EU-Abgeordnete nützten heute erstmals Rederecht in Europastunde des Nationalrats
Wien (pk) - Die Flüchtlingsbewegungen sind zu bewältigen, aber nur gemeinsam. Davon waren am 23.09.
in der Aktuellen Europastunde des Nationalrats jedenfalls vier der österreichischen EU-Abgeordneten - nämlich
Evelyn Regner (S), Othmar Karas (V), Ulrike Lunacek (G) und Angelika Mlinar (N) - überzeugt. Im Gegensatz
dazu sah Harald Vilimsky (F) keinerlei Lösungskompetenz innerhalb der EU.
Einzelmaßnahmen reichen nicht aus, man brauche für die Zukunft ein Gesamtpaket, sagte etwa Karas. Für
Regner ist die Flüchtlingskrise ein europäisches Problem, das man nur solidarisch lösen könne.
In diesem Sinne begrüßte Lunacek, wie später auch einige Nationalratsabgeordnete, die gestrige
Mehrheitsentscheidung der InnenministerInnen zur Aufteilung von 120.000 Flüchtlingen. Das sei ein wichtiger
Schritt gegen die Blockadepolitik, meinte sie. Mlinar appellierte wiederum für eine vorausschauende europäische
Politik. Europa habe zur Zeit der EG bestens funktioniert, mit dem zentraleuropäischen Kurs hätte die
Probleme begonnen, meinte hingegen Vilimsky.
Das Thema der Europastunde lautete: "Die europäische und internationale Dimension der Flüchtlingskrise".
Anwesend waren nur fünf EU-Abgeordnete, weil das Team Stronach über keine Vertretung im Europäischen
Parlament verfügt.
Bures: Rederecht der EU-Abgeordneten wird heute mit Leben erfüllt
Österreichische Mitglieder des Europäischen Parlaments hatten heute erstmals die Möglichkeit, während
einer Aktuellen Europastunde das Wort zu ergreifen. Möglich gemacht hat dies eine Änderung der Geschäftsordnung,
die mit 1. August 2015 in Kraft getreten ist.
"Wir erfüllen nun dieses Recht mit Leben", betonte die Vorsitz führende Nationalratspräsidentin
Doris Bures. Dieser direkte Meinungsaustausch europäischer und österreichischer Mandatare und Mandatarinnen
wurde auch im Laufe der Debatte des Öfteren von RednerInnen ausdrücklich begrüßt. Nicht ganz
zufrieden zeigten sich die EU-Abgeordneten mit ihren Sitzplätzen rechts und links des Präsidiums. Diese
Regelung ist auch noch nicht fix. Wie die Nationalratspräsidentin bereits im Vorfeld anagekündigt hatte,
wird man den Verlauf der heutigen Debatte evaluieren und eine endgültige Entscheidung in der nächsten
Präsidiale treffen, wo die EU-Abgeordneten bei künftigen Nationalratsdebatten ihren Sitz einnehmen.
Karas für neuen "Wiener Kongress"
Gerade bei der aktuellen Diskussion über die Flüchtlingsströme sehe man, wohin fehlende Entscheidungsmechanismen
und Egoismen führen, übte Othmar Karas (V) Kritik an manchen Äußerungen und Vorgangsweisen
seitens einiger Mitgliedstaaten und zeigte sich überzeugt davon, dass diese große Herausforderung nur
gemeinsam bewältigbar ist, und zwar mit einem Gesamtpaket. Einzelmaßnahmen reichten nicht aus. Flüchtlingsaufnahme,
Unterbringung und Schlepperbekämpfung seien nur die Spitze des Eisbergs. Notwendig seien Grenzschutz, Ursachenbekämpfung,
legale Migrationsmöglichkeiten, Antragszentren in Krisenregionen, einheitliche Asyl- und Sozialstandards,
eine gemeinsame Liste sicherer Drittstaaten, neue Ansätze in der Integrationspolitik, eine Änderung der
Entscheidungsmechanismen. Dazu gehöre ferner, die Einstimmigkeit im Rat durch Mehrstimmigkeit zu ersetzen
und den Rat zu einem Senat zu machen, fasste Karas die aus seiner Sicht notwendigen Schritte zusammen.
Karas appellierte, die aktuelle Situation als eine "Geburtsstunde der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
und einer gemeinsamen Migrations- und Asylpolitik" zu nützen. Er rief den Nationalrat dazu auf, als Motor
für diese Entwicklung zu fungieren und einen "Wiener Kongress" zur Zukunft Europas einzuladen.
