Verfassungsausschuss billigt gemeinsamen Antrag von SPÖ, ÖVP und Grünen
Wien (pk) - Das von der Regierung angestrebte Durchgriffsrecht des Bundes in Bezug auf die Bereitstellung
von Flüchtlingsquartieren hat die erste parlamentarische Hürde genommen. Im Verfassungsausschuss des
Nationalrats stimmten am 16.09. neben den Antragstellern auch die NEOS einem entsprechenden Gesetzesantrag von
SPÖ, ÖVP und Grünen zu. Damit kann sich der Nationalrat wie geplant am 23. September mit dem Gesetzentwurf
befassen. Die Abstimmung im Bundesrat könnte zwei Tage später, am 25. September, erfolgen. Auch eine
Änderung des Fremdenpolizeigesetzes passierte den Verfassungsausschuss, dabei geht es um härtere Strafen
für Schlepper.
Vor der Abstimmung wurde zur Frage des Durchgriffsrechts ein Hearing abgehalten. Dabei kritisierten nicht nur die
FPÖ und das Team Stronach das von den Koalitionsparteien und den Grünen vorgelegte Bundesverfassungsgesetz
( 1295/A), das eine gleichmäßigere Verteilung von AsylwerberInnen im Bundesgebiet sicherstellen soll.
Auch Andreas Hauer, Vorstand des Instituts für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre an der Universität
Linz, äußerte massive Bedenken, vor allem, was den Eingriff in Nachbarrechte betrifft. Er empfahl, eine
Volksabstimmung über das Gesetz durchzuführen, da seiner Meinung nach nicht ausgeschlossen werden kann,
dass der Verfassungsgerichtshof die Bestimmungen mit der Begründung aufhebt, dass eine Gesamtänderung
der Bundesverfassung vorliegt. Gerhard Hesse, Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes, sieht allerdings
keine verfassungsrechtlichen Probleme.
Grundsätzlich hinter die Intention des Gesetzentwurfs stellte sich Gemeindebundpräsident Helmut Mödlhammer.
Er forderte jedoch Vorkehrungen, um sicherzustellen, dass BürgermeisterInnen nicht zu Rechtsbrechern werden,
wenn es ihnen nicht gelingt, die im Gesetz verankerte Flüchtlingsquote zu erfüllen. Zudem darf es ihm
zufolge zu keine finanziellen Mehrbelastungen für die Gemeinden kommen.
Laut Gesetzentwurf kann der Bund künftig auf eigenen bzw. ihm zur Verfügung stehenden Grundstücken
Quartiere für hilfs- und schutzbedürftige Fremde bereitstellen, ohne dass dafür eine gesonderte
Widmung vorliegen muss. Voraussetzung dafür ist, dass das betroffene Bundesland seine Flüchtlingsquote
nicht erfüllt und in einem Bezirk weniger AsylwerberInnen untergebracht sind als es dem im Gesetz verankerten
Richtwert – 1,5% der Wohnbevölkerung – entspricht. In Frage kommen sowohl die Adaptierung bestehender Gebäude
als auch die Errichtung von Wohncontainern, wobei die Zahl der Flüchtlinge, die auf einem Gelände untergebracht
werden dürfen, mit 450 begrenzt ist. Zu bevorzugen sind Grundstücke in Gemeinden, die keine oder nur
wenige Flüchtlinge beherbergen, bzw. Grundstücke in größere Gemeinden ab 2.000 EinwohnerInnen.
Die Ersatzquartiere müssen bestimmten Kriterien Genüge tun, etwa was Hygiene, Brandschutz und Umweltverträglichkeit
betrifft. Den Bau- und Raumordnungsvorschriften der Länder muss grundsätzlich aber nicht Rechnung getragen
werden. Die Entscheidung über die Nutzung eines Grundstücks trifft das Innenministerium, die Bezirksverwaltungsbehörde
kann lediglich Auflagen erteilen, um die Einhaltung der geforderten Standards sicherzustellen.
Vorgesehen ist darüber hinaus, den Kostenersatz für die Unterbringung und Verpflegung von Flüchtlingen
ab 1. Oktober zumindest auf 20,50 € und ab 1. Jänner 2016 auf 21 € zu erhöhen. In Kraft treten soll das
Gesetz, das mit Ende 2018 befristet ist, mit 1. Oktober dieses Jahres. Einige Bedenken gegen den Entwurf wollen
SPÖ und ÖVP noch mittels eines Abänderungsantrags im Plenum des Nationalrats ausräumen.
