Innenministerin Mikl-Leitner drückt bei
 Flüchtlingsquote aufs Tempo

 

erstellt am
17. 09. 15
09:00 MEZo

Uneinigkeit über Verteilungsschlüssel auch im EU-Unterausschuss des Nationalrats
Wien (pk) - "Tempo in die Sache bringen" will Innenministerin Johanna Mikl-Leitner beim Ratstreffen Justiz und Inneres am 22.09. zur Flüchtlingsverteilung in der Europäischen Union. Für eine faire und nachhaltige Quotenlösung brauche es aber noch viel Überzeugungsarbeit bei mehreren EU-Ländern, denn selbst wenn eine Einigung mit Mehrheitsbeschluss zustande gebracht wird, gestalte sich die Umverteilung von Flüchtlingen im Unionsraum ohne Einstimmigkeit "umso problematischer", sagte sie am 16.09. im EU-Unterausschuss des Nationalrats. Möglicherweise seien dann die Staats- und Regierungschefs gefordert, im Europäischen Rat eine rasche Lösung herbeizuführen.

Die Auffassung, dass noch intensiv an einer tragbaren EU-Flüchtlingspolitik gearbeitet werden muss, teilten grundsätzlich alle Fraktionen im Ausschuss. Bei den erforderlichen Maßnahmen gibt es aber teils große ideologische Gegensätze. So setzte dem SPÖ-Aufruf für mehr Solidarität bei der Flüchtlingsverteilung die FPÖ eine klare Absage von "Zwangsquoten" entgegen und verschriftlichte dies in einem Antrag, der aber nur vom Team Stronach mitunterstützt wurde. Ebenfalls in der Minderheit blieben die Grünen mit ihrem Appell für Möglichkeiten der legalen Einreise Schutzsuchender nach Europa im Rahmen eines gemeinsamen EU-Asylsystems inklusive Quotenregelung. Diesen Antrag trugen lediglich die NEOS mit. Die Redner der Volkspartei schließlich betonten die aktuellen Initiativen zur Grenzsicherung.

Grundlage der Ausschussdebatte war das jüngste EU-Sondertreffen des Rats Justiz und Inneres zur weiteren Vorgangsweise angesichts der zunehmenden Flüchtlingsbewegungen nach Europa. Die dort gefundene Grundsatzeinigung, 120.000 Flüchtlinge gerecht auf die EU-Staaten aufzuteilen, wertet Mikl-Leitner lediglich als "Sofortmaßnahme", nicht als Dauerlösung. Geeinigt hat man sich im Rat zudem auf einen Zeitplan, Hot-Spots zur Registrierung der Schutzsuchenden in Grenzländern der Union einzurichten. Keinen Konsens unter den EU-Mitgliedsstaaten gibt es bislang über verbindliche Flüchtlingsquoten.

Verteilung Asylsuchender in der EU funktioniert nur mit gemeinsamen Standards
"Europa scheitert an der Flüchtlingsfrage, oder wir schaffen das gemeinsam" – mit diesem Satz fasste Innenministerin Mikl-Leitner die gegenwärtige Lage in der Europäischen Union angesichts der sich täglich steigernden Zahl an Schutzsuchenden zusammen. "So rasch wie möglich" seien nun an den EU-Außengrenzen Zentren zur Identifizierung und Registrierung Asylsuchender einzurichten, Italien und Griechenland hätten die Umsetzung derartiger Hot-Spots bereits für die nächsten Tage zugesagt. Die EU leiste hier finanzielle und personelle Unterstützung. Damit die Weiterverteilung von Flüchtlingen von diesen Registrierungsstellen aus funktioniert, seien einheitliche Standards nötig, sowohl hinsichtlich Versorgung der Flüchtlinge als auch der Definition sicherer Drittstaaten, ist Mikl-Leitner einer Meinung mit Petra Bayr (S). Die Ministerin betonte dabei allerdings, EU-Asylstandards bedingten auch, dass AsylwerberInnen nicht mehr selbst zwischen den Aufnahmestaaten wählen können. Zu den von Bayr angesprochenen Maßnahmen für Integration von Personen mit Asylstatus meinte die Ministerin, maßgeblich sei bei der Verteilung von hilfs- und schutzbedürftigen Flüchtlingen nicht zuletzt, in welchem Land sie am besten integriert werden können, etwa hinsichtlich Sprache oder Qualifikationen. Mit dem kürzlich von der Regierung beschlossenen Integrationspaket nehme man daher in Österreich schon konkrete Maßnahmen in Angriff, vom Schulbereich bis zum Arbeitsmarkt.

