Von Vorstellungen über Geschlechterrollen lösen
Ausgeglichene Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen steigert Lebenszufriedenheit
und Wirtschaftswachstum
Berlin/Wien (oecd) - Die Lebenszufriedenheit und das wirtschaftliche Wachstum könnten in Österreich
erheblich gesteigert werden, wenn sich das Land von tradierten Vorstellungen über Geschlechterrollen lösen
würde. Zu diesem Ergebnis kommt der jüngste „Wirtschaftsbericht: Österreich“ der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Der Bericht erscheint im Abstand von zwei Jahren und erläutert,
wo das Land ökonomisch steht und wie es ihm gelingen kann, seine wirtschaftlichen Grundlagen zu festigen oder
gar auszubauen.
Österreich war über viele Jahre ein Vorreiter in puncto Geschlechtergerechtigkeit. In jüngerer Zeit
aber kommt das etablierte Geschlechtermodell immer stärker unter Druck. Bereits in der 2013er Ausgabe des
„Wirtschaftsberichts Österreich“ war deutlich geworden, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und
damit Wohlbefinden und Lebensqualität in Österreich unter der angestammten Rollenverteilung zwischen
Männern und Frauen leidet.
Unterstützt von Politik und öffentlichen Strukturen hat sich ein Modell entwickelt, das Frauen nach der
Geburt ihres ersten Kindes häufig zwei Jahre vom Wiedereinstieg in den Beruf fernhält und danach in der
Mehrzahl der Fälle eine Teilzeittätigkeit begünstigt. Gleichzeitig absolvieren Männer in Österreich
mehr Überstunden als Männer in vergleichbaren Ländern – Zeit, die ihnen im Zusammensein mit ihrer
Familie fehlt. Diese Situation ist für beide Seiten unbefriedigend: Frauen mit Kindern tragen die Hauptlast
im Haushalt und in späteren Lebensabschnitten häufig auch die Verantwortung für die Pflege älterer
Angehöriger. Sind sie dennoch erwerbstätig, so wirkt sich diese Doppelbelastung in der Regel negativ
auf ihre Karriere und damit auch auf ihr Gehalt und auf ihre Rente aus. In Österreich liegt der durchschnittliche
Stundenlohn von Frauen 23 Prozent unter dem von Männern - das ist eine der größten Verdienstlücken
im gesamten OECD-Raum.
Männer wiederum stehen unter dem Druck, Haupt- oder auch Alleinernährer der Familie zu sein und nicht
genug Zeit mit ihren Kindern verbringen zu können. In anderen Fällen bleiben Partnerschaften kinderlos,
weil die Frau das Gefühl hatte, zwischen ihrem Beruf und einer Familie entscheiden zu müssen: Jüngsten
demografischen Projektionen zufolge werden 20 Prozent der heute erwachsenen Frauen in Österreich keine Kinder
gebären – bei nur etwa zehn Prozent der Frauen entspricht diese Entscheidung den eigenen Präferenzen.
Eine Reihe von politischen Maßnahmen könnten dazu beitragen, das Verhältnis zwischen den Geschlechtern
zu modernisieren: Das Steuer- und Transfersystem benachteiligt Familien, in denen beide Partner arbeiten. So setzt
etwa der sogenannte Alleinverdienerabsetzbetrag ein Zeichen gegen die Berufstätigkeit von Müttern. Er
sollte durch gezielte Transferleistungen für bedürftige Familien ersetzt werden. Auch der hohe Eingangssteuersatz,
der ab einem Jahresgehalt von 13.000 Euro gilt, macht es für Paare unattraktiv, dass beide Partner Vollzeit
arbeiten – und das selbst nach der 2016 greifenden Steuerreform. Zudem könnte eine flexiblere Regelung der
Elternzeit, die mindestens ein Drittel der Ansprüche allein für den Vater reserviert, Paare ermutigen,
den Erziehungsurlaub über mehrere Jahre verteilt zu nehmen, so dass beide Elternteile die Verbindung zum Arbeitsmarkt
aufrechterhalten.
Auch eine verbesserte Versorgungsinfrastruktur würde es Familien ermöglichen, bezahlte Arbeit gerechter
zwischen Männern und Frauen zu verteilen. Betreuungsstätten für Kinder bis zu zwei Jahren existieren
nicht in ausreichender Zahl, Kindergärten für 3- bis 5-Jährige öffnen häufig nur halbtags.