Brandstätter fordert nachhaltige Lösung für Flüchtlingsunterbringung
Eingeleitet wurde das Hearing durch Caritas-Vertreterin Angela Brandstätter, zuständig für Flüchtlings-
und Migrationsfragen. Sie betonte, dass sich die Caritas seit langem für eine nachhaltige Lösung der
Unterbringungsfrage einsetze und in diesem Sinn das Bundesverfassungsgesetz begrüße. Bis zum Jahresende
würden rund 15.000 zusätzliche feste Quartiere benötigt, schätzt sie.
Unklar ist für Brandstätter, welche Anforderungen es an die Unterkünfte des Bundes gibt. Sie fordert
hier klarere Regelungen. Grundsätzlich müssten die gleichen Vorgaben gelten wie für Unterkünfte
der Länder. Von den geltenden Mindeststandards dürfe höchstens vorübergehend, zur Vermeidung
von Obdachlosigkeit, abgegangen werden. Das gelte auch für die Maximalbelegung. 450 Personen auf einem Grundstück
sind für Brandstätter nur kurzfristig akzeptabel.
Allgemein wies Brandstätter darauf hin, dass sowohl die aktuellen als auch die im Gesetz vorgesehen neuen
Tagsätze für Flüchtlinge in der Regel nicht kostendeckend sind. Es müssen auch Umbauten und
Sanierungen finanziert werden, gab sie zu bedenken. Als adäquat würde sie ein Minimum von 25 € pro Erwachsenem
pro Tag erachten, plus Zuschlägen bei einer notwendigen Sonderbetreuung, etwa für psychisch kranke Personen
oder Minderjährige.
Hauer: Gesetz greift nicht nur marginal in die Verfassung ein
Massive Bedenken gegen den Gesetzentwurf äußerte der Verwaltungsrechtsexperte Andreas Hauer von der
Universität Linz. Dieser greife nicht nur marginal in die Verfassung ein, machte er geltend. Neben der Beschneidung
von Länder- und Gemeindekompetenzen hält Hauer es vor allem für problematisch, dass der Rechtsschutz
für Nachbarn mit dem Entwurf unterlaufen werde. Es gebe künftig zwei Klassen von Nachbarn, Nachbarn von
normalen Bauten wie etwa Hotels und Nachbarn von Unterbringungseinrichtungen für Flüchtlinge, skizzierte
er. Letztere seien weitgehend rechtsschutzlos gestellt, was die Frage nach dem Gleichheitsgrundsatz aufwerfe. Zumindest
bei unzumutbaren Belästigungen müssten sich die Nachbarn zur Wehr setzen können, forderte der Experte.
Hauer wies überdies darauf hin, dass das Gesetz für die Gemeinden teuer werden könnte, da sich die
Frage des Kostenersatzes stelle. Auch hält er es für fragwürdig, bei der Maximalbelegung am Grundstücksbegriff
anzuknüpfen, da Grundstücke leicht geteilt werden können. Offen ist für ihn schließlich,
was passiert, wenn die Bezirksverwaltungsbehörde keine Stellungnahme zu einem Flüchtlingsquartier des
Bundes abgibt oder sehr lange dafür braucht.
Hesse: Kompetenzen werden nur punktuell verschoben
Anders als Hauer hegt Gerhard Hesse, Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramts, keine verfassungsrechtlichen
Bedenken gegen den vorliegenden Gesetzentwurf. Für ihn besteht kein Zweifel daran, dass sich das Gesetz im
Rahmen der verfassungsrechtlichen Grundordnung bewegt, da es lediglich zu punktuellen Verschiebungen der Kompetenzen
zu Gunsten des Bundes komme. Von einer Gesamtänderung der Bundesverfassung könne keine Rede sein, eine
obligatorische Volksabstimmung sei daher nicht notwendig.
Hesse wies in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass nicht sämtliche Bau- und Raumordnungsvorschriften
der Länder suspendiert würden, sondern es ausschließlich um die Frage der Unterbringung einer bestimmten
Gruppe von Personen gehe. Man müsse zwischen der Notwendigkeit schnellen Handelns zur Schaffung von Flüchtlingsquartieren
und baurechtlichen Schutzvorschriften abwägen. Auch in Nachbarrechte wird seiner Einschätzung nach nicht
so gravierend eingegriffen, dass es bedenklich wäre. Aufmerksam machte Hesse auch darauf, dass das Gesetz
mit Ende 2018 außer Kraft tritt.
Hesse regte allerdings einige Präzisierungen im Gesetz an. So sprach er sich dafür aus, klarzustellen,
dass der Begriff hilfs- und schutzbedürftige Fremde nur auf jene AsylwerberInnen und Flüchtlinge abziele,
die auch von der Grundversorgungsvereinbarung umfasst sind.
