Villigen/Schweiz (idw) - Forschende decken neue Details darüber auf, wie die Zellen von Lebewesen Reize
verarbeiten. Im Mittelpunkt stehen sogenannte G-Proteine, die helfen, Reize, die von aussen bei einer Zelle ankommen,
ins Zellinnere weiterzuleiten. Die Studie zeigt erstmals, welcher Teil der G-Proteine für deren Funktion entscheidend
ist . Von den Ergebnissen berichten Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI, der ETH Zürich, des Pharmaunternehmens
Roche und des britischen MRC Laboratory of Molecular Biology in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins Nature
Structural and Molecular Biology.
Wenn wir einen Gegenstand sehen, passiert im Grunde Folgendes: Das vom Gegenstand ausgehende Licht trifft unser
Auge, woraufhin Nervenzellen ein Signal ins Gehirn weiterleiten, das vom Gehirn als ein Bild des Gegenstandes interpretiert
wird. Den Anstoss für die Signalübertragung gibt das Protein Rhodopsin, das ein sogenannter G-Protein-gekoppelter
Rezeptor ist. Dieses Protein in den Zellen der Netzhaut wird aktiviert, sobald Licht das Auge erreicht. Rhodopsin
fungiert wie ein Schalter, der, einmal umgelegt, das Signal an sogenannte G-Proteine im Innern der Zelle überträgt.
Diese verstärken das Signal und geben es in der Zelle weiter. Auf ähnliche Weise funktionieren viele
Paare von G-Protein-gekoppeltem Rezeptor (auf Englisch G-protein coupled receptor, kurz GPCR) und G-Protein. So
wird etwa der Adrenalinrezeptor in den Muskelzellen aktiviert, wenn der Körper in einer Stresssituation das
Hormon Adrenalin ausschüttet. Das dazugehörige G-Protein leitet hier das Signal weiter, das mit der Anspannung
der Muskeln endet. Nun legt ein Team unter der Leitung von Forschenden des Paul Scherrer Instituts PSI und der
ETH Zürich mit Beteiligung des britischen MRC Laboratory of Molecular Biology und des Pharmaunternehmens Roche
neue Details darüber vor, wie die Aktivierung dieser Proteine vonstattengeht. Die Erkenntnisse sind übertragbar
auf andere Vorgänge wie das Riechen, das Schmecken und viele weitere, bei denen ähnliche Proteine an
der Signalübertragung beteiligt sind. Sie könnten zudem dazu dienen, eine Fülle neuer, besserer
Medikamente zu entwickeln.
Nobelpreiswürdige Forschung
Dank jahrzehntelanger Forschung hat die Fachwelt bisher zwar viel über das Zusammenspiel von G-Proteinen und
den dazugehörigen GPCR gelernt. So wurden Nobelpreise in den Jahren 1994 und 2012 für die Entdeckung
dieser Rezeptoren bzw. für die Aufklärung ihres Kopplungsmechanismus mit den G-Proteinen verliehen. Wie
das G-Protein im Detail aktiviert wird, war bisher aber nicht bekannt. Die neue Studie schliesst diese Lücke.
Sie zeigt, wie sich die Form von G-Proteinen während ihrer Aktivierung verändert und welche Protein-Bausteine
hinter diesen Veränderungen stecken.
Nur wenige Bausteine geben den Ton an
Wie jedes Protein, sind G-Proteine aus Bausteinen zusammengesetzt, die die Fachleute als Aminosäuren bezeichnen.
Diese Aminosäuren sind in einem Protein gemäss einem genauen Bauplan in einer bestimmten Reihenfolge
miteinander verknüpft. Beim jetzt untersuchten G-Protein sind es genau 354 Aminosäuren. Um herauszufinden,
wie dieses G-Protein aktiviert wird, haben die Autoren der Studie jede einzelne dieser 354 Aminosäuren nach
einander gegen eine andere Aminosäure ausgetauscht. Dann haben sie gemessen, wie sich der Austausch auf die
Stärke der Aktivierung auswirkt.
„Die Analyse der Messungen zeigt, dass nur eine kleine Gruppe von rund 20 Aminosäuren massgeblich an der
Aktivierung des G-Proteins beteiligt ist“, erklärt Dawei Sun, der die Experimente als Teil seiner Dissertation
am PSI durchführte. Tatsächlich hat nur der Austausch dieser Aminosäuren einen entscheidenden Einfluss
auf die Aktivierung des G-Proteins ausgeübt, während der Austausch der restlichen Aminosäuren für
die Aktivierung des Proteins praktisch folgenlos blieb. Den Einfluss der massgeblichen Aminosäuren konnten
die Forschenden an Veränderungen in der Form eines Abschnitts des G-Proteins feststellen, der im deaktivierten
Zustand einer ausgerollten Luftschlange (Helix-Struktur) ähnelt. „Beim Austausch der entscheidenden Aminosäuren
fehlten an dieser Struktur die üblichen Windungen“, erläutert Dmitry Veprintsev, der Forschungsleiter
der Studie im Labor für Biomolekulare Forschung am PSI. „Wir konnten damit beweisen, dass während der
Aktivierung des G-Proteins die Luftschlangenstruktur zumindest vorübergehend verschwindet“, fügt Veprintsev
hinzu.
Nützlich für fast jedes dritte Medikament
Die Bedeutung der Arbeit beschränkt sich nicht auf ein einzelnes Protein. Der neu entdeckte Mechanismus
ist vielmehr universell. Das heisst, er ist nicht nur bei dem einen, in dieser Studie untersuchten G-Protein, sondern
bei allen G-Proteinen am Werk. Das belegen umfangreiche Computerberechnungen eines Teams um Madan Babu vom MRC
Laboratory of Molecular Biology, die kürzlich in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurden. Veprintsev
betont, dass mit der vorliegenden Arbeit die massgeblichen Aminosäuren identifiziert wurden, die dem Aktivierungsmechanismus
eines G-Proteins zugrunde liegen. Gebhard Schertler, Leiter des Forschungsbereichs Biologie und Chemie am PSI legt
dar, dass dieses Wissen die Entwicklung von Medikamenten, die durch die Aktivierung eines GPCR-Rezeptors und des
dazugehörigen G-Proteins wirken, einen entscheidenden Schritt vorantreibt. Der potenzielle Nutzen ist nicht
zu unterschätzen: Schon heute entfalten rund 30 Prozent aller erhältlichen Medikamente ihre Wirkung auf
diese Weise. Zudem könnten die Folgen über die G-Proteine hinausreichen. „Unsere Methode kann in Zukunft
auch bei anderen wichtigen Proteinen angewandt werden, um deren Wirkmechanismus zu verstehen“, versichert Veprintsev.
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie
der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie
und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales
Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende.
Insgesamt beschäftigt das PSI 1900 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz
ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 350 Mio.
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