SP-Parteichefs und Gewerkschaftsvorsitzende aus Österreich, Deutschland und Schweden in
Wien – Soziale Dimension Europas stärken – Forderung nach europäischer Flüchtlingspolitik
Stockholm/Berlin/Wien (sk) - Am 19.09. haben sich die Vorsitzenden der sozialdemokratischen Parteien sowie
Gewerkschaftschefs aus Österreich und Schweden in Wien zu Arbeitsgesprächen getroffen. Teilgenommen haben
SPÖ-Vorsitzender, Bundeskanzler Werner Faymann, Sozialminister Rudolf Hundstorfer, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen
Arbeiterpartei Schwedens, Ministerpräsident Stefan Löfven, SPD-Parteivorsitzender, Vizekanzler Sigmar
Gabriel, der Präsident des Schwedischen Gewerkschaftsbundes LO Karl-Petter Thorwaldsson sowie ÖGB-Präsident
Erich Foglar. Bei ihrem Treffen erarbeiteten sie eine Resolution, um die soziale Dimension im Binnenmarkt Europas
zu stärken. Die Frage, wie sich die Arbeitswelt entwickelt, der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
sei "auf nationaler Ebene, gegen alle anderen, nicht durchsetzbar. Auf EU-Ebene hingegen ist vieles machbar,
was zu mehr Wohlstand und zu besseren Sozialsystemen und einem besseren ArbeitnehmerInnenschutz führt",
so Faymann bei einer Pressekonferenz im Anschluss an das Treffen im Gartenhotel Altmannsdorf.
"Lohndumping ist eine Entwicklung, die beweist, dass wir viel zu tun haben, um dafür zu sorgen, dass
es faire Löhne, Mindestlöhne gibt", so Faymann. Begonnen habe die Diskussion des sozialen Europas
insbesondere am Arbeitsmarkt eng mit den Gewerkschaften in Schweden. "Wir haben mittlerweile eine gemeinsame
Resolution erarbeitet, die die wichtigsten Punkte charakterisiert. Wir haben uns heute getroffen, um das weiter
fortzusetzen. Wir werden gemeinsam auftreten, damit dieses soziale Europa - denn nur das kann die Herzen der Menschen
erobern - eine Chance bekommt."
Aktueller denn je sei die Frage einer gemeinsamen europäischen Politik auch in humanitären Fragen, in
der Frage des Umgangs mit Flüchtlingen. "Ein Land kann einen Zaun bauen und humanitäre Aufgaben
seinen Nachbarn zuschieben, aber in Europa sollte jedes Land solidarisch seinen Beitrag leisten, eine menschliche
Lösung zu finden", betonte Kanzler Faymann. Der Kanzler erneuerte seine Forderung nach Hotspots an den
europäischen Außengrenzen und einer fairen Quote zur Aufnahme von Flüchtlingen in Europa.
"Die Menschen in Europa spüren, dass da etwas nicht in Ordnung ist. Es taucht ein soziales, ein wirtschaftliches
oder wie jetzt, ein humanitäres Problem auf und die Europäische Union ist nicht stark genug, es rasch
zu lösen. Deshalb stehen wir in einem Wettbewerb mit rechten Nationalisten, die versuchen, dieses schlechte
Gefühl, das viele Europäer haben, umzumünzen in Zorn gegen den Nachbarn und gegen die Europäische
Union. Wir stehen auf der anderen Seite. Wir sehen dieses Europa auch auf dem Prüfstand. Wir sehen genau,
dass viel im Binnenmarkt gelöst wurde, aber nicht im Sozialen", so Faymann. Zwar wurde der Zusammenbruch
der Finanzsysteme verhindert, aber faire Gehälter noch nicht durchgesetzt. "Wir sehen, dass eine humanitäre
Katastrophe zwei Wochen benötigt, bis wir uns zu einer gemeinsamen Sitzung entschließen können.
Wir wollen die europäische Zusammenarbeit stark genug und schnell genug für faire und menschliche Verhältnisse
machen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wer gewinnt, aber ich sage Ihnen: Wir werden kämpfen, auf der Seite, die
man mit Solidarität zusammenfasst."
SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel betonte, dass die Versprechen der Globalisierung - nicht Reichtum für wenige,
sondern Gerechtigkeit für alle - nicht eingetreten seien. Gemeinsam mit weiteren RepräsentantInnen der
europäischen Sozialdemokratie müsse das europäische Modell erneuert werden. Im Zusammenhang mit
der Flüchtlingskrise sei es wichtig, eine gemeinsame europäische Politik zu betreiben. "Wenn wir
nicht schnell Geld in die Hand nehmen und die erbärmlichen Lebensbedingungen der Flüchtlinge im Libanon
und der Türkei verbessern, werden sich noch mehr auf den Weg nach Europa machen, weil sie keine andere Chancen
haben. Kein Zaun der Welt kann moderne Völkerwanderung stoppen." In den Nachbarländern der Kriegsländer
müssen in den nächsten Monaten fünf Mrd. Euro für Soforthilfe in die Hand genommen werden,
nicht nur von Europa, auch von den USA und den Golfstaaten. Das helfe, dass sich der Zustand zu einem akzeptablen
wende, für eine Verbesserung, etwa durch Ausbildungsmaßnahmen, seien weitere Hilfen notwendig. Darüber
hinaus sei eine faire Verteilung der Flüchtlinge unerlässlich, denn "wir können diese gewaltige
Aufgabe nicht alleine schultern", betonte Gabriel, der eine europäische Flüchtlingspolitik fordert.
Über all diesen Herausforderungen seien aber nicht jene zu vergessen, die schon in Europa leben. "Europa
muss sich weiterentwickeln, neben Binnenmarkt und Wettbewerb muss auch soziale Fairness zu einem Vertragsbestandteil
der EU werden." Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort sei eine wichtige Forderung, "wenn
das gegen das Wettbewerbsrecht verstößt, müssen wir das Wettbewerbsrecht ändern", sagte
der deutsche Vizekanzler.
Gerade Griechenland sei ein Beispiel dafür, so Gabriel, dass Europa nicht wegschauen darf, was die wirtschaftliche
Entwicklung ihrer Mitglieder, was Korruption und Steuerhinterziehung betrifft. "Europa fehlt ein Standbein,
das der sozialen Fairness und Sicherheit", erklärte Gabriel, der das "hochattraktive" europäische
Modell der sozialen Marktwirtschaft verteidigt wissen will.
Der schwedische Premier Löfven hob hervor, dass Werte wie Solidarität und Gleichheit zeitlos seien, gerade
jetzt in schwierigen Zeiten, in denen die Menschen vor Krieg und Repression flüchten müssen. "Wir
fordern aber auch ein, dass alle in Europa für diese Solidarität einstehen und nicht nur ein paar Länder",
so Löfven. Sowohl jenen, die ein Recht auf Asyl haben, als auch jenen, die aus sicheren Ländern kommen,
müsse rasch geholfen werden.
Die Menschen in Europa hätten Angst vor Jobverlust und schlechten Arbeitsbedingungen, "wir wollen mit
sozialer Politik eine bessere Zukunft für alle Menschen", betonte der schwedische Ministerpräsident.
In Europa bekämen nicht immer alle den Lohn, der ihnen zusteht. "Wir müssen die soziale Dimension
der EU stärken, die Menschen müssen sich sicher fühlen, denn das ist die Voraussetzung für
eine bessere Entwicklung der europäischen Gemeinschaft", unterstrich Löfven, der mehr Investitionen
in Arbeitsplätze, Ausbildung und im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit fordert. Die EU soll soziale und Arbeitsbedingungen
verbessern und nicht verschlechtern, dabei sei "die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern für gerechte
Löhne und Arbeitsbedingungen unsere Stärke", so Löfven.
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Sozialminister Rudolf Hundstorfer und die Gewerkschaftsbund-Präsidenten von Österreich und Schweden,
Erich Foglar und Karl-Petter Thorwaldsson, betonten die Wichtigkeit von sozialem Zusammenhalt, national und in
Europa, und sprachen sich klar gegen Lohn- und Sozialdumping aus. "Es ist wichtig, dass sozialdemokratisch
geführte Länder eine gemeinsame Sprache finden und eine gemeinsame Vorgangsweise entwickeln. Dieses Treffen
ist ein Teil dessen", sagte Hundstorfer. "Europa heißt Mitgestalten und Mitreden -dadurch ist auch
die Sozialdemokratie groß geworden und das muss die Zukunft sein", betonte der Sozialminister, der auch
sagte, dass man sich der Herausforderung angenommen habe, ein neues europäisches Mobilitätspaket zu schnüren.
