Leitl/Rürup: „Wachstumskräfte stärken“ – „Unwucht im Pensionssystem“: Rürup
für Fokussierung auf höheres gesetzliches Pensionsantrittsalter und raschere Erhöhung des Frauenantrittsalters
– Leitl: Stärkere Anreize schaffen
Wien (pwk) - "Österreich muss anstatt auf das tatsächliche auf ein höheres gesetzliches
Pensionsantrittsalter fokussieren und rasch das Pensionsantrittsalter von Frauen an jenes der Männer angleichen
-so kann es funktionieren, zu einem nachhaltigen Pensionssystem zu kommen", unterstrich Bert Rürup, Pensionsexperte
und Berater sowohl der deutschen als auch der österreichischen Regierung in Pensionsfragen. Er konstatierte
eine "Unwucht" im österreichischen Pensionssystem, es sei aktuell "nicht nachhaltig gesichert",
so Rürup bei einer Pressekonferenz mit WKÖ-Präsident Christoph Leitl am 03.09. zum Abschluss der
Wirtschaftsgespräche im Rahmen des Europäischen Forum Alpbach 2015.
Die Zahl der Beitragsjahre, in denen in das Pensionssystem eingezahlt wird, sinke, die Anzahl der Leistungsjahre
steige. Diese Hürde müsse überwunden werden.
In Sachen Reform des Pensionssystems konstatierte Rürup in Österreich Fortschritte, aber auch Blockaden
und meinte: "Die Probleme sind lösbar." So sei etwa die demografische Entwicklung in und für
Österreich ein Problem, "aber kein wirkliches." Es sei unumgänglich, dass das Pensionssystem
nachhaltig finanziert wird. Zudem gebe es einen Nachhaltigkeitsfaktor im österreichischen Pensionssystem,
"den muss man aber auch einsetzen!", appellierte Rürup. Er bezeichnete es als Mythos, dass die Arbeitslosigkeit
der Jungen ansteige, wenn die ältere Generation länger in Beschäftigung bleibe. Und es sei auch
ein Mythos, dass ein höheres Frauenpensionsalter die Frauen benachteilige. Das Gegenteil sei der Fall, das
jetzige Antrittsalter komme einer beruflichen Diskriminierung gleich.
Rürup sprach sich für eine "Veredelung der Budgetstruktur" aus. Es müsse eine Verlagerung
von den konsumptiven Staatsausgaben (im Staatshaushalt liegt Zuwachs bei den Pensionsausgaben weit vor jenen in
den Zukunfts-Bereichen Bildung oder F&E bzw. Familie) zu investiven Ausgaben wie Ausbildung oder Forschung
kommen. Der Zeitpunkt für Reformen sei so günstig wie lange nicht mehr, unterstrich Rürup. Denn
derzeit profitiere das Exportland Österreich vom niedrigen Euro-Kurs, von sehr niedrigen Zinsen und Energiepreisen.
Jedenfalls dürfe es im Pensionssystem nicht zu Beitragserhöhungen kommen, der Umfang der staatlichen
Zuschüsse dürfe mittel- bis langfristig nicht über Gebühr steigen, unterstrich Wirtschaftskammerpräsident
Leitl. Er forderte ein Umdenken, was die Bedeutung der Arbeit betrifft: Statt einer Flucht aus der Arbeit in den
vorzeitigen Ruhestand müsse Arbeit als sinnstiftend begriffen werden: "Arbeitsfreude statt Arbeitsleid."
Und es brauche stärkere Anreize, um länger zu arbeiten.
Leitl forderte als Grundlage für die Sicherung der Sozialsysteme und des Budgets eine aktive Wachstumspolitik
und unterstrich: "Österreich braucht dringend mehr Wachstum, denn ein Prozent mehr Wachstum bedeutet
25.000 zusätzliche Jobs." Auch Rürup unterstrich, "dass die Wachstumskräfte gestärkt
werden müssen", um weiter wettbewerbsfähig zu bleiben. Österreich sei nach Belgien das Land,
wo Arbeit am höchsten steuerlich belastet wird. Es gelte, jetzt gegenzusteuern, damit unser Land "nicht
ins Tal der Tränen kommt."
Leitl appellierte an die Politik, die demografischen Entwicklungen und auch den aktuellen Zustrom an Flüchtlingen
anstatt mit negativen Emotionen vielmehr positiv zu begegnen und in positiver Weise zu bewältigen. Die Wirtschaftskammer
werde sich in ein Gesamtkonzept etwa im Bereich Aus- und Weiterbildung positiv einbringen.
Was die Sozialpartnerschaft betrifft, verwies Leitl auf viele positive Beiträge, wie etwa das gemeinsame Bildungskonzept
oder den Grundsatz "Rehabilitation vor Pension". Was Erbschafts-, Schenkungs-und Vermögenssteuern
oder eine Verkürzung der Arbeit betreffe, seien die Sozialpartner unterschiedlicher Ansicht. Nach Meinung
des Wirtschaftskammer-Präsidenten müsse die Sozialpartnerschaft von einer Verteilungs- zu einer Standortssicherungs-Partnerschaft
werden: "Es ist nicht zu fragen, wem wir etwas wegnehmen sollen, sondern es müssen Antworten auf die
künftigen Herausforderungen des Lebens- und Arbeitsstandortes Österreich und seiner Wettbewerbsfähigkeit
gegeben werden. Wir müssen Zukunftsgestalter sein."
Was die Frage eines Mindestlohns von 1700 Euro betrifft, lehnte Leitl einen gesetzlichen Mindestlohn wie in Deutschland
ab und verwies auf die hunderten Kollektivverträge, wo Löhne und Gehälter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern
in den jeweiligen Branchen autonom gefunden würden. Ein wesentliches Element der Lohnfindung sei unter anderem
die Frage nach der Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit der jeweiligen Wirtschaftssparte: "Die jeweiligen
Branchen wissen, was sie leisten können und was nicht."
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