Nationalrat: Opposition beklagt Vererbung der Bildungschancen in Österreich
Wien (pk) - Für die konsequente Weiterentwicklung des Bildungssektors in Richtung mehr Chancengerechtigkeit
setzten sich die SPÖ-Abgeordneten im Rahmen einer Aktuellen Stunde ein, die am Beginn der Nationalratssitzung
vom 23.09. stand. Es gelte, Schwächere zu fördern und Starke zu fordern; kein Kind dürfe auf der
Strecke bleiben, lautete der Tenor. Neben den Neuerungen des heimischen Schulsystems in den letzten Jahren fand
auch die Asylthematik ihren Niederschlag in der Debatte, da heuer knapp 6.000 Flüchtlingskinder in das Bildungssystem
integriert werden müssen. Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek verwies auf zusätzliche Unterstützungsangebote,
die aus dem "Integrationstopf" finanziert werden, und hieß ausdrücklich alle Kinder im heimischen
Schulsystem herzlich willkommen. Die VertreterInnen der Oppositionsparteien warfen der Regierung Realitätsverweigerung
vor, da die echten Probleme nicht angegangen würden.
Grossmann: "Schulstart - Innovative Wege für mehr Chancengerechtigkeit"
Im September hat für 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche sowie für 115.000 LehrerInnen wieder das Schuljahr
begonnen, erklärte einleitend SPÖ-Mandatarin Elisabeth Grossmann. Diese Zahlen belegen, dass Österreich
auch im internationalen Vergleich ein hervorragendes Betreuungsverhältnis aufweise. Sie halte dies für
sehr wichtig, da heutzutage dem System Schule unheimlich viel abverlangt werde und nicht nur Wissensvermittlung
im Vordergrund stehe, sondern vor allem auch soziales Lernen, Stärkung der Persönlichkeit oder der Erwerb
von Problemlösungskompetenzen. Grossmann war überzeugt davon, dass sich der Bildungssektor in den letzten
Jahren umfassend und positiv weiterentwickelt habe, was man u.a. an der Einführung des verpflichtenden Kindergartenjahres,
der Lehre mit Matura, den Sprachförderungsangeboten, der neuen PädagogInnenausbildung oder dem kostenfreien
Nachholen von Bildungsabschlüssen deutlich erkennen könne. Es handle sich dabei um ganz wichtige Schritte
in Richtung mehr Chancengerechtigkeit, betonte die SPÖ-Abgeordnete.
Da sich die Lebensformen in den letzten Jahrzehnten stark verändert haben und die Berufstätigkeit beider
Eltern zur Norm geworden ist, müsse auch das System Schule dieser Entwicklung Rechnung tragen. Grossmann hielt
es daher für wichtig, dass das Angebot ganztägiger Schulformen mit Hilfe der Länder und Gemeinden
weiter ausgebaut werde. Sie würde sich aber wünschen, dass sich die echte ganztägige Schule, also
der Unterricht in einer verschränkten Form, noch mehr durchsetzt. Da nunmehr auch Vereine und SporttrainerInnen
in den Schulen tätig werden können, hänge es nicht mehr vom Wohnort oder dem Geldbörserl der
Eltern ab, ob jemand eine Sportart erlernen könne. Auch die Schule ohne Schultasche werde immer mehr zur Realität,
da die Hausaufgaben vor Ort erledigt werden können. Gleichzeitig dürfe man auf die behinderten Kinder
nicht vergessen, die ein Recht auf gleichberechtigte Teilhabe und bestmögliche Förderung haben.
Grossmann bekannte sich klar dazu, dass die Schule ein Ort sei, wo Leistung verlangt wird und auch verlangt werden
muss, um die Jugend darauf vorzubereiten, in einem internationalen Wettbewerb zu bestehen. Aus diesem Grund werde
auf die Erfüllung vergleichbarer Leistungsstandards noch größerer Wert gelegt. Die standardisierte
Reifeprüfung (Zentralmatura) komme nun flächendeckend auch in den berufsbildenden höheren Schulen,
informierte Grossmann. Schließlich dankte sie noch allen Beteiligten dafür, dass die schulische Integration
von 5.800 neuen Flüchtlingskindern (0,74 % aller schulpflichtigen Kinder) bis jetzt hervorragend bewältigt
wurde.
Heinisch-Hosek lobt guten Start der Zentralmatura und kündigt Angebote für Flüchtlingskinder
an
Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek war ebenfalls überzeugt davon, dass im österreichischen Bildungssystem
in den letzten Jahren ganz neue und positive Wege beschritten wurden. So haben sich heuer zum ersten Mal alle 45.000
MaturantInnen einer standardisierten, vergleichbaren Abschlussprüfung unterzogen. Damit werde nicht nur der
Gang an die Fachhochschulen und Universitäten erleichtert, sondern auch der Weg ins Ausland, was heutzutage
immer wichtiger werde. Die Zentralmatura bringe ihrer Meinung nach mehr Entlastung für alle, ohne dabei auf
Leistung zu verzichten. Auch die Neue Mittelschule entwickle sich gut, da sie jedes Kind mitnimmt und niemanden
ausgrenzt, betonte die Ministerin. Nachholbedarf gebe es noch bei den 10- bis 14-Jährigen, die ihrer Meinung
nach gemeinsam unterrichtet, aber je nach Begabungen und Schwächen unterschiedlich gefördert und gefordert
werden sollten.
