PhysikerInnen bauen stabile Beugungsstruktur in atomar dünnem Graphen
Wien (universität) - Die Quantenphysik besagt, dass sich auch massive Objekte wie Wellen verhalten
und scheinbar an vielen Orten zugleich sein können. Dieses Phänomen kann nachgewiesen werden, indem man
diese Materiewellen an einem Gitter beugt. Eine europäische Kollaboration hat nun erstmals die Delokalisation
von massiven Molekülen an einem Gitter nachgewiesen, das nur noch eine einzige Atomlage dick ist. Dieses Experiment
lotete die technischen Grenzen der Materiewellentechnologie aus und knüpft dabei an ein Gedankenexperiment
von Bohr und Einstein an. Die Ergebnisse werden aktuell im Journal "Nature Nanotechnology" veröffentlicht.
Die quantenmechanische Wellennatur der Materie ist die Grundlage für viele moderne Technologien, wie z. B.
die höchstauflösende Elektronenmikroskopie, die Strukturuntersuchung von Festkörperphysik mit Neutronen
oder in hochempfindlichen atomaren Trägheitssensoren. In der Forschungsgruppe um Markus Arndt, Professor für
Quantenphysik an der Universität Wien, wird die Frage erforscht, wie man die Grundlagen solcher Quantentechnologien
auf große Moleküle oder Cluster übertragen und nutzen kann.
Um die quantenmechanische Wellennatur eines solchen Objekts zu demonstrieren, muss es zunächst delokalisiert
werden. Dafür wird Heisenbergs Unschärferelation genutzt: Werden die Moleküle von einer punktförmigen
Quelle auf die Reise geschickt, "vergessen" sie nach einiger Zeit, wo sie sich befinden. Stellt man ihnen
jetzt ein Gitter in den Weg, so wissen sie nicht, durch welchen Spalt sie fliegen. Es ist, als ob sie durch mehrere
Spalte gleichzeitig gehen würden. Dadurch entsteht eine charakteristische Verteilung der Teilchen hinter dem
Gitter, ein Beugungs- oder Interferenzmuster, das man nur aufgrund der quantenmechanischen Wellennatur verstehen
kann.
Am nanotechnologischen Limit
In einem europäischen Konsortium mit Partnern um Ori Cheshnovsky von der Tel Aviv University, wo die Nanomasken
geschrieben wurden, sowie mit Unterstützung von Gruppen in Jena (Biphenyl-Nanomembranen, Prof. Turchanin)
und Wien (höchstauflösende Elektronenmikroskopie, Prof. Meyer) zeigen sie erstmals, dass solche Strukturen
auch in die dünnsten möglichen Membranen geschrieben werden können. Mittels fokussierter Ionenstrahlen
wurden nanomechanische Gitter in ultradünne Membranen aus Siliziumnitrid, Biphenylmolekülen und Kohlenstoff
geschrieben und diese in höchstauflösender Elektronenmikroskopie analysiert. Dabei gelang es schließlich,
stabile und hinreichend großflächige Strukturen selbst in atomar dünnem, einlagigem Graphen herzustellen.
Schon in früheren Experimenten waren solche Gitter nur etwa ein Hundertstel eines Haardurchmessers dick. Aber
selbst solche hauchdünnen Strukturen sind noch zu dick, wenn die daran gebeugten Moleküle aus Dutzenden
von Atomen bestehen. Kräfte, die auch zum Beispiel dafür verantwortlich sind, dass Geckos an der Wand
laufen können, schränken die Anwendbarkeit von materiellen Gittern ein. So ziehen die Wände des
Gitters auch die fliegenden Moleküle aus dem Strahl, so dass sie für den Versuch verloren gehen. "Es
war eine große Herausforderung, die Dicke dieser Gitter – und damit die angesprochenen Kräfte – bis
auf das fundamental mögliche Minimum zu reduzieren, und dennoch eine stabile Beugungsstruktur zu bauen",
erläutert Markus Arndt.
"Das sind die dünnsten Beugungsstrukturen für die Materiewellenoptik, die je geschaffen wurden.
Trotzdem sind sie so robust, dass sie ihren Zweck sehr gut erfüllen", freut sich auch Christian Brand,
Erstautor der Studie, und ergänzt: "Bei einer Dicke von nur einem millionstel Millimeter beeinflusst
das Gitter die hindurchfliegenden Moleküle nur noch für wenige billionstel Sekunden.“
Ein Gedankenexperiment von Bohr und Einstein
Jedes Nanogitter ähnelt einer winzigen Harfe. Damit stellt sich die Frage, ob die Moleküle, die mal
nach rechts und mal nach links gebeugt werden, diese Harfe in Schwingung versetzen können. Wäre dies
der Fall, so würde die je angestoßene Saite den Weg des Moleküls verraten, und die charakteristische
Quanteninterferenz würde verschwinden. Dieses Modell realisiert ein Gedankenexperiment zwischen Niels Bohr
und Albert Einstein, die vor vielen Jahrzehnten darüber debattierten, ob es möglich sei, den Weg eines
Quantums durch einen Doppelspalt zu kennen und dennoch seine Wellennatur (das Interferenzbild) zu sehen.
"Und wieder ist es Werner Heisenbergs Unschärfe, welche die Situation klärt: Obwohl die Moleküle
bei der Beugung am Gitter abgelenkt werden und es ein wenig in Bewegung versetzen, ist dieser Rückstoß
immer noch kleiner als die natürliche, quantenmechanische Bewegungsunschärfe des Gitters und somit prinzipiell
nicht messbar. Das gilt sogar für Strukturen, die nur ein Atom dick sind", so Arndt abschließend.
Publikation in "Nature Nanotechnology":
"An atomically thin matter-wave beamsplitter"; C. Brand, M.
Sclafani, C. Knobloch, Y. Lilach, T. Juffmann, J. Kotakoski, C. Mangler, A. Winter, A. Turchanin, J. Meyer, O.
Cheshnovsky, M. Arndt; Nature Nanotechnology (2015),
DOI: 10.1038/nnano.2015.179
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