Regner: Notwendig ist Hilfe vor Ort
Ähnlich die Linie von Evelin Regner (S), die explizit auf die Beschlüsse des Europäischen Parlaments
hinwies, die den Weg zum gestrigen Beschluss der InnenministerInnen geebnet hätten. Ein einheitliches Migrations-
und Asylsystem, sichere Korridore und Hilfe vor Ort stehen auch ganz oben auf der Prioritätenliste Regners.
Von größter Notwendigkeit erachtet sie Hilfe vor Ort, vor allem in Jordanien, im Libanon und in der
Türkei. Regner forderte daher eine entsprechende Aufstockung der finanziellen Mittel.
Lunacek: "Solidarität ist in den Primärverträgen verankert"
"Solidarität ist in den Primärverträgen verankert", unterstrich die Vizepräsidentin
des Europäischen Parlaments, Ulrike Lunacek (G), die sich ausdrücklich hinter den gestrigen Mehrheitsbeschluss
der InnenministerInnen stellte und vor allem eine gemeinsame Migrations- und Asylpolitik einforderte. Europa sei
ein Einwanderungskontinent, unterstrich sie und zeigte auch großes Verständnis für jene Menschen,
die in anderen Ländern bessere wirtschaftliche Bedingungen suchen. In diesem Sinne kritisierte sie einmal
mehr die ihrer Ansicht nach zu geringen Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit
Mlinar: Europa ist bisher den Problemen hinterhergelaufen
Die europäische Politik sei nicht zuletzt in der Flüchtlingsfrage den realen Ereignissen hinterhergelaufen,
bemängelte Angelika Mlinar (N) und forderte eindringlich, alle Anstrengungen zu unternehmen, um in Hinkunft
zwei bis drei Schritte voraus zu machen. Eine Schließung der Grenzen und die Errichtung von Zäunen funktioniert
nicht, so die EU-Abgeordnete, eine solche Vorgangsweise verschaffe nur Schleppern Arbeit. Mlinar trat insbesondere
für die Öffnung der Botschaften zur Annahme von Asylanträgen ein. Auch sie zeigte sich mit der von
den InnenministerInnen beschlossenen Aufteilung der Flüchtlinge zufrieden.
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Vilimsky: Österreich hat alle Regeln gebrochen
Ganz und gar nicht in diesen Kanon gemeinsamer europäischer Politik passte die Wortmeldung des freiheitlichen
EU-Abgeordneten Harald Vilimsky. Er hält den Schritt von der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen
Union für falsch und ortet darin den Grund für vielfache Probleme. Europa manifestiere sich derzeit durch
Zank und Hader zwischen Ländern, die früher in Freundschaft verbunden waren, so Vilimsky, der scharfe
Kritik auch am Vorgehen der österreichischen Regierung übte. Diese verwechselt ihm zufolge Asylsuchende
mit Einwanderern und lässt alle herein. Damit breche man alle Regeln. Grundsätzlich ist für Vilimsky
Asyl nur Schuss auf Zeit.
Außenminister Kurz: Flüchtlinge können sich Zielland nicht aussuchen
Ebenso unterstrich Außenminister Sebastian Kurz die Notwendigkeit, Strategien zu entwickeln, um mehr
humanitäre Hilfe vor Ort bereitzustellen. Er sprach sich auch dafür aus, in den betroffenen Regionen
Asylanträge stellen zu können, denn derzeit kämen nur jene nach Europa, die an fittesten sind und
über das Geld verfügen, um Schlepper zu bezahlen. Ferner drängte er darauf, bei der Ursache anzusetzen,
nämlich beim IS-Terror und beim Krieg in Syrien. Der Außenminister machte zudem klar, dass es in Zukunft
für Flüchtlinge nicht mehr möglich sein dürfe, sich das Zielland auszusuchen. Kurz forderte
weiters eine funktionierende Kontrolle der Außengrenzen.
SPÖ: Schlüssel der aktuellen Problematik liegt in der Türkei
Die Wortmeldungen der Europa-Abgeordneten spiegelten sich in den Redebeiträge der jeweiligen Fraktionen wieder.
