Nachbarschaftsdialog 2030

 

erstellt am
21. 08. 15
14.30 MEZ

Prag/Wien/Linz (lk) - Anläßlich eines Treffens der Außenminister von Österreich und Tschechien mit den Landes- und Kreishauptleuten von Niederösterreich, Oberösterreich, Südböhmen, Südmähren und Vysocina wurde am 21.08. in Linz eine gemeinsame Erklärung über die Zusammarbeit der benachbarten Länder und Regionen unterzeichnet.

Österreich und Tschechien starke Partner im Herzen Europas
Nach 1989 hat die Nachbarschaft von Österreich und Tschechien, ganz besonders zwischen den angrenzenden Bundesländern und Kreisen, eine neue Qualität erreicht und auch zu konkreten Ergebnissen geführt. Die bilaterale Zusammenarbeit auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene wird dadurch immer enger und vielfältiger. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, trafen sich am 11. November 2014 in Mikulov / Nikolsburg die Außenminister beider Staaten erstmals gemeinsam mit den Landes- und Kreishauptleuten aus den grenzanliegenden österreichischen Ländern und tschechischen Kreisen. Das heutige Treffen in Linz dient der weiteren Intensivierung dieser Zusammenarbeit und ist ein deutliches Zeichen für unsere starke Partnerschaft im Herzen Europas.

Wir, die Teilnehmer an diesem Treffen, sind uns in folgenden Punkten einig:

Am heutigen 21. August, Gedenktag der Okkupation der Tschechoslowakei durch Truppen des Warschauer Paktes im Jahre 1968, erinnern wir uns auch in Anerkennung dessen, wie Österreich die Grenze geöffnet und dadurch zehntausenden Tschechen und Slowaken ermöglicht hat, in Österreich ein neues Zuhause in Freiheit zu finden. Der Wegfall des Eisernen Vorhangs und der Beitritt zur Europäischen Union eröffneten unseren beiden Ländern neue politische, wirtschaftliche und kulturelle Möglichkeiten. Der gemeinsame Schengen-Raum ist ein Raum der Freiheit, der Sicherheit, des Rechts und des Wohlstands und stellt daher eine nicht mehr wegzugdenkende Errungenschaft des europäischen Einigungsprozesses dar.

Wir anerkennen die wertvollen Impulse zur Verständigung zwischen unseren beiden Ländern und Regionen, die aus den zahlreichen grenzüberschreitenden Projekte der letzten Jahre erwachsen sind. Es ist unser gemeinsames Bestreben, die Chancen und finanziellen Möglichkeiten der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds bestmöglich zu nutzen, um innovative und kreative Regionalentwicklungsprozesse nachhaltig anzustoßen. Wir begrüßen daher, dass das Programm der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit INTERREG V A Österreich - Tschechische Republik 2014-2020 genehmigt wurde. Dank der gemeinsamen Anstrengungen auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene kann daher die Kontinuität im Rahmen der Europäischen Territorialen Zusammenarbeit gewahrt werden. Wir unterstützen in diesem Zusammenhang die koordinierte Entwicklung von strategisch bedeutsamen grenzüberschreitenden Schlüsselprojekten im gesamten österreichisch-tschechischen Programmgebiet.

Wir bekräftigen unser Bekenntnis zur verstärkten Zusammenarbeit in konkreten Zukunftsthemen. Dazu zählen etwa die Verbesserung der grenzüberschreitenden Verkehrs- und Energieinfrastruktur, die Schaffung der Rahmenbedingungen für einen innovativen grenzüberschreitenden Wirtschaftsraum, die Gewährleistung von Energieversorgungssicherheit, die Nutzung des bestehenden Natur- und Kulturreichtums zur Förderung des Tourismus, Zusammenarbeit zur Verhinderung grenzüberschreitender Kriminalität, praxisorientierte Bildung und Förderung der gesellschaftlichen Akzeptanz von Fachkräften als wesentliche Beiträge zum Abbau von Arbeitslosigkeit, die Förderung der interkulturellen und sprachlichen Kompetenzen (einschließlich Jugendaustausch), die Etablierung weltweit konkurrenzfähiger und innovativer Kapazitäten und Institutionen in Wissenschaft, Forschung und Technologie und vor allem deren verstärkte Bündelung, der Ausbau der Breitbandinfrastruktur, der Erfahrungsaustausch im Bereich Gentechnikfreiheit sowie die Erleichterung von Kooperationen im Gesundheits- und Rettungswesen. Raum für eine verstärkte Zusammenarbeit, einen Erfahrungsaustausch und Aufbau von Partnernetzwerken öffnet sich weiters in Umweltfragen, konkret in den Bereichen Wasser- und Luftschutz, Umweltverträglichkeitsprüfungen, grüne Technologien oder in den Fragen der Lebensmittelsicherheit und Lebensmittelqualität.

