Allianz Chefvolkswirt Heise: Aufhellung in Eurozone: Wachstum 2015 bei 1,5 Prozent erwartet
Griechenland: Neues Reformpaket unumgänglich Sparer als Opfer der EZB-Niedrigzinspolitik
Wien (allianz) - Während wirtschaftliche Prognosen für Europa auf eine positive Entwicklung der
kommenden Monate hindeuten, steht Griechenland an einem Scheideweg: "Auch wenn die Staatsschuldenkrise Europa
verändert: Griechenland wird den Euro nicht aus der Bahn werfen", erklärte Prof. Dr. Michael Heise,
Chefvolkswirt der Allianz SE, am 22.07. vor Journalisten bei einem Pressegespräch in Wien. Um die künftigen
Herausforderungen zu meistern, sei vor allem eine wesentlich größere politische Integration in der Eurozone
erforderlich - diese werde jedoch in einem eher mäßigen Tempo vollzogen werden, nicht zuletzt deshalb,
weil die Anti-Eurokräfte im politischen Spektrum vieler Länder an Bedeutung gewonnen haben, so Heise.
Aber die aktuelle Situation könne auch eine Chance für eine Stärkung der stabilitätsorientierten
Politik in Europa sein. Die Krise habe gezeigt, dass ein Bail-out nur unter sehr strikten Bedingungen möglich
ist. Die hiervon ausgehende Disziplinierungswirkung sei nicht zu unterschätzen. Heise: "Eine klare Positionierung
in Krisen ist unbedingt erforderlich. Das Resultat der Verhandlungen wird Europa nicht spalten. Im Gegenteil, eine
bedingungslose Schuldenübernahme wäre für viele Länder in Europa nicht akzeptabel gewesen."
Konjunkturausblick in Europa: Positivere Signale deuten auf Aufwärtstrend hin
Volkswirtschaftlichen Prognosen zufolge ist eine Aufhellung in Sicht: Nach einem Wirtschaftswachstum innerhalb
der Eurozone von 0,9 Prozent im vergangenen Jahr erwarten die Allianz Experten für 2015 einen moderaten Anstieg
des EWU-BIP, und zwar auf 1,5 Prozent. Dafür sprechen unter anderem erhöhte Wettbewerbsfähigkeit
und gesunkene Risikoprämien in den Peripherieländern, zudem gewinnt das EWU-Wirtschaftswachstum geografisch
an Ausgewogenheit. Hinzu kommt, dass der niedrige Ölpreis und die Euro-Abwertung positiv belebend wirken,
ebenso der private Konsum. "Die wirtschaftliche Erholung gewinnt an Breite", erklärte Heise. Das
Hauptrisiko für die wirtschaftliche Entwicklung ist derzeit ein Grexit. Daneben bestehen noch schwer kalkulierbare
geopolitische Unsicherheiten wie die Ukraine. Weiters müssen auch die Risiken eines möglichen "hard
landings" in China, eines schneller als erwarteten Ausstiegs der Notenbanken aus der ultralockeren Geldpolitik
und eines plötzlichen Anstiegs des Ölpreises im Auge behalten werden.
Grexit-Szenario: Drachme wäre keine Hilfe für Griechenland, neues Reformpaket notwendig
Im Jahr 2014 war Griechenland vorübergehend erfolgreich an den Kapitalmarkt zurückgekehrt, die Arbeitslosigkeit
ging zumindest langsam zurück, und die Wirtschaft wuchs nach sechs Jahren Rezession zum ersten Mal. Ein Austritt
aus der Währungsunion wäre mit erheblichen Risiken verbunden: Neben konjunkturellen Bremseffekten und
vorübergehenden Rückschlägen an den Finanzmärkten würden vor allem Steuerzahler in den
Geberländern belastet, da Griechenland die Hilfskredite in Höhe von 240 Milliarden Euro wohl nicht vollständig
zurückzahlen könnte. "Für Griechenland wäre eine Rückkehr zur Drachme nicht die erhoffte
Befreiung, sondern ein wirtschaftliches Desaster", erklärte Heise. Eine Staatsinsolvenz und ein Ausscheiden
aus dem Euro würden der Bevölkerung Griechenlands abermals enorme Opfer abverlangen. Es wären Wertverluste
an den Anlagemärkten zu erwarten, und die neue Währung würde rasch an Wert verlieren. Dadurch würde
die Kaufkraft der Griechen stark sinken, ihr Sparvermögen würde entwertet. Die Verteuerung der Importe
würde zu hohen Inflationsraten führen, und Investoren würden Griechenland wohl auf Jahre hinaus
kaum einen Zugang zum Kapitalmarkt gewähren. Erst nach einiger Zeit würde sich die griechische Wirtschaft
wieder aufrappeln und dank einer schwachen Währung mehr exportieren.
Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone kann vermieden werden, Voraussetzung dafür ist allerdings ein
politischer Einigungswille -insbesondere auf Seiten Griechenlands. "Der langfristige Erfolg Griechenlands
hängt letztlich nicht von der Währung, sondern von der Reform und Modernisierung des Wirtschaftssystems
ab", so Heise. Eine nachhaltige Vereinbarung zwischen den Kreditgebern und der jetzigen griechischen Regierung
dürfte sich in jedem Fall schwierig gestalten - auf Seiten der Kreditgeber ist die Skepsis groß, dass
die griechische Regierung ein Reformprogramm umsetzen wird.
Sparer zahlen die Zeche der Niedrigzinspolitik
Abseits der Entwicklungen in Griechenland hat die Verschärfung der Niedrigzinspolitik der EZB im heurigen
Jahr zu einer stärkeren Verschiebung der Kapitalströme in risikobehaftete Assets geführt. Die Niedrigzinspolitik
führt auch zu einer Belastung der Sparer - ebenso ist hierzulande die Entwicklung des individuellen Vermögens
und des Wohlstands durch niedrige Verzinsung, eine niedrige Sparquote und Fehlallokation der finanziellen Werte
langfristig mehrfach beeinträchtigt, wie auch Zahlen der OeNB zeigen: Die Sparquote hat sich in den vergangenen
zwanzig Jahren von 14,6 Prozent im Jahr 1995 auf 7,5 Prozent im Jahr 2014 fast halbiert. Vom gesamten Geldvermögen
von 572,4 Milliarden Euro hatten österreichische Haushalte im Jahr 2014 41,7 Prozent des Geldvermögens
auf täglich behebbaren oder gebundenen Sparbüchern oder "unter dem Kopfpolster" gehalten. "Etwa
jeder zweite gesparte Euro wird nicht rentabel investiert. Wer sein Geld nur auf Sparbüchern oder unter dem
Kopfpolster parkt, verliert Geld - und betreibt ‚Armsparen‘ für Fortgeschrittene", erklärt Martin
Bruckner, Chief Investment Officer der Allianz Gruppe in Österreich.
Ausblick: Stabilitätsunion auf holprigem Weg
"Europa muss durch eine schwierige Zeit hindurch kommen, ein Auseinanderbrechen der Eurozone ist allerdings
nicht zu erwarten", erklärte Heise. Ansteckungsgefährdete Länder stehen heute deutlich stärker
da als noch 2012: Die vergangenen drei Jahre wurden genutzt, um gefährliche Ungleichgewichte abzubauen und
wichtige Strukturreformen umzusetzen. Zudem sind die europäischen Krisenmechanismen gestärkt und institutionelle
Reformen vorgenommen worden, etwa durch die Einführung des Euro-Rettungsschirms ESM und die europäische
Bankenunion mit einer gemeinsamen Bankenaufsicht. "Die EZB würde im Übrigen alles tun, um die Ansteckungsgefahr
für andere Peripherieländer zu begrenzen", so Heise. Es ist kaum zu erwarten, dass andere Länder
einem ähnlichen politischen Kurs folgen wie Griechenland. Die Belastungen für die Menschen sind schon
jetzt hoch, und würden durch einen Ausstieg aus der Eurozone noch zunehmen.
Grundsätzlich besteht die Notwendigkeit, eine wesentlich größere politische Integration durchzusetzen,
wie Heise ausführt: "Es muss eine Institution geben, welche die Einhaltung der vielen neu geschaffenen
Regeln sicherstellen kann. Bei Staaten hängt vieles von der Wirtschaftspolitik und dem zukünftigen Wachstum,
sowie der Belastbarkeit der Steuerzahler ab. Es darf kein einfaches Verfahren geben, bei dem ein Anreiz für
Staaten besteht, sich zu überschulden und sich dann via Schuldenschnitt zu erleichtern", so Heise abschließend.
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