Wirtschafts- und Finanzbildung von Jugendlichen schwach ausgeprägt – was nun zu tun ist
– Große Unterschiede bei Wirtschaftswissen - Experten wollen verstärkten Fokus auf die schulische Wirtschafts-
und Finanzbildung
Alpbach/Wien (pwk) - In der Break Out Session "Wirtschaftsbildung und Finanzbildung - was ist zu tun?"
wurden die Ergebnisse einer neue Studie präsentiert: Dafür wurden bis zu 432 Schülerinnen und Schüler
am Ende der Sekundarstufe I (13 bis 14 Jahre) der 4. Klasse AHS und NMS befragt. Themen waren das Interesse und
Wissen in den Bereichen Wirtschaftsbildung und Finanzbildung: Welche Erfahrungen haben die Schülerinnen und
Schüler bislang gesammelt? Welche Einstellungen und Wertehaltungen gegenüber der Wirtschaft und gegenüber
Geld- und Finanzfragen haben sie im Besonderen entwickelt? Und wie lösen sie die wirtschaftlichen, insbesondere
die finanziellen Aufgabenstellungen, die sich in ihrem Alltag stellen (können)? Die Initiative für die
Studie kam vom Moderator der Break Out Session, Ralf Kronberger, Leiter der Abteilung für Finanz- und Handelspolitik
in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).
Anna Maria Hochhauser, die Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), unterstrich
in ihren einleitenden Worten die Wichtigkeit einer guten Wirtschafts- und Finanzbildung als Basis für die
persönliche Entwicklung, aber auch für die Volkswirtschaft als Ganzes. Aus diesem Grund engagiere sich
auch die Wirtschaftskammer Österreich - z.B. mit dem Unternehmerführerschein - sehr stark in diesen Bereichen,
so die Generalsekretärin, denn "eine gute Finanz-und Wirtschaftsbildung bedeutet nichts anderes als das
eigene Leben selbstbestimmt gestalten zu können, die eigene Leistungsfähigkeit zu steuern und sowohl
beruflich als auch privat erfolgreich und zufrieden zu sein". Ein ausreichendes Wirtschaftswissen ist "auch
eine Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Unternehmertum, Innovation, produktive sowie hochqualifizierte
Arbeitnehmer und letztendlich für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum".
Auch die Vorträge der Verteilungsökonomen haben gezeigt, dass die Partizipation an Bildung eine wesentliche
Voraussetzung für die Schaffung von Einkommen und Vermögen ist.
Die anschließend von Bettina Fuhrmann - Univ. Prof. an der WU Wien und Autorin der Studie - präsentierten
Studienergebnisse, welche im Laufe des September 2015 publiziert werden, bestehen aus einem qualitativen sowie
quantitativen empirischen Teil und fallen eher ernüchternd aus:
Aus dem qualitativen Teil der Studie lässt sich folgern, dass Schülerinnen und Schüler zwar durchaus
gerne über Wirtschaft sprechen, insbesondere über das Thema Geld. Den Schülerinnen und Schülern
ist jedoch nicht bewusst, wie sehr sie Teil der Wirtschaft sind und in wie vielen Bereichen sie Berührungspunkte
mit ihr haben. Es fällt den Schülerinnen und Schülern auch schwer zu erklären, was man unter
Wirtschaft versteht oder warum wir wirtschaften.
Aus dem quantitativen Teil der Studie - bei dem das Wirtschafts- und Finanzwissen anhand von Aufgaben abgefragt
wurde - lässt sich schließen, dass die Schülerinnen und Schüler im Schnitt von 25 Aufgaben
nur 11,2 richtig lösen können. Dabei basieren diese Aufgaben auf mehreren bereits erprobten Instrumenten
zur Messung von ökonomischer Bildung in dieser Altersgruppe. Die hohe Heterogenität zeigt sich in der
breiten Streuung der Leistungsergebnisse: rund 68 % der Befragten liegen in der erreichten Punkteanzahl im Bereich
zwischen 7 und 15 Punkten. Den Befragten dürfte ihr mangelndes Wissen in diesem Bereich durchaus bewusst sein,
da sie bei der Selbsteinschätzung ihres Wirtschafts- und Finanzwissens selbst sehr skeptisch sind und sich
kein gutes Zeugnis ausstellen.
