Innsbruck (universität) - Doppelstrangbrüche der DNA bewirken schwere Schäden in der Erbinformation:
Sie können dazu führen, dass Tumorgewebe entsteht. Forscher der Universität Innsbruck bestätigten
nun in Experimenten erstmals ein Modell, das erklärt, wie es zu solchen Veränderungen kommt. Die Physiker
berichten darüber in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Angewandte Chemie International Edition".
Eine erhöhte Strahlenbelastung kann bei einem Menschen einen Krebstumor wahrscheinlicher machen – andererseits
wird gezielte Bestrahlung in der Medizin auch zur Behandlung von Tumoren verwendet. Dabei werden Körperzellen
nicht direkt durch die energetische Strahlung geschädigt, sondern durch dabei freigesetzte Radikale, also
Atome oder Moleküle mit mindestens einem ungepaarten Elektron. Ein solches Radikal ist zum Beispiel das Hydroxyl
(OH•), das aus je einem Atom Wasserstoff (H) und Sauerstoff (O) besteht. Wie für Radikale typisch, ist das
Hydroxyl besonders reaktionsfreudig und kann chemische Veränderungen im Zellmaterial auslösen. Doppelstrangbrüche
der DNA zählen dabei zu den problematischsten Schäden, da sie Geninformationen bei mangelnder Reparatur
nachhaltig ändern.
Wasser in der Zelle entscheidend
Erst im Jahr 2000 wurde gezeigt, dass auch niederenergetische Elektronen, die in großer Menge auch durch
energetische Strahlung in Zellen freigesetzt werden, über Anlagerung an den Molekülen der DNA eine oder
beide ihrer Stränge brechen können. Seitdem suchen Forscher nach den möglichen molekularen Vorgängen,
die das verursachen. Bei Einzelstrangbrüchen ist der Ablauf mittlerweile mehr oder weniger geklärt. So
ist es möglich, dass ein Elektron sich im Bereich des DNA-Rückgrats anlagert und dabei die chemische
Bindung eines einzelnen Strangs so sehr schwächt, bis er bricht. Wie aber Elektronenanlagerung auch einen
Doppelstrang brechen könnte, ist bislang ungeklärt. Es wird vermutet, dass dabei das Wasser entscheidend
ist, das sich in der Zelle befindet: Ein Elektron lagert sich an den Wasser-DNA-Komplex an und regt den Komplex
elektronisch an, bevor es wieder freigesetzt wird. Der neutrale Komplex ist durch die Anregung instabil und zerfällt.
Dabei wird ein OH-Radikal ausgesendet. Das nun freigewordene Elektron und das OH-Radikal können damit einen
Doppelstrangbruch verursachen.
Die Arbeitsgruppe um Stephan Denifl am Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik erzeugte nun im Labor
sehr kleine Anhäufungen (sogenannte Cluster) von bis zu 25 Stück einer für die DNA typischen Sorte
Biomoleküle und untersuchte, wie sich Elektronen daran anlagern. Damit lassen sich einzelne Reaktionsschritte
gezielter aufzeigen, als es bei Experimenten mit Riesenmolekülen wie der DNA möglich wäre. Über
ihre Beobachtungen berichten die Forscher in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Angewandte Chemie International
Edition. „Dabei wählten wir das Pyrimidin-Molekül, da es einen Grundbestandteil der DNA darstellt. Wir
konnten aus wenigen einzelnen Molekülen kleine Cluster erzeugen und haben diese mit niederenergetischen Elektronen
beschossen“, erklärt Michael Neustetter, der Erstautor dieser Studie. Dabei zeigte sich bei reinen Pyrimidin-Clustern,
dass die im Cluster gebildeten Ionen trotz des zusätzlichen Elektrons stabil sind und deshalb auch mittels
Massenspektrometrie messbar sind, da sich die zugeführte Energie im Pyrimidin-Cluster verteilt. Dies wurde
selbst dann beobachtet, wenn das eingefangene Elektron genügend Energie hatte, um den Komplex auch elektronisch
anzuregen. Letzteres Ergebnis ändert sich aber drastisch, wenn Pyrimidin im Cluster von Wassermolekülen
umgeben ist: Es werden nun keine negativen Ionen mehr beobachtet, was bedeutet, dass das Elektron sich nur kurzeitig
anlagert und den angeregten Komplex wieder verlässt. „Diese Resultate entsprechen genau den ersten bisher
experimentell fehlenden Reaktionsschritten im vermuteten Modell von elektronen-induzierten DNA-Doppelstrangbrüchen“,
erklärt Stephan Denifl. Die theoretisch vermutete Reaktion auf dem Weg zur DNA-Schädigung konnte damit
nun auch experimentell gezeigt werden.
Die Erforschung von elektronen-induzierten Reaktionen in Biomolekülen ist ein zentrales Forschungsthema der
Arbeitsgruppe um Stephan Denifl am Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik. Die Arbeiten werden unter
anderem durch den österreichischen Wissenschaftsfond FWF und die deutsche Forschungsgemeinschaft DFG gefördert.
Publikation:
The effect of solvation in electron attachment to pure and hydrated pyrimidine
clusters.
Michael Neustetter, Julia Aysina, Filipe Ferreira da Silva and Stephan Denifl, Angewandte Chemie International
Edition, Juni 2015. DOI: 10.1002/anie.201503733
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