Die Computerchips der Zukunft sollen Information auf ganz andere Art verarbeiten als heute
– mit dem Spin der Elektronen.
Wien (tu) - Egal ob im Computer, im Handy oder in der programmierbaren Kaffeemaschine: All unsere heutige
Elektronik verarbeitet Daten, indem sie elektrische Ladungen von einem Ort an einen anderen transportiert. Neben
dieser elektrischen Ladung haben Elektronen allerdings noch eine zweite fundamentale Eigenschaft, den Elektronenspin,
ihren Eigendrehimpuls. Wenn man den Spin für die Elektronik nutzbar macht, könnte man Geräte herstellen,
die deutlich weniger Energie benötigen und ganz ohne Energiebedarf im Standby-Modus bleiben – diese Spin-basierte
Variante der Elektronik wird als „Spintronik“ bezeichnet.
Spin-Effekte lassen sich mit Bauteilen nutzen, die auf Silizium basieren, genau wie man das von der heute üblichen
Elektronik gewohnt ist. Das Forschungsteam von Prof. Siegfried Selberherr simuliert nanoelektronische Effekte am
Computer, so konnten an der TU Wien bereits mehrere neue Halbleiter-Bauteile entworfen und zum Patent angemeldet
werden. Nun fassen Viktor Sverdlov und Siegfried Selberherr (beide vom Institut für Mikroelektronik, Fakultät
für Elektrotechnik und Informationstechnik) in einem Übersichtsbeitrag für das angesehene Fachjournal
„Physics Reports“ den aktuellen Stand der Silizium-Spintronik zusammen. Entscheidende Fragen sind mittlerweile
geklärt, dass sich Spintronik durchsetzen wird, steht für die „Spin-Doktoren“ Sverdlov und Selberherr
heute außer Frage.
Drehimpuls statt Ladung
„Spintronik ist die Technologie der übernächsten Generation“, sagt Siegfried Selberherr. „In den kommenden
Jahren wird man die Mikroelektronik noch auf herkömmliche Weise weiterentwickeln können, doch irgendwann
sind physikalische Grenzen erreicht und man muss sich etwas Neues einfallen lassen.“ Ein Problem der heutigen Elektronik
ist, dass man Energie und Zeit benötigt, um die elektrischen Ladungen an die gewünschten Stellen zu transportieren,
und dass man laufend Energie aufwenden muss, damit die Ladungen auch dort bleiben. Bis etwa beim Hochfahren eines
Handys alle Ladungen wieder dort sitzen, wo sie vorher waren, vergeht einige Zeit, und auch bei geringer Aktivität
ist der Akku meist nach zwei Tagen leer.
Wenn man statt der Ladung des Elektrons seinen Eigendrehimpuls (den Spin) verwendet, dann sieht die Sache anders
aus. „In der Spintronik ist es gar nicht nötig, die Elektronen selbst zu transportieren“, erklärt Siegfried
Selberherr. „Wir können sie an einem festen Ort einsperren und uns darauf beschränken, bloß ihren
Spin zu manipulieren.“
Der Spin ist vergleichbar mit dem klassischen Drehimpuls eines Kreisels, der um seine eigene Achse rotiert. Allerdings
ist diese Analogie nicht perfekt, denn der Kreisel kann beliebige Drehgeschwindigkeiten annehmen, man kann ihn
abbremsen und in die Gegenrichtung rotieren lassen. Beim Elektron sind aus quantenphysikalischen Gründen jedoch
nur zwei verschiedene Spin-Werte möglich – „Spin nach oben“ oder „Spin nach unten“. Für die Mikroelektronik
eignet sich das perfekt: Genau wie man die Zustände 0 und 1 durch „Strom“ oder „kein Strom“ codieren kann,
lassen sie sich auch durch die beiden möglichen Spin-Zustände darstellen.
Die entscheidenden Fragen sind daher: Lassen sich Spin-Zustände logisch verarbeiten, wie das heute in elektronischen
Bauteilen gemacht wird? Und lässt sich eine sichere, effiziente Kommunikation zwischen Spintronik und herkömmlicher
Elektronik gewährleisten?
Als Grundelement der Mikroelektronik wird meist der Transistor betrachtet – ein entsprechendes Element in der Spintronik
steht derzeit noch nicht zur Verfügung, auch wenn es dazu zahlreiche Ideen gibt. Doch vielleicht braucht man
das gar nicht: „In der Elektronik verwendet man heute CMOS-Elemente, die im Wesentlichen aus zwei Transistoren
bestehen. Sie sind die grundlegenden Funktionsblöcke für logische Schaltungen – und man kann zeigen,
dass man ihr Verhalten auch mit Spintronik erzielen kann“, sagt Siegfried Selberherr. Die Spintronik kann alle
logischen Verknüpfungen realisieren, die man derzeit in der herkömmlichen Elektronik verwendet.
Große Fortschritte gibt es auch beim Umwandeln von elektrischen Signalen in Spin-Signale. In geeigneten Mikrostrukturen
kann man durch Anlegen elektrischer Spannung Spins beeinflussen. Spintronik und herkömmliche Elektronik können
also kombiniert werden, sogar innerhalb eines einzelnen Chips.
„Die Spintronik kommt – aber vermutlich nicht als Revolution, sondern Schritt für Schritt“, meint Selberherr.
Spintronik ist keine kühne Zukunftsvision wie etwa der Quantencomputer, sondern der logische nächste
Schritt, der seine Schatten bereits vorauswirft.
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