Bezug nehmend auf die Aussage ihrer Vorrednerin zur Integration der Flüchtlingskinder, stellte die Ministerin
mit Nachdruck fest, dass alle Kinder im heimischen Schulsystem herzlich willkommen sind. Die Regierung habe auch
rechtzeitig Gelder zur Verfügung gestellt, damit eine adäquate Unterstützung gewährleistet
ist. Damit werden u.a. interkulturelle mobile Teams, die auf allen Ebenen eingesetzt werden können, finanziert.
Ein sehr positives Beispiel in diesem Zusammenhang seien die "Neu in Wien"-Kurse, wo etwa auch Kulturtechniken,
der Umgang zwischen Männern und Frauen, die verschiedenen Religionen etc. vermittelt werden sollen. Auch für
Jugendliche über 15 Jahre, die sich in Österreich ein neues Leben aufbauen wollen, gebe es spezielle
Angebote, um schnell Fuß zu fassen und nicht unnötig Zeit zu verlieren. Dank dem großartigen Engagements
der PädagogInnen und den guten Vorbereitungsarbeiten sei der heurige Schulbeginn daher auch ruhig, geordnet
und sicher verlaufen, hob Heinisch-Hosek hervor.
SPÖ für Verbesserung der Schuleingangsphase und rasche Integration der Flüchtlingskinder
Elmar Mayer sah als eine der größten Herausforderungen die pädagogische Frühförderung
an, da die Entwicklungsunterschiede zwischen den einzelnen Kindern in einem erschreckenden Maße zunehmen.
Betroffen davon seien nicht nur die Sprachkenntnisse, sondern auch die Bereiche Konzentration, Motorik oder kognitives
Denken.
Seine Fraktionskollegin Andrea Kuntzl war überzeugt davon, dass die Integration der Flüchtlingskinder
gelingen werde. In Wien wurden 350 Kinder eingeschult, was angesichts von 700 Schulen absolut bewältigbar
sei. Wenig anfangen könne sie mit dem Vorschlag, eigene Klassen einzurichten, da dies aus pädagogischer
Sicht der völlig falsche Weg sei. Gerade für die Flüchtlingskinder sei es besonders wichtig, dass
sie endlich in der Normalität ankommen. Daneben wird es natürlich auch noch spezielle Unterstützungsmaßnahmen,
wie z.B. die "Neu in Wien"-Kurse, geben.
ÖVP: Vielfältiges Angebot ist Garant für Chancengerechtigkeit
Im österreichischen Ausbildungssystem sei vieles gut, aber einiges müsse noch besser werden, meinten
Brigitte Jank und Asdin El Habbassi von der ÖVP. Man dürfe sicherlich nicht akzeptieren, dass 20 % der
15-Jährigen nicht sinnerfassend lesen können oder einfache Rechenaufgaben nicht bewältigen. Es gebe
auch zu viele Jugendliche, die keinen Pflichtschulabschluss haben bzw. keine Lehrstelle finden. Vielleicht sollten
mehr Mittel in die Volksschulen transferiert werden, damit die Grundkompetenzen, die Basis für das weitere
Leben sind, verfestigt werden, schlug Jank vor. Um Chancengerechtigkeit zu erreichen, müsse es nach Auffassung
ihrer Fraktion jedoch ein vielfältiges Angebot geben, damit ein Wettbewerb nach oben entstehen könne.
Ein zentraler Punkt der Bildungsreform sei auch der Ausbau der schulischen Autonomie, sowohl in personeller, pädagogischer,
organisatorischer und budgetärer Hinsicht. Was die Flüchtlinge anbelangt, so mache es keinen Sinn, Kinder
von der Bildung fern zu halten, erklärte Asdin El Habbassi, auch wenn die Eltern noch keinen positiven Asylbescheid
haben. Diese Vorgangsweise habe sich schon bei jenen Kindern bewährt, die in der Zeit der Jugoslawien-Krise
nach Österreich gekommen sind, wie er selbst erlebt habe. Neben einem guten Sprachunterricht, müssen
aber auch die grundlegenden Werte vermittelt werden; nur dann könne der soziale Frieden erhalten bleiben.