So unterstrich SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder die Genfer Flüchtlingskonvention sowie die EMRK als unverrückbare
Grundlagen fundamentaler Menschenrechte, die auch eine Verantwortung darstellen. Die Flüchtlingsströme
sind ihm zufolge eine Frage, die man bewältigen könne. Es habe sich aber gezeigt, dass das Europäische
System so nicht funktioniert, wie man sich das erwartet hat, stellte er fest. Schieder kritisierte in diesem Zusammenhang
die Kürzungen für das UNHCR und das Welternährungsprogramm der UNO und sprach sich dezidiert gegen
die Errichtung neuer Grenzzäune in Europa aus.
In gleicher Weise liegt für Josef Cap (S) der Schlüssel für die aktuelle Problematik in der Türkei,
die man finanziell unterstützen müsse. Cap lenkte in seiner Rede jedoch den Blick auf die globale Politik
und appellierte, das Problem an der Wurzel anzugehen. Die aktuelle Flüchtlingssituation ergebe sich aus dem
"postkolonialen Murx" und der Politik der Großmächte USA und Russland, sagte Cap. Die EU wiederum
habe es verabsäumt, einen entsprechenden Druck zur Einberufung einer internationalen Konferenz auszuüben,
wo alle an einem Tisch sitzen. Als zynisch bewertete er die Politik der Golfstaaten, die keine Flüchtlinge
aufnehmen, aber Geld für 250 Moscheen in Deutschland bereitstellen wollen.
ÖVP: Kein Asyl à la carte
"Die einfachen Lösungen sind nicht immer die richtigen und die richtigen Lösungen nicht immer die
einfachen." So leitete ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka seine Rede mit Kritik an der FPÖ ein und
setzte dem die Linie der ÖVP entgegen, die ehrliche Antworten geben wolle. In diesem Zusammenhang wies Lopatka
auf das 8-Punkteprogramm seiner Partei hin. Darin wird die Solidarität mit den Notleidenden gefordert und
dem Asylmissbrauch wie dem Asyl à la carte eine klare Absage erteilt. Ferner setzt sich die ÖVP für
eine verstärkte Bekämpfung der Schlepper, eine Konfliktlösung vor Ort, den Aufbau von Schutzzonen,
einen verstärkten Schutz der EU-Außengrenzen und eine faire Verteilung der Flüchtlinge innerhalb
Europas ein. Man müsse alle Schritte unternehmen, und alle Bestregungen unterstützen, um den Krieg in
Syrien einzudämmen. Lopatka hält es für unerlässlich, die EU-Außengrenzen zu schützen.
Auf Grund der gegenwärtiger Ausnahmesituation und im Interesse der inneren Ordnung verteidigte er, dass Schengen
kurzfristig außer Kraft gesetzt wurde. Lopatka ließ keinen Zweifel daran, dass nur jene Schutz bekommen
können, die vor Krieg fliehen und politisch verfolgt werden. Alle illegal Einreisenden müssten wissen,
dass sie zurückgeführt werden.
Ähnlich argumentierte sein Klubkollege Werner Amon, der meinte, es gehe um eine humanitäre Lösung,
aber auch darum, die Rechtsstaatlichkeit zu sichern. Amon plädierte dafür, das Problem gemeinsam und
jenseits der politischen Farbenkonstellation zu lösen und zeigte Verständnis dafür, dass Ungarn
versucht, seine Grenzen zu schützen. Für klare Spielregeln sprach sich seitens der ÖVP Claudia Durchschlag
aus. Österreich und die EU können nicht alle Wirtschaftsflüchtlinge aufnehmen, sagte sie und trat
für Asyl auf Zeit sowie eine faire Verteilung, eine gemeinsame Sicherung der Außengrenzen sowie Ursachenbekämpfung
und Hilfe vor Ort ein.
FPÖ: Wir haben eine Völkerwanderungskrise
Um ein Problem zu lösen ist es wichtig, das Problem zu erkennen. Das sei aber derzeit nicht der Fall, umriss
Johannes Hübner (F) die Sicht seiner Fraktion. Roman Haider (F) sprach von einer "Völkerwanderungskrise".
Man habe seit Jahren den Flüchtlingen signalisiert, dass sie nicht zurückgeschickt werden, sagte Hübner.
Ob tatsächlich ein Asylgrund vorliegt, ist seiner Meinung nach nicht wirklich feststellbar. Hübner zeichnete
ein Bedrohungsszenario von mehreren Millionen potentiellen Flüchtlingen und Einwanderern nach Europa, was
man mit der Errichtung von Hotspots nicht bewältigen könne. Er rief daher dazu auf, den Mut zu haben,
ehrlich zu sagen, dass Europa kein Einwanderungskontinent ist.