Sichtbare Fortschritte der bilateralen Zusammenarbeit
Durch die neu gelebte Partnerschaft von Österreich und Tschechien konnten bereits greifbare Fortschritte erzielt werden. So wurden Kontaktgruppen bestehend aus Vertretern der beteiligten Ministerien zur Beschleunigung des Ausbaus der hochrangigen grenzüberschreitenden Verkehrsinfrastruktur zwischen Oberösterreich und Südböhmen sowie zwischen Niederösterreich und Südmähren eingesetzt, und diese haben ihre Arbeit bereits aufgenommen. Auch haben am 12. Februar dieses Jahres die Verkehrsminister der beiden Staaten eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit am Ausbau der Eisenbahnstrecke Wien - Brünn - Prag unterzeichnet. Beim Treffen der Umweltminister in Hardegg am 21. Juli 2015 wurde die Einsetzung einer Expertengruppe zulaufenden Umweltfragen beschlossen, die im Interesse der beiden Staaten sind, und das auf bilateraler, europäischer sowie globaler Ebene. Auch das Projekt des "Österreichisch-Tschechischen Geschichtsbuchs", in dessen Rahmen unsere gemeinsame Geschichte erforscht wird und angeeignete Stereotypen in ihrer Auslegung beleuchtet werden, nimmt bereits konkrete Formen an. Der Stand der wissenschaftlichen Diskussion wird in einer Veranstaltungsreihe im Herbst 2015 öffentlich vorgestellt. In der bevorstehenden Unterzeichnung des Rettungsabkommens sehen wir einen wichtigen Beitrag, die nachteiligen Wirkungen von Grenzen für Leib und Leben unserer Bürger aufzuheben und den europäischen Raum der Freiheit, Sicherheit und Solidarität ganz konkret im Alltag der Menschen erlebbar zu machen.

Österreich und Tschechien sind wirtschaftlich starke Länder mit einem hohen Anteil energieintensiver Industriebetriebe. In diesem Sinne ist es unser gemeinsames Bestreben, den Herausforderungen des Klimawandels gerecht zu werden, die Energiesicherheit zu gewährleisten, die Industriebasis und wettbewerbsfähige Energiepreise zu sichern und die regionale Dimension der Europäischen Energieunion zu konkretisieren. Deshalb halten wir es für notwendig, dass Österreich und Tschechien den bestehenden Energiedialog über eine nachhaltige zukunftsorientierte Energiepolitik vertiefen mit dem Ziel, sichere Energiesysteme und eine gesicherte Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen zu garantieren und durch die Zusammenarbeit einen Beitrag zur Vollendung des europäischen Energiemarktes zu leisten.

Die Innenminister Österreichs und Tschechiens sowie die Führungen der Verwaltungs- und Polizeibehörden tauschten sich am 27. Juli 2015 über die für beide Länder aktuellen Herausforderungen in Zusammenhang mit den steigenden Zahlen von Flüchtlingen und irregulären Migranten aus. Beide Seiten bekräftigten dabei ihre Unterstützung - sowohl auf bilateraler als auch EU-Ebene - für gemeinsame Aktivitäten, die an der EU-Außengrenze der wesentlichsten Flüchtlingsrouten und bei der Stabilisierung der Situation in den Ursprungsländern ansetzen, und einigten sich darauf, dass die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutzes bedürfen, in der EU in solidarisch ausgewogener Weise erfolgen soll.

Während der Sitzung der Gemischten Kommission zur Durchführung des bilateralen Abkommens über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur, Bildung, Wissenschaft, Jugend und des Sports am 30. Juni 2015 in Prag wurde das gemeinsame Arbeitsprogramm für die Jahre 2015 bis 2019 unterzeichnet. Das Ziel des Programms ist es, den Austausch in den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Erziehung zu vertiefen.

