Traiskirchen Symptom systematischer Mängel im Umgang mit Asylwerbern
Wien (amnesty international) - Die Research-Mission von Amnesty International stellte ernsthafte Verletzung
von bindenden Standards in der Bundesbetreuungsstelle Traiskirchen fest. Heinz Patzelt, Generalsekretär von
AI Österreich beschreibt die Situation als „Strukturelles Versagen“. Völlig überbelegt, unzureichende
medizinische und soziale Versorgung, leicht vermeidbare administrative Hürden, Verzögerung beim Weitertransport
in andere Einrichtungen und eine besonders prekäre Situation für Kinder und Jugendliche, die ohne elterliche
Begleitung nach Österreich gekommen sind.
Das sind die wesentlichsten Ergebnisse, die vom Research-Team von Amnesty International während seiner Inspektion
am Donnerstag, den 6. August 2015 festgestellt wurden. Am Freitag, den 14.8. präsentierte die Menschenrechtsorganisation
ihre Feststellungen der Öffentlichkeit.
„Selbst verschuldetes Systemversagen“
"Traiskirchen ist das zentrale Symptom für ein weitreichendes strukturelles Versagen des föderalen
Österreich im Umgang mit Asylwerbern", soHeinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International
Österreich
In der Bundesbetreuungsstelle Traiskirchen selbst werden aber auch einige grundlegende Standards in der Unterbringung
von Asylwerbern verletzt: „Österreich ist weder in einer finanziellen Misere noch in einer ressourcenknappen
Situation: Das Versagen in der Flüchtlingsversorgung wäre leicht vermeidbar, die Ursachen sind vor allem
administrative Fehler. Ein System, das die Menschenrechte von Asylwerbern schützt und respektiert, ließe
sich ohne wesentlichen Kostenaufwand verwirklichen“ ist er überzeugt: „Es ist völlig unnötig und
beschämend, beispielsweise einen zwölfjährigen Bub getrennt von seinem Vater unterzubringen – mit
dem Ergebnis, dass beide lieber im Freien schlafen, als getrennt zu sein.“
Daniela Pichler, die Leiterin des AI-Research-Teams, berichtet von fehlenden Unterkünften und elendslangen
Warteschlangen: "Als wir vor Ort waren, mussten rund 1500 Menschen in Traiskirchen im Freien schlafen, dazu
kommen noch jene, die außerhalb des Geländes übernachten. Ein unhaltbarer Zustand."
Vielfach müssten sich die Asylwerber, darunter auch Schwangere und Frauen mit Babys, stundenlang bei sengender
Hitze um ihre Identitätskarten anstellen, berichtet die Amnesty-Expertin, „ein einfaches Wartenummernsystem
wäre schon eine deutliche Verbesserung“. Besonders prekär sei auch die Situation der Kinder und Jugendlichen,
die allein nach Österreich geflüchtet seien. Pichler: „Es gibt für sie keine adäquate Betreuung.
Viele von ihnen sind noch immer obdachlos.“
Unzureichende medizinische Hilfe, verschmutzte Sanitäranlagen
Von einer mangelnden medizinischen Versorgung der Flüchtlinge in Traiskirchen spricht Siroos Mirzaei,
der als medizinischer Experte von Amnesty International ebenfalls dem Research-Team angehörte: „Die Menschen
müssen oft lange, manchmal sogar tagelang warten, bis sie behandelt werden. Dadurch können ersthafte
medizinische Probleme entstehen“, betont der Arzt.
Den vier anwesenden Ärztinnen und Ärzten bleiben nur wenige Stunden pro Tag für die Behandlung von
kranken Flüchtlingen. Den Großteil ihrer Zeit sind sie mit Kontrolluntersuchungen bei der Registrierung
der Menschen beschäftigt.
Die Duschen und Toilettenanlagen der Betreuungsstelle fand das Research-Team in einem fürchterlichen hygienischen
Zustand vor: „Teilweise schwammen noch Exkremente herum“, berichtet Mirzaei.