Größere Investitionen in qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung würden nicht nur die
Beschäftigungschancen von Frauen vergrößern, sondern auch die Entwicklung von Kindern, speziell
aus sozial benachteiligten Familien, fördern.
Mindestens ebenso wichtig wäre es, den Arbeitsalltag für Eltern flexibler zu gestalten. Hier ist vor
allem der private Sektor gefragt, der bisher weder Ansprüche auf bezahlten Vaterschaftsurlaub noch auf variable
Arbeitszeiten kennt. Auch die steuerliche Förderung von Überstunden ist im Zusammenhang mit familienfreundlichen
Arbeitszeiten eher kontraproduktiv. Ziel sollte es sein, ein Arbeitsklima zu schaffen, in dem sich flexible Arbeits-
und Elternzeitregelungen weder für Männer noch für Frauen negativ auf die Karriere auswirken. Einige
skandinavische Länder können hier als Beispiel dienen.
Gelingt es Österreich, die Geschlechterrollen zu modernisieren, so hätte das mittel- bis langfristig
erhebliche positive Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum: Nach Berechnungen der OECD würden eine effizientere
Nutzung von Talenten und Arbeitskräften sowie eine zu erwartende Erhöhung der Geburtenrate das Bruttoinlandsprodukt
bis 2060 um 13 Prozent steigern. Vor dem Hintergrund einer rapide alternden Gesellschaft wäre dieser Wachstumsschub
willkommen, um die sozialen Institutionen (Rentensystem, Pflege etc.) zu unterstützen, die durch den demografischen
Wandel vor große Herausforderungen gestellt werden.
Unabhängig davon sind nach Aussage des Berichts weitere Maßnahmen notwendig, um die wirtschaftliche
Entwicklung in Österreich anzukurbeln, die seit 2012 ins Stocken geraten ist. So hat das Land in den vergangenen
Jahren in vielen Dienstleistungsbereichen an Produktivität eingebüßt – damit einher gehen gesunkene
Exporte und Anteile in einigen von Österreichs wichtigsten Märkten. Auch die traditionell niedrige Arbeitslosigkeit
und die Inflation sind seit 2012 schneller gewachsen als in vergleichbaren Ländern.
Um hier entgegenzusteuern, sollte Österreich laut Bericht Steuern und Sozialabgaben für Geringverdiener
über die für 2016 geplanten Reformen hinaus senken. Finanziert werden könnte dieser Schritt durch
eine Verbreiterung der Steuerbasis, das heißt durch höhere Steuern auf Konsum, umweltschädliches
Verhalten und eine angepasste Besteuerung von Wohneigentum. Auch sollte die Steuerautonomie von Landes- und Bezirksregierungen
erhöht werden. Wichtig wäre es darüber hinaus, das tatsächliche Renteneintrittsalter für
Männer und Frauen zu erhöhen und das Bildungssystem so zu gestalten, dass schwache soziale Gruppen besser
einbezogen und gefördert werden.
Eine weitere Grundlage für stabiles Wachstum sieht der Bericht in der fortgesetzten Stärkung und Überwachung
des Bankensektors: So müsse die EU-Richtlinie für die Sanierung und Abwicklung von Banken voll umgesetzt
werden, nach der bei einer Insolvenz Anteilseigner und Gläubiger der Banken ihren Anteil an den Kosten tragen
(Bail-in). Österreichische Banken haben in den vergangenen Jahren stark ins Ausland expandiert, und hier vor
allem in eher risikobehaftete Länder Zentral- und Südosteuropas. Verglichen mit den Kreditausfallrisiken
ist das Eigenkapital der Banken jedoch noch immer geringer als das vergleichbarer europäischer Institute.
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Heinisch-Hosek: Maßnahmen gemeinsam umsetzen
Economic Review Austria zum Themenschwerpunkt Geschlechtergerechtigkeit präsentiert
Wien (bmbf) - Bildungs- und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek begrüßt den ersten OECD-Länderbericht
für Österreich unter dem Schwerpunktthema "Gendergerechtigkeit", der am 14.07. präsentiert
wurde. "Der Bericht zeigt deutlich auf: Gleichstellung ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern
rechnet sich auch!", so die Ministerin in Bezug auf die positiven volkswirtschaftlichen Auswirkungen von Geschlechtergerechtigkeit,
die im Bericht angeführt werden. "Durch das Schließen der Lohnschere und die Erhöhung der
Frauenbeschäftigung können wir das Potential unserer Bevölkerung bestmöglich nutzen und tragen
des Weiteren zum Wirtschaftswachstum bei", so Heinisch-Hosek.
