Umfangreiche Modernisierung des StGB, Zustimmung von SPÖ, ÖVP und NEOS
Wien (pk) – Die Strafrechtsreform ist beschlossene Sache. Der Nationalrat verabschiedete am 07.07. ein Strafrechtsänderungsgesetz,
das das Strafgesetzbuch (StGB) nach mehr als 40 Jahren grundlegend modernisiert und neben einer Neugewichtung der
Strafandrohungen auch Nachschärfungen und Präzisierungen in zahlreichen Bereichen – vom Sexualstrafrecht
bis zu den Wirtschaftsdelikten – bringt. Die Regierungsparteien, aber auch die NEOS begrüßten die Novelle
als guten Kompromiss und sahen darin vor allem auch eine Reaktion auf die geänderte gesellschaftspolitische
Realität. Die FPÖ vermisste Verschärfungen in aus ihrer Sicht wesentlichen Teilbereichen, so etwa
ein Tätigkeitsverbot in Erziehungsberufen für einschlägig verurteilte Sexualtäter oder strengere
Strafen bei Gewaltattacken gegen Exekutivbeamte. Die Grünen wiederum konnten keine klare kriminalpolitische
Linie erkennen, kritisierten etwa die Änderungen beim Landfriedensbruch als zu wenig weitgehend und sprachen
beim Untreuetatbestand von Anlassgesetzgebung. Das Team Stronach schließlich warf der Reform Wirtschaftsfeindlichkeit
im Zusammenhang mit den Bilanz- und Untreuedelikten vor.
Als miterledigt mit der Strafrechtsreform gelten ein Antrag der Regierungsparteien betreffend Neuformulierung des
Untreuetatbestands, ein Team Stronach-Vorstoß auf Erhöhung des Strafrahmens bei Tierquälerei sowie
eine Petition mit dem Titel "Vergewaltigung verurteilen – Ein Nein muss genügen", die Bürgerinitiative
betreffend "Herausnahme von Cannabis aus dem Suchtmittelgesetz" und eine Bürgerinitiative zum Thema
"Mehr Rechte für Tiere".
Nicht durchsetzen konnten sich die Oppositionsparteien mit weiteren Anträgen zu Teilbereichen des Strafrechts.
Die Forderung der FPÖ nach einem absoluten Tätigkeitsverbot in Erziehungsberufen für wegen sexueller
Übergriffe auf Minderjährige Verurteilte blieb ebenso in der Minderheit wie eine gemeinsame Initiative
von Grünen und NEOS auf Streichung des Tatbestands der Gutheißung von mit Strafe bedrohten Handlungen
und der Grünen-Antrag auf Entfall des Tatbestands Landfriedensbruch.
Mehr Strenge für Gewaltdelikte, neue Wertgrenzen bei Vermögensdelikten
Das Strafrechtsänderungsgesetz verfolgt die Grundtendenz, Körperverletzungsdelikte strenger und Vermögensdelikte
im Zuge neuer Wertgrenzen milder zu bestrafen. Nachgeschärft wird zudem auch im Sexualstrafrecht, dies etwa
durch Klarstellungen hinsichtlich der Strafbarkeit der sexuellen Belästigung sowie durch Einführung eines
Tatbestands der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung. Im Suchtmittelbereich geht es der Novelle vor allem
um eine stärkere Betonung des Grundsatzes "Therapie statt Strafe". Neu ist das "Cybermobbing",
während es bei Landfriedensbruch und Verhetzung zu Präzisierungen kommt. Bei Wirtschaftsdelikten wie
Untreue und Bilanzfälschungen schließlich strebt das Gesetz exaktere Formulierungen im Sinne von mehr
Rechtssicherheit an.
SPÖ-Lob für Nachschärfungen im Sexualstrafrecht
Durch die Reform werde das Strafrecht auf den heutigen Stand gebracht, stellte SPÖ-Justizsprecher Johannes
Jarolim fest, der vor allem die bessere Gewichtung der Strafandrohungen zwischen Gewaltdelikten und Vermögensdelikten
als wesentlichen Fortschritt hervorhob. Das Bewusstsein, man könne "erwischt" werden, sei aber abschreckender
als jegliche Erhöhung der Strafe, gab er zu bedenken und bemerkte, gerade aus diesem Grund sei es wichtig,
Exekutive und Staatsanwaltschaft zu stärken. Als gut geregelt wertete Jarolim auch die Präzisierung beim
Untreuetatbestand. Hier sei es sinnvoll, durch Klarstellungen Rechtssicherheit für die Wirtschaft zu schaffen,
betonte er übereinstimmend mit seinem Fraktionskollegen Peter Wittmann.