FPÖ: Heimisches Bildungssystem fördert soziale Kluft und Chancenungleichheit
FPÖ-Abgeordneter Walter Rosenkranz plädierte dafür, sich mit den realen Gegebenheiten und Problemen
zu beschäftigten und nicht mit Träumen, Utopien und Wünschen, wie sie in den Reden der SPÖ-VertreterInnen
zum Ausdruck gekommen sind. Er frage sich auch, warum die gesetzlich geregelte Tatsache, dass Kinder, die in Österreich
leben, in die Schule gehen müssen, beklatscht werden muss. Man sollte sich viel lieber darum kümmern,
dass es eine immer größere soziale Kluft gibt, gab Rosenkranz zu bedenken, und zwar zwischen jenen,
die sich teure Privatschulen leisten können und den anderen, die gezwungen sind, ins öffentliche Schulsystem
zu gehen. Diese Probleme stellen sich vor allem in den Ballungsräumen, wo es sehr viele Kinder mit nicht-deutscher
Muttersprache gibt und immer mehr Ghettoschulen entstehen, meinte Dagmar Belakowitsch-Jenewein. Ihrer Ansicht nach
müsste es Konsequenzen für Eltern geben, die sich weigern, ihre Kinder rechtzeitig in "deutsche
Kindergärten" zu schicken. Wenig Gefallen findet sie an der Gesamtschule, da es sich um Konzept handle,
das schon in der ehemaligen DDR gescheitert sei.
Grüne: Sozialer Status dürfe nicht über Zugang zu Bildung entscheiden
Harald Walser (G) warf der Unterrichtsministerin vor, eine heile Bildungswelt zeichnen zu wollen, die mit der Realität
nicht übereinstimme. Auch die Vorarbeiten der Bildungsreformkommission geben nicht zu großer Hoffnung
Anlass. Er verstehe nicht, warum so konstruktive Vorschläge, wie die Einführung einer flexiblen Schuleingangsphase
oder die Umsetzung des Hamburger Modells zur Sprachförderung nicht endlich realisiert werden. Statt dem Streichen
von Stunden sollte man sich vielmehr dazu bekennen, dass Bildung Geld braucht, appellierte Walser, denn so wie
bisher dürfe es nicht mehr weitergehen. Soziale Selektion beginne schon im Kindergartenalter, beklagte Sigrid
Maurer (G), und ziehe sich durch die ganze Bildungslaufbahn. Sie sprach sich noch nachdrücklich dafür
aus, dass Flüchtlingskinder sofort in Regelklassen kommen, zumal Sprache nur im Miteinander und auf spielerische
Weise erworben wird.
NEOS für Abschaffung des parteipolitischen Einflusses im Schulsystem
NEOS-Vertreterin Beate Meinl-Reisinger trat vor allem für eine offene, transparente und ehrliche Diskussion
ein, bei der auch die Vorschläge der Opposition ernst genommen werden. Dass gerade die SPÖ das Thema
Chancengerechtigkeit im Bildungssystem für die heutige Aktuelle Stunde gewählt habe, sei aus ihrer Sicht
mutig, da etwa in Wien keine Rede davon sein könne, dass alle Kinder in einem gleichen Maße gefördert
werden. Hier zähle nämlich noch immer der Satz "Sag mir, woher du kommst und ich sag dir, wie weit
du es bringst". Ebenso wie Klubobmann Matthias Strolz führte sie die Probleme u.a. auf den massiven Einfluss
der Parteipolitik in den Schulen zurück. Wenn man in diesem Bereich 120 Mio. € einsparen würde, was ganz
leicht möglich sei, dann hätte man genug Geld für zusätzliche LehrerInnen und SozialarbeiterInnen
oder um die Digitalisierung voranzutreiben. Besonders bedauerlich sei auch, dass man es nie geschafft hat, die
vielen guten Schulversuche ins Regelsystem zu übernehmen, monierte Strolz.
Team Stronach für eigene Flüchtlingsklassen und Einsparungen in der Bürokratie
Robert Lugar vom Team Stronach übte massive Kritik an der Unterrichtsministerin, die z.B. in Sachen Autonomie
nichts weitergebracht habe. Dies zeige sich auch bei der Integration der Flüchtlingskinder, da kein Direktor
auf die verrückte Idee gekommen wäre, diese SchülerInnen, die kein Wort Deutsch verstehen, in die
normalen Klassen zu setzen. Wenn die SchulleiterInnen mehr Kompetenzen hätten, dann wären eigene Klassen
geschaffen worden, damit die Kinder überhaupt die Chance erhalten, in einigen Monaten am Regelunterricht teilzunehmen.
Natürlich sollte vorher noch abgeklärt werden, ob die Kinder auch in Österreich bleiben dürfen.
Ebenso wie die NEOS traten er und seine Kollegin Martina Schenk vehement dafür ein, überflüssige
Posten in der Schulverwaltung abzuschaffen, wie dies auch der Rechnungshof gefordert habe. So gebe es etwa LandesschulratsstellvertreterInnen,
die nichts zu tun haben, aber bis zu 8.000 € im Monat verdienen.
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