekräftigte
auch Abgeordneter Troch.
ÖVP-Abgeordneter Haubner hob vor allem die nunmehr mögliche Pflichtteilstundung hervor. In den nächsten
Jahren stünden 58.000 Betriebe zur Übernahme an, zwei Drittel davon innerhalb der Familie, skizzierte
er. Familienmitglieder, die den elterlichen Betrieb übernehmen, müssten durch die Stundung nicht große
Beträge auf einmal aufbringen, um ihre Miterben auszuzahlen.
Von Seiten der FPÖ gab es Kritik an zahlreichen Detailpunkten des Gesetzes. Man habe zu ungenau gearbeitet
und hätte sich länger Zeit nehmen sollen, hielten die Abgeordneten Harald Stefan und Philipp Schrangl
fest. Durch die unnötige Eile seien etliche "Fehler" passiert. Konkret kritisierte Stefan die inkonsistente
Verwendung von Begriffen, auch im Vergleich zur EU-Erbrechtsverordnung, die hohen Zinsen bei der Pflichtteilstundung
und die künftige Berücksichtigung von Lebensgefährten im Erbrecht. Die Definition des Lebensgefährten
sei schwierig, es sei fraglich, wann eine Lebensgemeinschaft beginne und wann sie ende, meinte er. Auch beim Pflegevermächtnis,
seiner Ansicht nach grundsätzlich ein richtiger Ansatz, erwartet er Probleme, etwa bei der Bewertung von Pflegeleistungen.
Positiv ist für Schrangl die vorgesehene Senkung der Gerichtsgebühren und die moderate Anhebung der Wertgrenzen
bei kleinen Erbschaften.
Die hohen Zinsen bei der Pflichtteilstundung sind auch den Abgeordneten Kathrin Nachbaur (T) und Nikolaus Scherak
(N) ein Dorn im Auge, wiewohl Nachbaur die Stundungsmöglichkeit insgesamt ausdrücklich begrüßte.
Sie sprach sich dafür aus, den vorgesehenen Verzugszinssatz von 4% durch einen variablen Indikator zu ersetzen,
konnte sich mit einem entsprechenden Entschließungsantrag aber nicht durchsetzen.
Wäre es nach Scherak gegangen, hätte man dem Erblasser überdies noch mehr Autonomie eingeräumt
und die Anrechnung von Schenkungen auf das Erbe anders geregelt. Eine längere Diskussion wäre durchaus
sinnvoll gewesen, schloss er sich der Kritik der FPÖ an.
Grün-Abgeordneter Steinhauser bedauerte insbesondere, dass Lebensgefährten im Erbrecht nach wie vor sehr
schlecht gestellt sind, auch wenn einige Schritte zur Verbesserung der Situation gesetzt würden. Erbberechtigt
seien sie faktisch nur, wenn der Verstorbene praktisch keine Familie hat, kritisierte er. Steinhauser zufolge hätte
man Lebensgefährten zumindest bei gemeinsam genutzten Gegenständen wie Autos, Computer oder Haushaltsgeräten
besser berücksichtigen sollen.
Brandstetter: Mit dem neuen Erbrecht hat man "goldene Mitte" gefunden
Justizminister Wolfgang Brandstetter zeigte sich überzeugt, dass das Justizressort mit dem Entwurf "die
Goldene Mitte" getroffen hat. Es sei höchste Zeit für eine Modernisierung des Erbrechts, sagte er.
Der Entwurf sei ausführlich mit ExpertInnen diskutiert worden. Laut Brandstetter werden mehr als 300 Paragraphen
geändert.
Brandstetter zufolge wird das Gesetz dazu beitragen, dass Familienunternehmen im Todesfall nicht zerschlagen werden
müssen. Das Gericht habe bei der Pflichtteilstundung einen Ausgleich zwischen den Interessen des Erben und
seiner Miterben zu suchen, erklärte er. Dass die Berücksichtigung von Pflegeleistungen im Erbrecht auf
Verwandte eingeschränkt ist, begründete er damit, dass Nicht-Verwandte für Pflegeleistungen in der
Regel eine Gegenleistung erhalten. Der Minister fürchtet auch nicht, dass es dadurch zu vermehrten familiären
Streitigkeiten kommen wird. In Richtung FPÖ hielt er fest, man könne Haarspalterei betreiben und dann
die Haare in der Suppe suchen.
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