2plus6-Gruppe für grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Wir begrüßen die Absicht, dass Vertreter grenznaher Länder und Kreise sowie die beiden Botschafter im Rahmen einer informellen Arbeitsgruppe, der 2plus6-Gruppe, die sich eng mit Vertretern inhaltlich zuständiger Ressorts abstimmen wird, zur Umsetzung und Vertiefung der beiderseitigen Kooperation zu den gemeinsamen Zukunftsthemen zusammenarbeiten. Dabei sollen besonders auch die Themen Verkehr, Jugendbeschäftigung - Duale Ausbildung, Energieinfrastruktur und Energiesicherheit sowie grenzüberschreitende Zusammenarbeit berücksichtigt werden, die auch im Arbeitsplan erwähnt werden, den die Regierungschefs von Österreich, Tschechien und der Slowakei bei ihrem Treffen in Austerlitz am 29. Jänner 2015 vereinbarten.

So wie zu den beiden Projekten der hochrangigen Straßenverkehrsinfrastruktur können - wo zweckmäßig - auch zu weiteren prioritären grenzüberschreitenden Projekten Kontaktgruppen eingesetzt werden, um durch Überbrückung von Informations- und Kontaktdefiziten unter den verschiedenen Kooperationspartnern deren Umsetzung zu beschleunigen.

Zukunft im Herzen Europas gemeinsam gestalten
Zur Fortführung der Europa-2020-Strategie werden auf europäischer Ebene nun Strategien und Handlungskonzepte für das Europa des Jahres 2030 entwickelt, denn die Europäische Union, die Mitgliedstaaten und die Regionen stehen weiterhin vor großen Herausforderungen, die von der Globalisierung über den demographischen Wandel bis zum Klimawandel reichen.

Um diese Veränderungen gemeinsam aktiv gestalten zu können, brauchen wir eine neue Gemeinsamkeit. Diese beginnt mit einer starken, dynamischen und belastbaren Nachbarschaft, in der den grenznahen Regionen eine bedeutende Rolle zukommt. Dazu gilt es, der ziel- und wirkungsorientierten Bewältigung der angesprochenen konkreten Zukunftsthemen neuen Schwung zu verleihen. In diesem Sinne sind wir bereit, einen strategischen Dialog "Nachbarschaft 2030" zu beginnen. Dieser Prozess soll dazu beitragen, gemeinsame Zukunftsperspektiven zu erstellen und dazu Brücken des Vertrauens und lebendiger menschlicher Kontakte aufzubauen und zu festigen. Gleichzeitig sollen noch bestehende Barrieren und Hindernisse und damit die letzten Begrenzungen in der Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern abgebaut werden. Dazu gehören auch die noch bestehenden Grenzen in den Köpfen und Herzen. Wir dürfen uns in der Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft in einem einigen Europa nicht länger nur auf nationale Grenzen beschränken, sondern müssen vielmehr in vernetzten Großräumen denken und handeln, so wie wir dies bereits mit der Europäischen Donauraumstrategie begonnen haben. Gerade der österreichisch-tschechische Grenzraum soll auf diese Weise zu einer Ideenwerkstatt und zu einem Labor für das künftige Zusammenleben in Europa werden. Wir laden daher alle ein, diesen Dialog durch ihre Ideen mit Leben zu füllen und sich damit an der Entwicklung einer Vision für eine neue Nachbarschaft bis zum Jahr 2030 zu beteiligen.

Unser gemeinsames Bestreben muss es sein, in den nächsten fünfzehn Jahren zu einer europäischen Modellregion für Nachhaltigkeit, Wohlstand, Innovation und Sicherheit zu werden und damit zu einer festen Säule für ein starkes Europa der Zukunft.

Linz, am 21. August 2015

Sebastian Kurz, Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres
PhDr. Lubomír Zaorálek, Minister für auswärtige Angelegenheiten
Dr. Erwin Pröll, Landeshauptmann von Niederösterreich
Dr. Josef Pühringer, Landeshauptmann von Oberösterreich
Mgr. Jirí Zimola, Kreishauptmann des Südböhmischen Kreises
Ing. Roman Celý, DiS, stv. Kreishauptmann des Südmährischen Kreises
MUDr. Jirí Behounek, Kreishauptmann des Kreises Vysocina

 

 

 

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