Relevante Empfehlungen, die der österreichische Länderbericht vorsieht, versprechen ein BIP-Wachstum
von 13% bis zum Jahr 2060. "Der Bericht stärkt uns in unseren frauenpolitischen Vorhaben - so werden
Vereinbarkeit, stärkere Väterbeteiligung und die Reform der Familiengeldleistungen als wichtige Handlungsfelder
genannt. An diesen Hebeln gilt es weiterhin aktiv zu arbeiten, um konkrete Verbesserungen für Frauen zu erreichen,
aber auch um ökonomische Stabilität zu garantieren. Gerade ein Papamonat, wie er im öffentlichen
Dienst bereits erfolgreich umgesetzt ist, wäre auch für die Privatwirtschaft ein notwendiger Schritt",
so die Ministerin. Vor dem Hintergrund der auseinander klaffenden Lohnschere unterstreicht die Ministerin die Dringlichkeit.
"In Österreich gibt es bereits viele Maßnahmen in Richtung Geschlechtergerechtigkeit, aber es bleibt
viel zu tun. Immer mehr berufstätige Frauen entscheiden sich gegen Kinder, da viele Frauen in dem Moment im
Arbeitsleben zurückfallen, wenn das erste Kind geboren wird. Gerade deshalb ist es wichtig, die Empfehlungen
der OECD zu Vereinbarkeit und verstärkter Väterbeteiligung sowie treffsicherer Geldleistungen gemeinsam
umzusetzen", so Heinisch-Hosek abschließend.
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Karmasin: OECD bestätigt, dass wir mit unseren Maßnahmen am richtigen
Weg sind!
Ausbau der Kinderbetreuung für unter 3jährige, Kinderbetreuungsgeld-Konto und
Plattform für familienfreundliche Arbeitgeber bereits in Umsetzung
Wien (bmfj) - "Der OECD-Länderbericht bestätigt, dass wir mit unseren familienpolitischen
Maßnahmen am richtigen Weg sind. So investieren wir bereits seit dem letzten Jahr mehr als 300 Millionen
Euro in die Schaffung von qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungsplätzen, mit dem Hauptaugenmerk auf die
unter 3jährigen. Auch der Empfehlung der OECD nach einem "Kinderbetreuungsgeldkonto" sind wir bereits
gefolgt und ich hoffe bereits in den kommenden Wochen einen Gesetzesentwurf dazu präsentieren zu können",
reagiert Familienministerin Sophie Karmasin positiv auf den OECD-Länderbericht.
In der 2014 geschlossenen 15a-Bund-Länder-Vereinbarung zum Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen seien zudem
erstmals zusätzliche Fördermittel für gemeindeübergreifende Projekte vorgesehen, was der OECD-Empfehlung
nach mehr gemeindeübergreifender Zusammenarbeit entspreche. Beim von Ministerin Karmasin geplanten Kinderbetreuungsgeldkonto
sei auch ein "Partnerschaftsbonus" geplant, durch den der Väteranteil deutlich gesteigert werden
soll.
Zur Empfehlung der OECD, der Privatsektor sollte mehr familienfreundliche Arbeitsplätze anbieten und Männern
und Frauen mehr Optionen für flexible Arbeitszeiten zur Verfügung stellen, verweist das BMFJ auf die
kürzlich gestartete Initiative "Unternehmen für Familien". Unternehmen tauschen sich dort über
"best-practice-Projekte" im Bereiche der Familienfreundlichkeit aus und bekennen sich dazu ein familienfreundlicher
Arbeitgeber sein zu wollen.
"Arbeitsgeber sollen familienfreundlicher werden und nicht die Familien sich nach den Bedürfnissen der
Wirtschaft richten müssen. Familienfreundliche Arbeitszeiten und ausreichend zur Verfügung stehende Betreuungsplätze
sind wichtige Schlüssel damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf funktionieren kann", so Karmasin
abschließend.
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