Bei den Nachschärfungen im Sexualstrafrecht habe man eine Lösung im Sinne der sexuellen Selbstbestimmung
der Frauen gefunden, freuten sich die SPÖ-Abgeordneten Gisela Wurm und Katharina Kucharowits und unterstrichen,
nunmehr werde klargestellt, dass sexuelle Belästigung kein Kavaliersdelikt ist. Elisabeth Grossmann (S) wiederum
begrüßte den Tatbestand des Cybermobbings und die Neufassung bei Verhetzung, meinte aber, wichtig sei
nun vor allem eine breite Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit. Für ihren Fraktionskollegen Harald
Troch ist die Strafbarkeit von Cybermobbing eine notwendige Reaktion auf die gesellschaftliche Realität, gehe
es doch darum, Kinder und Jugendliche vor Angriffen im Internet zu schützen.
ÖVP: Österreich erhält Strafrecht auf Höhe der Zeit
Mit dieser ausgewogenen Reform erhält Österreich ein modernes Strafrecht auf der Höhe der Zeit,
befand auch ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker und sprach von einem Facelifting des StGB. Wesentlich
aus ihrer Sicht ist dabei neben den Neuerungen im Sexualstrafrecht auch die Schärfung des immer wieder als
zu unpräzise kritisierten Tatbestands der Untreue, von der sie sich nun ebenso wie Beatrix Karl (V) mehr Rechtssicherheit
für die Unternehmen erwartet. Was der Machtgeber erlaubt, das soll nun grundsätzlich nicht strafbar sein,
sei nun unzweifelhaft klargestellt.
Als im Sinne der Wirtschaft gelegen begrüßte ÖVP-Abgeordneter Werner Groiß die Zusammenlegung
der Vielzahl von Regelungen hinsichtlich Bilanzfälschung. Bestraft werden nun nur unvertretbare Darstellungen,
die geeignet sind, erheblichen Schaden zu verursachen, stellte er klar. Die neue Definition des Untreuetatbestands
wiederum werde es seiner Einschätzung nach Managern einfacher machen, Unternehmensentscheidungen zu treffen.
Für die NEOS ist das Glas halb voll
Das Glas sei halb voll, die NEOS unterstützen daher die Reform, kündigte Justizsprecherin Beate Meinl-Reisinger
an. Die Richtung stimme, wenngleich man einige Tatbestände durchaus hätte entrümpeln können,
so etwa jene Delikte, die die Meinungsfreiheit betreffen. 40 Jahre nach Christian Brodas Strafrechtsreform wäre
überdies auch Gelegenheit gewesen, grundsätzlich über den Sinn von Strafen zu diskutieren. Die Wertgrenzenregelung
hielt Meinl-Reisinger für überschießend, wobei sie einen gänzlichen Entfall zur Diskussion
stellte und in einem bei der Abstimmung allerdings abgelehnten Entschließungsantrag eine diesbezügliche
Prüfung anregte. Zur Neuregelung des Untreuetatbestandes bemerkte sie, ihre Fraktion könne damit leben.
Nikolaus Scherak (N) kam auf die Entrümpelung des StGB zurück und forderte die Streichung des Tatbestands
der Gutheißung mit Strafe bedrohter Handlungen. Er sah dabei vor allem die Meinungsfreiheit angesprochen
und meinte, Meinungsäußerungen seien nicht nur dann legitim, wenn sie uns gefallen, sondern auch dann,
wenn sie beleidigen oder schockieren.
FPÖ vermisst Tätigkeitsverbot in Erziehungsberufen für einschlägig vorbestrafte Sexualtäter
Die FPÖ sei bei der Reform "nicht mit dabei", zumal einige Punkte falsch geregelt seien, begründete
Harald Stefan die Ablehnung durch seine Fraktion. Er begrüßte zwar grundsätzlich die nunmehr bessere
Balance zwischen den Strafen für Vermögensdelikte und Gewaltdelikte, kritisierte aber die Anhebung der
Wertgrenzen als zu weitgehend. Diversion wäre demnach auch noch bis zu einem Schaden von 300.000 € möglich,
das widerspreche jeglicher Verhältnismäßigkeit, führte er ins Treffen. Bei der Regelung der
Gewerbsmäßigkeit sollte nach Meinung des FPÖ-Justizsprechers wieder auf die Lukrierung fortlaufender
Einnahmen abgestellt werden, die Änderungen im Suchtmittelgesetz – Stefan sprach von Aufweichungen – schließlich
seien ein gesellschaftspolitisch falscher Ansatz.
Sein Fraktionskollege Gernot Darmann forderte in eindringlichen Worten ein absolutes Tätigkeitsverbot in Erziehungsberufen
für wegen sexueller Übergriffe gegen Kinder und Jugendliche einschlägig verurteilte Personen, konnte
sich aber mit einem entsprechenden Entschließungsantrag, der in namentlicher Abstimmung 72 Ja- und 96 Nein-Stimmen
erhielt, nicht durchsetzen. FPÖ-Mandatar Philipp Schrangl wiederum vermisste strengere Strafen bei Gewalt
gegen ExekutivbeamtInnen sowie gegen RichterInnen, StaatsanwältInnen und ZeugInnen, blieb aber mit diesem
Vorstoß bei der Abstimmung ebenfalls in der Minderheit. Problematisch sah Schrangl auch die Nachschärfung
im Sexualstrafrecht, wobei er meinte, bei Po-Grapschen wäre es überzogen, mit der scharfen Keule des
Strafrechts zuzuschlagen.