Foglar betonte, dass es bei dem Treffen um gewerkschaftliche Kernthemen ginge, die nicht nur wichtig für den
ÖGB, sondern auch für den Europäischen Gewerkschaftsbund sind. "Es geht letztendlich um Menschen,
die arbeiten, die ihren Lebensunterhalt verdienen. Es geht um die Sorgen und Ängste dieser Menschen, die sie
aufgrund ihrer Erfahrungen am Arbeitsmarkt haben", sagte Foglar. Das sei ein entscheidendes Moment für
das Modell, das der EU zugrundeliegt, betonte Foglar und kam auf die vier Grundfreiheiten der EU, freier Personenverkehr,
freier Warenverkehr, freier Dienstleistungsverkehr und freier Kapitalverkehr zu sprechen. "Wir sagen ja zum
Wettbewerb, aber wir wollen einen fairen Wettbewerb. Wir sagen ja zur Marktwirtschaft, aber wir wollen eine soziale
Marktwirtschaft", stellte Foglar klar.
Der ÖGB-Präsident stellte "große Diskrepanzen" zwischen der Wirklichkeit und den vier
Grundfreiheiten der EU fest. "Diese werden oft als Basis für Lohn- und Sozialdumping verwendet. Das ist
ein echter Konstruktionsfehler. Es ist wichtig, dass wir dieses Grundmodell weiterentwickeln. Soziale Rechte und
Gewerkschaftsrechte müssen den gleichen Stellenwert bekommen wie die vier Freiheiten", forderte Foglar.
Es könne nicht sein, dass Lohndumping, das eine eindeutige Gesetzesverletzung ist, ungestraft bleibt, wenn
es im Ausland passiert. "Wenn in Österreich Menschen um ihren Lohn geprellt werden, bleibt das ungeahndet,
wenn das Unternehmen im Ausland sitzt. Hier ist auch die Zusammenarbeit mit den Behörden ausbaufähig",
sagte Foglar. Für den ÖGB-Präsidenten steht fest: "Wenn Menschen ordentliche Leistung bringen,
sollen sie ordentlich bezahlt werden, egal wo sie herkommen." Die soziale Sicherheit müsse weiterentwickelt
werden. "Wenn die Akzeptanz für das EU-Modell nicht aufgrund von Arbeitslosigkeit und geringen Löhnen
sinken soll, dann bedarf es einer Weiterentwicklung. Wir müssen die Europäische Union zu einer sozialen
Union machen", schloss Foglar.
Der Präsident des schwedischen Gewerkschaftsbundes LO Karl-Petter Thorwaldsson sagte, er sei stolz, dass heute
diese Übereinkunft erreicht wurde, wie die drei Parteien und Gewerkschaften für ein gemeinsames Europa
zusammenarbeiten können. "Ich glaube, für die EU ist die Zusammenarbeit zwischen SozialdemokratInnen
und Gewerkschaften von großem Nutzen und das kann ein Modell für andere sein. Es haben bereits viele
andere Länder mit uns geredet und gefragt, ob sie auch teilnehmen können. Wir würden unseren Kreis
gerne erweitern", sagte Thorwaldsson. "Wir Gewerkschaften fordern ein Ende von Lohn- und Sozialdumping!
Wir wollten in jedem Land die Forderungen stellen, die die ArbeitnehmerInnen brauchen, um sich geborgen zu fühlen",
unterstrich Thorwaldsson.
Dies hänge auch mit der Flüchtlingsfrage zusammen, denn wo Menschen von Arbeitslosigkeit und niedrigen
Löhnen gefährdet werden, leidet die soziale Kompetenz eines Landes darunter. "Diese drei Länder,
Österreich, Deutschland und Schweden, haben in der EU den größten Mut gezeigt, die Flüchtlingsproblematik
zu lösen. Für uns steht fest:
Alle sollen die Chance auf eine faire Antragsprüfung haben." Thorwaldsson stellte abschließend
klar: "Dieses Treffen ist ein Signal, dass Politik und Gewerkschaften jetzt aufstehen müssen, um soziale
Geborgenheit zu schaffen. Das war nie wichtiger als jetzt in Europa."
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