Provokante Gedanken zur österreichischen Wachstumsschwäche
Wien (wifo) - Anders als in den letzten eineinhalb Jahrzehnten, als die Wirtschaft in Österreich Wirtschaft
rascher wuchs als im Durchschnitt des Euro-Raumes und selbst in Deutschland, stagniert das Wachstum seit 2011,
und die Arbeitslosigkeit steigt. Das löste eine heftige Diskussion über eine eventuelle Verschlechterung
der Standortqualität aus. Tatsächlich ist ein erheblicher Teil der Probleme auf den Export zurückzuführen,
der sich schon seit Längerem zu stark auf wenig dynamische Märkte und stagnierende Produktkategorien
stützt. Die Zunahme der österreichischen Warenexporte (real) blieb Jahr für Jahr um etwa 1/2 Prozentpunkt
hinter dem Wachstum der österreichischen Exportmärkte zurück und um 1/2 Prozentpunkt hinter dem
Wachstum des Welthandels. Zuletzt schwächte sich die ohnedies geringe Steigerung der österreichischen
Exporte noch weiter ab.
Will Österreich wieder Anschluss an die Dynamik wenigstens des Euro-Raums finden, sind intensivierte und beschleunigte
Bemühungen um eine Strukturreform von Wirtschaft und Außenhandel unverzichtbar. Versuche, die Exportschwäche
durch direkte oder indirekte (Rationalisierung) Senkung der Kosten zu überwinden, versprechen wenig anhaltenden
Erfolg. Nicht die Wettbewerbsfähigkeit im Sinn eines Ausgleichs der Leistungsbilanz ist das Problem Österreichs,
sondern die Strukturschwäche, die das Wachstum des Warenexports und damit des BIP dämpft. Ein Exportwachstum
im Rahmen einer Low-Road-Strategie durch niedrige Preise zu erzwingen, wäre weder nachhaltig, weil dies von
Ländern mit niedrigerem Lohnniveau rasch unterlaufen würde, noch sinnvoll, weil der Erfolg im Ausland
mit Wohlstandseinbußen im Inland erkauft würde.
Grundsätzlich führten Österreichs Bemühungen um eine Strukturreform durch Spezialisierung in
die richtige Richtung: Stärken stärken, Technologieintensität steigern und Cluster bilden. Infolge
ihrer zu engen Spezialisierung auf zu wenige und zu enge geographische wie Produktmärkte blieb Österreichs
Wirtschaft in den traditionellen Strukturen gefangen und war nicht in der Lage, auf Änderungen der Nachfrage
rasch genug zu reagieren. Die aus den Prämissen ableitbaren Spezialisierungsmuster waren zu wenig konkret
und boten zu wenig Anreiz, überkommene Strukturen anzupassen. Die neuere Literatur und auf ihr basierend die
Smart-Specialisation-Strategie der Europäischen Kommission schlagen eine neue Definition potentieller Stärkefelder
und spezifischere Spezialisierungs- und Diversifikationsmuster vor. Sie unterscheiden zwischen Spezialisierung
und Verbreiterung. Neu ist, dass das Konzept einerseits nicht auf Branchen oder Märkte, sondern auf Produkt-Markt-Kombinationen
abstellt, also etwa auf den Export von Autoblechen nach Deutschland oder von Handychips nach Taiwan, andererseits
dass es die Wettbewerbsvorteile betont, die aus Aufbau und Nutzung eines Pools von spezifischem Wissen und spezifischen
"Capabilities" (dynamischen Fähigkeiten) beruhen.
Zur Überwindung der österreichischen Probleme wird das Konzept der "Smart Specialisation" allerdings
nicht ausreichen. Ergänzend zu einer weiteren Spezialisierung, die mit der Gefahr einer zusätzlichen
Verstärkung der Pfadabhängigkeit von Produktion und Export verbunden ist, wird eine "Smart Diversification"
auf solche Produkt-Markt-Kombinationen erforderlich sein, die dank spezifischer Voraussetzungen des Standortes
eine Alleinstellungsposition auf den internationalen Märkten erreichen können. Dazu werden eine Umorientierung
nicht bloß der Unternehmen, sondern auch der Politik -von der Bildungs- über die Forschungs- bis zur
Wirtschafts- und Industriepolitik - und eine enge Zusammenarbeit dieser Politikbereiche unverzichtbar sein.
Ansatzpunkte sind der (lokale) spezialisierte Wissenspool bzw. die Capabilities der Unternehmen, die durch Lerneffekte
vertieft und verbreitert werden müssen. Sind sie breit genug, können daraus durch Rekombination bestehender
Kompetenzen mit neuen ökonomischen Aktivitäten neue Produktionszweige entstehen. Vor allem in den Agglomerationen
müssen die Informationsdichte und die Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft über Fachgebiete und
Branchen hinweg forciert werden. Dies reicht aber nicht aus, um die Pfadabhängigkeit zu überwinden: Die
erforderliche Informationsdichte und -vielfalt hat den Charakter eines öffentlichen Gutes; große Innovationssprünge
sind betriebswirtschaftlich zumeist nicht rentabel, und die Risiken der Diversifikation auf neue Güter-Markt-Kombinationen
werden durch Verbundeffekte erheblich verringert. Eine Überwindung der Probleme erfordert daher (auch) staatliches
Agieren, um
- die Dichte und Vielfalt des Wissenspools der Agglomerationen zu erhöhen,
- die Kommunikation zwischen den Wissensgebieten zu verbessern,
- den Schwerpunkt der Forschungs-, Wirtschafts- und Exportförderung von der
Spezialisierung zur Diversifizierung zu verlagern sowie
- die Diffusion von Innovationen wie Start-ups verstärkt zu fördern.
Die Umorientierung der österreichischen Produktionsstruktur in Richtung einer dynamischen Struktur, die
durch Nutzung eines breiten und differenzierten Pools von Wissen und Capabilities wachstumsstarke und ertragskräftige
Alleinstellungsmerkmale erarbeitet, erfordert einen langwierigen und schwierigen Lernprozess; er muss von Unternehmen
und Politik gemeinsam bewältigt werden. Derzeit haben beide Schwierigkeiten, den traditionellen Pfad zu verlassen.
Die Kompetenzen der Politik sind zersplittert, und die Unternehmen sind verunsichert. Die Umorientierung wird mit
einer Verbreiterung der engen Spezialisierung auf verbundene Produkt-Markt-Kombinationen beginnen müssen -
ein Ansatz, der rascher zu realisieren ist, weil er auf vorhandenen Denk- und Förderstrukturen aufbaut. Er
kann allerdings die Pfadabhängigkeit nur wenig mildern. Insofern ist eine Politik der größeren
Sprünge durch Kombination unterschiedlicher Wissensgebiete und Capabilities unverzichtbar; sie erfordert neue,
unerprobte Ansätze und muss mit Rückschlägen rechnen. Ohne Bereitschaft zum Risiko, seitens der
Wirtschaft wie der Politik, wird die Pfadabhängigkeit der österreichischen Produktions- und Exportstruktur
nicht überwunden werden können.
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