Grüne: Trotz Neugewichtung der Strafen passt Verhältnismäßigkeit nicht
Namens der Grünen konnte Albert Steinhauser in der Reform keine klaren kriminalpolitischen Zielsetzungen erkennen.
Die Verhältnismäßigkeit bei den Strafrahmen passe noch immer nicht, geringfügige Taten würden
oft zu streng bestraft, beanstandete er und übte in diesem Zusammenhang vor allem auch Kritik an der Regelung
der Gewerbsmäßigkeit. Als "komplett danebengegangen" qualifizierte er die Neufassung des Verhetzungstatbestands
und gab zu bedenken, durch das Abstellen auf die absichtliche Tatbegehung werde dieser Tatbestand ungewollt verschärft.
Beim Untreuetatbestand wiederum hätte man seiner Einschätzung nach besser bei der bestehenden Regelung
bleiben sollen. Im Hinblick auf die Causa Meinl sei die Novelle jedenfalls Anlassgesetzgebung par excellence. Die
Regelung des Landfriedensbruchs wiederum birgt nach Ansicht des Grünen-Justizsprechers die Gefahr einer ausufernden
Kriminalisierung. Was das Sexualstrafrecht betrifft, beurteilte Steinhauser die Einführung des Tatbestands
der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung als positiv. Er unterstützte zudem auch die für die Ahndung
der sexuellen Belästigung gefundene Variante, stellte allerdings mit Bedauern fest, dieses Thema sei in der
öffentlichen Diskussion "verblödelt" worden.
Team Stronach kritisiert Neufassung des Untreuetatbestands als wirtschaftsfeindlich
Als wesentlich für die Ablehnung durch das Team Stronach wertete Kathrin Nachbaur die Neuregelung des Untreuetatbestands,
die ihren Befürchtungen zufolge weiterhin breiten Spielraum für wirtschaftsfeindliche Interpretationen
zulässt. Es fehle vor allem die Voraussetzung der absoluten Schadensabsicht für die Strafbarkeit, zumal
es nicht angehe, dass bei wirtschaftlichen Fehlentscheidungen gleich das Strafrecht zum Einsatz kommt, argumentierte
sie. Ihre Fraktionskollegin Ulrike Weigerstorfer reagierte erfreut auf die Erhöhung der Strafdrohung bei Tierquälerei,
deren Wichtigkeit sie vor allem im Lichte jüngster aktueller Fälle unterstrich. Martina Schenk (T) ortete
Handlungsbedarf bei der Bekämpfung von Mobbing und drängte in einem letztlich abgelehnten Entschließungsantrag
auf eine Zusammenfassung der in verschiedenen Rechtsbereichen enthaltenen Schutznormen zu einem einheitlichen Anti-Mobbing-Gesetz.
Team Stronach-Abgeordnete Waltraud Dietrich brachte ihrerseits die Schlepperkriminalität zur Sprache und forderte
eine deutliche Erhöhung des diesbezüglichen Strafrahmens und eine Regelung im Strafrecht. Auch ihr Entschließungsantrag
fand bei der Abstimmung keine Mehrheit.
Brandstetter: Reform im Zeichen von Konsens und Akzeptanz
Die Veränderung der Relation der Strafandrohungen zwischen Gewaltdelikten und Vermögensdelikten schaffe
eine Neuakzentuierung, die über die bloße Modernisierung hinausgeht, zeigte sich Justizminister Wolfgang
Brandstetter überzeugt. Im Rahmen der Begutachtung und des parlamentarischen Prozesses sei man in vielen Bereichen
auf die Anregung von ExpertInnen eingegangen, um größtmöglichen Konsens zu erreichen. Der Ressortleiter
begrüßte insbesondere den erhöhten Schutz der sexuellen Selbstbestimmung als Fortschritt und qualifizierte
die Erweiterung der Strafdrohung bei sexueller Belästigung als vorsichtige und sinnvolle Lösung. Nicht
jede unerwünschte Berührung soll bereits die Staatsanwaltschaft auf den Plan rufen, vielmehr gehe es
darum, entwürdigenden sexuellen Übergriffen mit dem Strafrecht Grenzen zu setzen, betonte er. Was das
von der FPÖ geforderte Tätigkeitsverbot in Erziehungsberufen für einschlägig vorbestrafte Sexualtäter
betrifft, stellte Brandstetter klar, es bestehe bereits die gesetzliche Möglichkeit, ein unbefristetes Tätigkeitsverbot
unter richterlicher Kontrolle auszusprechen.
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