Univ. Prof. Bettina Fuhrmann folgert aus den Studienergebnissen, dass die ökonomische Bildung der Jugendlichen
in der achten Schulstufe schwach ausgeprägt ist, abhängig davon, wie sehr und in welcher Qualität
Wirtschaft im Unterricht thematisiert wird und ob die Jugendlichen zu Hause etwas darüber erfahren. "Da
die Jugendlichen am Ende der Sekundarstufe I sowohl über ihre weitere Schulausbildung und ihre berufliche
Orientierung eine Entscheidung zu treffen haben, als auch bald wahlberechtigt sind, erscheinen die Wissens- und
Verständnislücken dramatisch", betont Fuhrmann und hebt gleichzeitig hervor, dass die "Ergebnisse
auch Implikationen für die Weiterentwicklung von ökonomischem Unterricht erlauben und belegen, dass sowohl
die Qualität als auch die Quantität von ökonomischer Bildung in der Sekundarstufe I - und anschließend
in der Sekundarstufe II - erhöht werden sollten."
Diese Sichtweise wurde von den Paneldiskutanten - im Anschluss der Studienergebnispräsentation - mehrheitlich
unterstützt.
OECD-Expertin Andrea-Rosalinde Hofer hebt hervor, dass eine finanzielle Allgemeinbildung sowie das Verständnis
von wirtschaftlichen Zusammenhängen zu den grundlegenden Lebenskompetenzen gehören, die junge Menschen
in ihrem Bildungsweg möglichst frühzeitig entwickeln sollten. "Durch spezifische Unterrichtsmaterialien,
Lehrer-Aus- und Weiterbildung und innovative Unterrichtsformate kann dieser auch zeitnah bewältigt werden",
ist Andrea-Rosalinde Hofer überzeugt. Zielführend ist für die Expertin "ein progressiver Ansatz,
in dem die Grundsteine für eine solide finanzielle Allgemeinbildung bereits in der Vorschule gelegt werden".
Auch Lukas Faymann, Bundesschulsprecher 2014/2015, ortet im Bereich der Wirtschafts- und Finanzbildung Handlungsbedarf.
"Da Schüler aktiv am Wirtschaftsgeschehen teilnehmen, ist es umso wichtiger, ihnen schon möglichst
früh eine große Bandbreite an Finanz- und Wirtschaftswissen mitzugeben". Hier sieht Lukas Faymann
insbesondere die Schulen gefordert: "Die grundlegenden Kompetenzen müssen in der Schule einem jeden Kind
bzw. Jugendlichen vermittelt werden. Nur so kann die starke Ungleichheit im Wissenstand reduziert und das Wissensniveau
erhöht werden".
Bernhard Heinzlmaier - Jugend- und Trendforscher - hebt in seinem Statement den Umstand hervor, dass unsere Gesellschaft
längst zu einer Marktgesellschaft geworden ist. "Märkte bestimmen unser Leben", und "wer
die Märkte nicht versteht, kann in Zukunft nicht zu den Erfolgreichen gehören", ist sich Bernhard
Heinzlmaier sicher. "Interesse und Wissen im Wirtschafts- und Finanzbereich ist daher immens wichtig und sollte
allen Jugendlichen im ausreichenden Maß vermittelt werden", so der Jugendforscher.
Aufgrund dieses Umstandes, so Peter Bosek, Vorstandsmitglied der Erste Bank, ist "unser Ziel, in einer immer
komplexer werdenden Wirtschaftswelt den Menschen die Zusammenhänge noch näher zu bringen. Das beeinflusst
ja auch die eigenen Entscheidungen für die Geldanlage."
Hier knüpft auch Martin Taborsky, Gruppenleiter Finanzbildung in der Oesterreichischen Nationalbank, an. Der
Experte für Finanzbildung merkt an, dass "ein Finanzmarkt nur stabil sein kann, wenn die Bevölkerung
in Finanzfragen auch kompetent handelt."
Es waren sich alle Panelteilnehmer einig, dass in Österreich die aktuelle Situation betreffend Finanz- und
Wirtschaftsbildung zu verbessern ist. Insbesondere in den Schulen müsste verstärkt und praxisangewandter
auf diese Themenbereiche eingegangen werden. Die zahlreichen außerschulischen Aktivitäten - wie z.B.
von der Wirtschaftskammer Österreich, der Oesterreichischen Nationalbank, der Erste Sparkasse Group, des Bundesministeriums
für Finanzen oder von Start-ups - müssen koordiniert durch weitere Maßnahmen ergänzt werden.
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