Als eines der größten Hindernisse für eine gleichwertige Verteilung Schutzsuchender in Europa wertete Albert Steinhauser (G) das geltende Dublin-System zur Rückführung Asylwerbender in Erstaufnahmestaaten der EU. Fraglos sei diese Übereinkunft unter den EU-Staaten bei den Anstrengungen für eine gerechte Aufteilung der Flüchtlingsversorgung nicht zielführend, bestätigte Mikl-Leitner. Sie unterstütze daher die bis Ende des Jahres geplante Evaluierung der Regelung. Ohne bessere Lösung halte Österreich jedoch an den Dublin-Vorgaben fest, auch in Bezug auf Rückführungen nach Ungarn, wo von ihrem Ressort dieser Tage die humanitäre Situation der AsylwerberInnen abgeklärt werde, so die Ministerin. Letztlich sei jede Rückführung im konkreten Fall zu entscheiden.

Grenzkontrolle und Quotenverteilung: Knackpunkte der Flüchtlingsdiskussion
"Grenzkontrollen lösen das Problem auch nicht", kritisierte FPÖ-Mandatar Johannes Hübner den aktuellen Einsatz von Polizei und Bundesheer an der österreichischen Grenze zu Ungarn. Die Flüchtlingssituation in Europa gerate tatsächlich völlig außer Kontrolle, nicht zuletzt aufgrund der ihm zufolge verfehlten Abschiebepolitik in der EU, "Kommen heißt Bleiben". In seinem Antrag auf Stellungnahme deponierte Hübner unter anderem seine Absage an ein EU-Quotensystem zur Flüchtlingsverteilung und forderte, dass Asylsuchende in ihren eigenen Regionen versorgt werden. Ungarn solle von der Bundesregierung in seiner Haltung gegenüber den Flüchtlingen unterstützt werden, heißt es in dem Antrag weiter, da das Land als einziges das Dublin-System befolge. Rückhalt für die derzeitigen Grenzkontrollen der Exekutive erhielt die Ministerin hingegen von Rouven Ertlschweiger (V): Man setze damit ein wichtiges Signal, "nicht jeder kann kommen". Ähnliche Schritte zur Grenzsicherung seien wohl auch im Süden Österreichs nötig, vermutete Johann Singer (V) mit Hinweis auf die geänderten Flüchtlingsrouten über die Balkanländer. "Wir müssen die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen", wandte sich Team Stronach-Mandatarin Waltraud Dietrich gänzlich gegen eine ungeregelte Aufnahme von Asylwerbenden, ansonsten werde die Gesellschaft immer mehr polarisiert.

Scharfe Kritik am Antrag der Freiheitlichen kam von SPÖ, Grünen und NEOS, ungeachtet des Einwurfs Wendelin Mölzers (F), die Forderungen darin entsprächen dem "Willen der Bevölkerung". "Der FPÖ-Antrag spricht gegen alles, worum sich Österreich und die EU derzeit bemühen", brachte Hannes Weninger (S) seine Sicht auf den Punkt. Hübner habe offenbar den seit vier Jahren in Syrien tobenden Krieg vergessen, zeigte sich Alev Korun (G) bestürzt und ihre Parteikollege Albert Steinhauser zog nach, 90% der syrischen Flüchtlinge befänden sich am asiatischen Kontinent. Europa brauche zur Flüchtlingsversorgung nicht nur ein faires, ausgewogenes System mit Quoten, sondern auch legale Einreisemöglichkeiten für Menschen, die vor Krieg, Verfolgung oder unmenschlichen Bedingungen in Massenlagern der Region fliehen, appellierte die Grüne Asyl-Sprecherin mit einem Antrag auf Stellungnahme ihrer Fraktion. Weitere Forderungen der Grünen stellen auf einen sicheren Korridor für Überfahrten von Flüchtlingen über das Mittelmeer ab, und zwar im Rahmen eines ausgeweiteten EU-Seenotrettungsprogramms. Als "inakzeptabel" bezeichnete Korun demgegenüber militärisches Vorgehen der EU zur Abwehr von Schlepperbooten.