Schluss mit der Obdachlosigkeit
Amnesty International hat nun eine Reihe an Forderungen ausgearbeitet, die die Lage der Flüchtlinge schnellstmöglich
verbessern sollen: Neben der vordringlichen rechtlichen Neugestaltung des Zuweisungs- und Unterbringungssystems
zur sofortigen Beseitigung der Obdachlosigkeit in der Betreuungsstelle Traiskirchen fordert Amnesty International
etwa eine ausreichende, menschenrechtskonforme medizinische Versorgung. Besonders schutzbedürftige Gruppen,
darunter Überlebende von Folter, gesundheitlich schwer beeinträchtigte Personen, Schwangere, ältere
Menschen sowie unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge sollen verstärkt in den Blickpunkt rücken.
Für Kinder und Jugendliche, die allein nach Österreich geflüchtet sind, verlangt Amnesty International
umgehend eine altersadäquate Betreuung und einen gesetzlicher Vormund, der ihre Interessen wahrt.
Flüchtlings-Management muss Menschenrechte schützen und nicht Chaos verursachen
Patzelt: „Österreich verletzt derzeit Menschenrechtsstandards in der Unterbringung und Verwaltung von Asylwerbern.
Bund und Länder müssen wirksame Schritte setzen, um die vorwiegend durch administrative Mängel verursachte
Obdachlosigkeit sofort zu beenden. Vor allem müssen sie sich darauf konzentrieren, die Menschenrechte von
Asylwerbern, insbesondere von unbegleiteten Kindern und Minderjährigen zu schützen, zu respektieren und
zu erfüllen.“
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Stellungnahme des Innenministeriums
Wien (bmi) - Amnesty International besuchte am 06.08. die Erstaufnahmestelle Traiskirchen. Am 14. August
2015 wurde der "Besuchsbericht" veröffentlicht. Die Feststellungen in dem Bericht kommen nicht überraschend.
Die Situation ist prekär, es handelt sich um eine Ausnahmesituation - wie das Innenministerium bereits vor
Wochen klargestellt hat.
Die Zahl der Asylsuchenden ist in den letzten Monaten sprunghaft angestiegen - hin zu einer Verdreifachung gegenüber
dem Vorjahr. Im aktuellen Versorgungsmodell ist die Verantwortung zwischen Bund und Ländern aufgeteilt, es
gibt Länderquoten, und Gemeindekompetenzen, mit denen die Aufnahme von Asylsuchenden verhindert werden kann.
Mit diesem Versorgungsmodell konnte auf eine Steigerung in diesem Ausmaß nicht entsprechend reagiert werden.
Der Bund konnte über einige Zeit noch als "Puffer" diesen Mehrbedarf abdecken, während Bundesländer
ihre Quoten nicht erfüllten. Diese "Puffer-Wirkung" ist seit mehreren Wochen ausgereizt. Daraus
hat sich die Situation entwickelt, wie sie sich derzeit darstellt.
"Mehr Solidarität in Österreich und Europa"
Für nachhaltige Lösungen sind dem Bund derzeit noch die Hände gebunden, weil er rechtsstaatlich
über keine Instrumente verfügt, um umfassend für eine entsprechend Betreuung zu sorgen. Eine neue
Verfassungsbestimmung soll dies ändern. "Was wir jetzt nicht brauchen, sind Polarisierungen und ein Wettbewerb
in der Beschreibung von Missständen", sagt Innenministerin Mag.a Johanna Mikl-Leitner. "Schließlich
ist ohnehin für jedermann deutlich ist, dass diese Situation nicht tragbar ist. Wir brauchen Lösungen
für diese Menschen." Schrittweise seien seit dem Besuch von Amnesty International Verbesserungen vorgenommen
worden. Für einige Hunderte Asylsuchende konnten weitere Notquartiere durch das Innenministerium eröffnet
werden.
"Eine nachhaltige Lösung ist aber nur auf einer gesamtstaatlichen und einer europäischen Ebene möglich",
sagt Mikl-Leitner. "Die Solidarität, die wir uns von Europa erwarten, müssen wir aber auch innerhalb
von Österreich leisten können. Wir brauchen Akut-Maßnahmen mit Unterstützung des österreichischen
Bundesheeres sowie von NGOs und wir brauchen die größtmögliche Unterstützung der Länder
und Gemeinden." Die Gespräche zwischen Vertretern von Amnesty International und Bediensteten des Innenressorts
waren konstruktiv und werden fortgesetzt. "Das Innenministerium wird seinerseits den möglichsten Beitrag
zur Lösung dieser Problematik leisten", betont Innenministerin Mikl-Leitner.
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