Köfer ortet Chaos in der Kommunikation zwischen Bund und Land
Der Kärntner Landesrat Gerhard Köfer wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass Flüchtlingsströme
nichts Neues seien. Während der Balkankrise seien 115.000 Menschen nach Österreich geflüchtet und
letztendlich 60.000 geblieben, erinnerte er. Als junger Bürgermeister von Spittal an der Drau habe er 900
Menschen unterbringen müssen. Der Integrationsprozess habe über zehn Jahre gedauert, sei inzwischen aber
erfolgreich abgeschlossen.
Köfer gab zu bedenken, dass die Situation damals ohne ein Durchgriffsrecht des Bundes bewältigt werden
konnte. Die jetzige Situation sei aber eine andere, sagte er und sprach von einem "unglaublichen Chaos"
in der Kommunikation zwischen Bund und Land. Seiner Darstellung nach wurden zuletzt etwa Hunderte Flüchtlinge
nach Kärnten geschickt, ohne die Verantwortlichen zu informieren. Aufgrund der vorhandenen Infrastruktur hielte
es Köfer für sinnvoll, Kasernen für Flüchtlinge zu öffnen, eine bauliche Trennung zwischen
den Quartieren und den militärischen Einrichtungen sollte ihm zufolge kein Problem sein. Dass nur "ein
bescheidener Prozentsatz" der Kärntner Gemeinden bereit sei, Flüchtlinge aufzunehmen, führt
der Landesrat nicht zuletzt auf den Druck der Bevölkerung zurück.
Mödlhammer: Bürgermeister dürfen nicht zu Rechtbrechern gemacht werden
Gemeindebundpräsident Helmut Mödlhammer stellte sich ausdrücklich hinter die Intention des Gesetzentwurfs.
Ein gewisser Druck auf die Gemeinden, Flüchtlingsquartiere bereitzustellen, sei angesichts der Notlage, in
der sich Österreich befindet, in Ordnung, sagte er. Allerdings hat Mödlhammer in zwei Punkten Bedenken
gegen das vorliegende Gesetz. Es dürfe nicht dazu kommen, dass BürgermeisterInnen zu Rechtsbrechern werden,
wenn sie die im Gesetz verankerte Flüchtlingsquote von 1,5% nicht erreichen, mahnte er. Schließlich
gebe es Gemeinden, die wegen fehlender Infrastruktur diese Vorgabe gar nicht erfüllen könnten. Mödlhammer
befürchtet überdies eine Verpflichtung zur Kostenübernahme durch die Gemeinden.
Allgemein hielt Mödlhammer fest, die Gemeinden würden sich in einer schwierigen Situation befinden, seien
grundsätzlich aber bereit zu helfen. In den letzten Wochen sei es mit Hilfe der BürgermeisterInnen vor
Ort gelungen, eine Vielzahl von Quartieren aufzustellen. Dass zwei Drittel der österreichischen Gemeinden
keine Flüchtlinge beherbergen, wie Grün-Abgeordnete Alev Korun meinte, stimmt Mödlhammer zufolge
nicht, da Privatquartiere nicht in der Statistik aufscheinen würden. Für ihn ist jedenfalls nichts gelöst,
wolle man den Gemeinden den Schwarzen Peter zuschieben.
SPÖ, ÖVP, Grüne und NEOS stehen hinter dem Gesetz
Von Seiten der Abgeordneten stellten sich Andreas Schieder (S), Johann Singer (V), Nikolaus Scherak (N), Alev Korun
(G) und Wolfgang Gerstl (V) hinter den Gesetzentwurf. Es gehe darum, schnell und unbürokratisch Unterkünfte
für AsylwerberInnen zu schaffen, machte Schieder geltend. Seiner Meinung nach wurde die Bau- und Raumordnung
in der Vergangenheit zum Teil nur vorgeschoben, um keine Flüchtlinge aufnehmen zu müssen. Insgesamt sei
das Gesetz nur ein ultimo-ratio-Gesetz, sagte Schieder, er hoffe, dass es nicht sehr oft Anwendung finden müsse.
Namens der ÖVP hielt Abgeordneter Gerstl fest, dass außerordentliche Verhältnisse außerordentliche
Maßnahmen erforderten. Lieber wäre es ihm allerdings gewesen, wenn es, ähnlich wie beim Katastrophenschutz,
einen bereits bestehenden Mechanismus gegeben hätte, um die Bundesregierung in die Lage zu versetzen zu handeln,
sagte er. Sowohl Gerstl als auch Schieder traten dafür ein, Bedenken, die beim Hearing geltend gemacht wurden,
mittels eines Abänderungsantrags im Plenum des Nationalrats Rechnung zu tragen.