Hinsichtlich Verteilungsschlüssel bekräftigte Nikolaus Scherak (N), ohne Quoten auf EU-Ebene sei die Situation nicht in den Griff zu bekommen. Seine Nachfrage an Mikl-Leitner, wie vorzugehen ist, wenn im kommenden Rat erneut keine entsprechende einstimmige Einigung erzielt wird, beantwortete die Ministerin mit dem Hinweis auf die Problematik einer gerechten Verteilung ohne Zustimmung aller beteiligten Länder. An Korun gerichtet, meinte die Ministerin, sie teile die Ansicht, dass Europa legale und sichere Wege nach Europa für Schutzsuchende schaffen müsse. Schon vor einem Jahr habe sie darauf hingewiesen, dass die EU im Zusammenhang mit der Asylpolitik Reformen brauche, ging Mikl-Leitner näher auf ihre Initiative "Save Lives" ein. Diese Anregung sei auf EU-Ebene angekommen worden und teilweise in den EU-Aktionsplan eingeflossen. In Niger gebe es sogar Pläne für ein Zentrum zur Erstabklärung der Asylchancen, sodass Menschen nicht auf der Flucht über das Mittelmeer ihr Leben riskieren müssen, um einen Asylantrag in Europa zu stellen, informierte die Ministerin. Militärisches Vorgehen gegen Schlepper zur See ziehe die EU derzeit mangels UN-Mandat nicht in Betracht.

Das "Flüchtlingsproblem" sei vor allem ein menschliches, erinnerte SPÖ-Sicherheitssprecher Otto Pendl: "Der Winter kommt und es wird kalt!". Eine humanitäre Lösung sei nur im solidarischen Wirken in allen Bereichen möglich, also auf staatlicher, europäischer und internationaler Ebene.

Ursachen der Flucht nur global behebbar
Neben den innereuropäischen Herausforderungen der Flüchtlingspolitik beschäftigten sich die EU-Länder natürlich auch mit den Ursachen, die Menschen zum Verlassen ihrer Region zwingen, versicherte Innenministerin Mikl-Leitner. In diesem Sinne würden EU-Gelder in der Höhe von 1,8 Mrd. € zur Unterstützung der nordafrikanischen Länder freigemacht, wies sie auf die kommende EU-Afrika-Konferenz in der maltesischen Hauptstadt Valletta hin, auch um die Rückführung von Personen zu ermöglichen. Mehr finanzielle Hilfen gebe es überdies zur Verbesserung der Lage in den Flüchtlingszentren der syrischen Nachbarländer, Österreich wolle dafür die Beiträge an das Flüchtlingshochkommissariat UNHCR aus dem Auslandskatastrophenfonds erhöhen. Auf EU-Ebene sei als "Richtgröße" für Mittel an regionale Aufnahmezentren 1 Mrd. € in Diskussion, informierte sie Barbara Rosenkranz (F).

Für Fortschritte in den Friedensverhandlungen zum Krieg in Syrien setzt Mikl-Leitner große Hoffnungen in die UN-Generalversammlung, die in zwei Wochen tagt. Nicht nur gelte es, einen Waffenstillstand zu erzielen, auch der Kampf gegen die Terrormiliz IS sei zu verstärken.

Zur außereuropäischen Dimension der Migrationsbewegungen wiesen Petra Bayr (S) und Alev Korun (G) auf die besorgniserregenden Bedingungen in den Flüchtlingslagern rund um Syrien hin, wo als Folge der UNHCR-Mittelkürzungen drastische Versorgungsengpässe den Menschen zusetzen. Bayr machte außerdem auf die Situation von Frauen und Mädchen in den Lagern aufmerksam, die dort etwa kaum vor Vergewaltigung geschützt seien.

 

 

 

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