Haider wies darauf hin, dass Asyl klar definiert sei und es bereits nach geltendem Recht nur auf Zeit vergeben
werden könne. Asyl in Österreich könne syrischen Flüchtlingen deshalb nicht gewährt werden,
weil sie aus sicheren Drittstaaten kommen, stellte Haider fest. Viele kämen nur aus wirtschaftlichen Interessen.
Österreich habe durch seine Vorgangsweise in den letzten Tagen daher sein eigenes Asylgesetz, die Genfer Flüchtlingskonvention
und das Völkerrecht gebrochen und den illegalen Weitertransport von Flüchtlingen organisiert. Österreich
habe seine Souveränität aufgegeben, so das Fazit Haiders.
Grüne: Wir haben eine Verantwortungskrise
Wir haben eine Verantwortungskrise, konterte Tanja Windbüchler-Souschill (G). Die internationale Staatengemeinschaft
habe zu lange zugesehen und Lösungsvorschläge nicht weiter verfolgt, so ihr Vorwurf. Gleichzeitig prangerte
sie den Stellvertreterkrieg in Syrien an sowie die vermehrten Waffenlieferungen. Windüchler-Souschill zeigte
zwar Verständnis für die Schwierigkeiten Ungarns, die Errichtung von Zäunen hält sie aber für
nicht akzeptabel.
Wie bereits Ulrike Lunacek begrüßte auch Alev Korun (G) die gestrige Mehrheitsentscheidung der EU-InnenministerInnen.
Das ist ihrer Ansicht nach ein Schritt in Richtung gemeinsame Asylpolitik und gemeinsame Verantwortung. Gemeinsame
Asylpolitik ist machbar, zeigte sie sich überzeugt und forderte einheitliche Asylstandards, einen einheitlichen
Asylstatus, legale Fluchtwege und die Wiedereinführung des Botschafts-Asyls. Sowohl Korun als auch Windbüchler-Souschill
drängten auf mehr Hilfe vor Ort und die Aufstockung der Gelder für das Welternährungsprogramm.
NEOS: Legale Wege für Asylwerbende
Große Versäumnisse orteten auch die Redner der NEOS. Man müsse wissen, wer über die Grenze
kommt, sagte Matthias Strolz und forderte eindringlich, gemeinsam Verantwortung für die EU-Außengrenzen
zu übernehmen und eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu etablieren. Wie einige Redner zuvor
plädierte er für legale Wege für AsylwerberInnen da man heute die Betroffenen in die Illegalität
und in die Hände der Schlepper zwinge. Gleichzeitig müsse man deutlich sagen, dass illegal Einreisende
nicht bleiben können. In diesem Sinne trat Gerald Loacker (N) für eine Steuerung der Zuwanderung ein
und nannte Kanada und Schweden als beispielgebend. Europa habe noch keinen Zugang zum Thema Migration gefunden,
bedauerte er.
Team Stronach: Hilflosigkeit nationaler und europäischer Politik
Ähnlich wie die FPÖ kritisierte auch das Team Stronach die Öffnung der Grenzen für die Flüchtlingen
aus sicheren Drittstaaten. Für Christoph Hagen (T) liegt das Grundproblem in der "Einladung" von
Bundeskanzlerin Merkel, auf die Europa nicht vorbereitet gewesen sei. In Österreich sei es ein Trugschluss
gewesen, dass alle Flüchtlinge nach Deutschland gehen, sagte Hagen und warnte vor der großen Zahl der
Wirtschaftsflüchtlingen, die vor allem aufgrund der sozialen Versorgung kommen. Hagen möchte auch viel
mehr Griechenland in die Pflicht bei der Registrierung der Flüchtlinge nehmen. Was wir jetzt erleben, ist
die Hilflosigkeit nationaler und europäischer Politik, fasste Waltraud Dietrich die Sicht des Team Stronach
zusammen. Man wisse nicht, was noch komme und man dürfe die Augen nicht davor verschließen, dass der
Flüchtlingsstrom Europa und Österreich verändern werde. Dietrich verteidigte den Weg Ungarns als
legitim, weil die EU ihren Verpflichtungen nicht nachkomme.
Als letzte zu Wort meldete sich Jessi Lintl (o.F.), die Hilfe vor Ort, die Sicherung der Außengrenzen, eine
faire Verteilung der Flüchtlinge und einen Migrationsplan einforderte.
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