ÖVP-Abgeordneter Singer, selbst Bürgermeister, stellte sich in diesem Sinn auch hinter die Forderungen
von Gemeindebundpräsident Mödlhammer. Es dürfe in keinem Fall dazu kommen, dass Bürgermeister
wegen Verfassungsbruchs angeklagt werden, wenn sie nicht in der Lage sind, die Flüchtlingsquote zu erfüllen,
bekräftigte er. Ebenso dürften auf die Gemeinden keine zusätzlichen Kosten zukommen. Allgemein wies
Singer auf die große Hilfsbereitschaft der Gemeinden hin, nicht nur bei der aktuellen Flüchtlingswelle,
sondern auch bei vergangenen.
Von einem guten Gesetz sprach Grün-Abgeordnete Korun. Das Gesetz habe zwei Hauptstoßrichtungen, eine
menschenwürdige Unterbringung von AsylwerberInnen und eine fairere Verteilung der Schutzsuchenden auf Länder
und Gemeinden, betonte sie. Die Solidarität, die man innerhalb der EU einfordere, müsse auch innerhalb
Österreichs gelten. Korun ist überzeugt, dass jedes Bundesland, jeder Bezirk und jede Gemeinde in der
Lage ist, dafür zu sorgen, dass das vorgesehene Durchgriffsrecht des Bundes nicht zum Tragen kommen muss.
Begrüßt wurde von ihr auch, dass künftig nur feste Quartiere in die Flüchtlingsquote eingerechnet
werden.
NEOS-Abgeordneter Scherak begründete die Zustimmung zum Gesetz damit, dass man Rechte abwägen müsse.
Er verstehe, dass es Bedenken gegen das Gesetz gebe, sagte er, Zustände, wie es sie in den vergangenen Wochen
in Traiskirchen gegeben habe, seien aber untragbar.
FPÖ und Team Stronach gegen Durchgriffsrecht des Bundes
Massive Kritik am Gesetz übte demgegenüber die FPÖ. Sowohl Abgeordneter Harald Stefan als auch Abgeordneter
Gernot Darmann orten nicht nur einen massiven Eingriff in die Verfassung, was Länder- und Gemeindekompetenzen
betrifft, sondern auch einen Eingriff in Nachbarrechte. Man könne nicht einfach derartig über die Bevölkerung
hinwegfahren, warnte Darmann und machte sich gemeinsam mit Stefan für eine Volksabstimmung stark.
Stefan und Darmann orten darüber hinaus auch noch andere offene Fragen. So fällt nach Ansicht von Stefan
durch den Begriff "hilfs- und schutzbedürftige Fremde" ein unbestimmter Personenkreis unter das
Gesetz. Auch was ein Grundstück ist, sei undefiniert. Die 1,5%-Quote könne von der Regierung jederzeit
und unangekündigt angehoben werden. Offen ist für die FPÖ auch, inwiefern die Gemeinden zu Kostenersatz
verpflichtet sind.
Kritik kam auch von Team-Stronach-Abgeordneter Waltraud Dietrich. Angesichts des Ausmaßes der "Völkerwanderung"
brauche es BürgermeisterInnen und die Bevölkerung, die das Ganze mittragen, hielt sie fest. Das vorliegende
Gesetz ist für sie aber ein Schritt zur Eskalation, sie sieht im Durchgriffsrecht Potenzial, die Bevölkerung
auseinanderzudividieren. Man könne auch nicht die Bau- und Raumordnung bei der Bereitstellung von Flüchtlingsquartieren
aushebeln, während gleichzeitig private Bauherren oftmals schikaniert würden, meinte sie.
Mikl-Leitner und Ostermayer begrüßen Beschluss
Ausdrücklich begrüßt wurde der Beschluss von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Kanzleramtsminister
Josef Ostermayer. Ostermayer wies darauf hin, dass im August so viele Flüchtlingsquartiere wie nie zuvor bereitgestellt
wurden, und äußerte die Vermutung, dass die Diskussion über das Durchgriffsrecht dazu beigetragen
haben könnte, dass BürgermeisterInnen die Unterbringung von Flüchtlingen in ihrer Gemeinde leichter
gegenüber der Bevölkerung argumentieren konnten. Mikl-Leitner hat in diesem Sinn die Hoffnung, dass das
Gesetz letztendlich gar nicht angewendet werden muss.
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