Intrazellulärer Immunkontrollpunkt NR2F6
Innsbruck (i-med) - Krebs ist vor allem eine Immunerkrankung. Erst wenn das Immunsystem versagt, wird ein
Tumor klinisch relevant. Damit Tumorzellen der Zerstörung durch das Immunsystem nicht mehr länger entkommen
können, setzt der Innsbrucker Zellgenetiker Gottfried Baier auf eine vielversprechende Strategie: die Umschulung
des Immunsystems durch die Hemmung von intrazellulären Immunkontrollpunkten als Krebsimmuntherapie. Der Kernrezeptor
NR2F6 könnte sich dabei als besonders lohnendes Krebstherapieziel erweisen.
Ein Forschungsteam der Sektion für Translationale Zellgenetik der Medizinischen Universität Innsbruck
hat mit dem DNA-bindenden Protein NR2F6 einen neuen Angriffspunkt für die Weiterentwicklung der Krebsimmuntherapie
gefunden. Mit der Hemmung dieses zentralen Immunregulators könnte die Kontrolle des Tumorwachstums durch das
patientInneneigene Immunsystem wieder hergestellt werden.
Impuls für Krebsimmuntherapie
Die immunonkologische Forschung versucht seit einigen Jahren, körpereigene Abwehrmechanismen für die
Krebstherapie nutzbar zu machen. Die Aufgabe eines funktionierenden Immunsystems ist es, Krebszellen abzutöten,
ohne körpereigene Strukturen langfristig zu schädigen. Im Krankheitsverlauf können Krebszellen
aber mittels Mutationen Eigenschaften erwerben durch die das Immunsystem diese solcherart veränderten Krebszellen
nicht mehr eliminieren kann. Im komplexen Zusammenspiel von Tumorzellen, Immunzellen und deren Signalwegen spielen
sogenannte Immun-Checkpoints, die eine überschießende Immunreaktion wie z.B. bei einer Autoimmunitätserkrankung
verhindern, eine relevante Rolle. Es handelt sich dabei um immunregulierende Proteine wie PD-1 und CTLA-4, die
auf der Oberfläche von T-Zellen oder wie Cbl-b und NR2F6, die in T-Zellen exprimiert werden. „Diese Mechanismen
nützt die Tumorzelle für sich, indem sie Checkpoint-Proteine hochreguliert und das Immunsystem damit
gleichsam ausbremst. So kann der Tumor weiter wachsen“, erklärt Gottfried Baier, der an der Medizinischen
Universität Innsbruck die Sektion für Translationale Zellgenetik leitet und in der aktuellen Ausgabe
des Online-Journals Cell Reports vielversprechende Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Krebsimmuntherapie
liefert.
Therapiepotenzial durch intrazelluläre Feinabstimmung
Gemeinsam mit Natascha Kleiter und Victoria Klepsch konnte er in vivo und in Zellkultur die Tauglichkeit von NR2F6
(Nuclear receptor subfamily 2, group F, member 6) als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer innovativen
immunstimulierenden Strategie mit Anti-Tumor Wirkung belegen. „Wird NR2F6 genetisch unterdrückt, bleiben die
T-Zellen auch im Tumormikromilieu aktiv und halten so den Tumor in Schach“, unterstreichen Natascha Kleiter und
Victoria Klepsch das therapeutische Potenzial des Proteins. Die Anti-Tumor Immunantwort bei den bereits klinisch
zugelassenen Inhibitoren – CTLA-4 und PD-1 inhibierende monoklonale Antikörper – hat den Preis von starken
Autoimmunphänomenen in verschiedenen Organsystemen, zum Beispiel in Form von Hypophysitis (Entzündung
der Hirmanhangsdrüse) oder Enteritiden (Darmentzündungen).
Im Unterschied zur Blockade dieser CTLA-4 und PD-1 Checkpoint-Moleküle auf der Zelloberfläche, die das
gesamte Immunsystem ankurbelt, wirkt ein NR2F6-Hemmstoff als Signalverstärker nur in aktivierten Immunzellen
in unmittelbarer Tumornähe – ein Umstand, der eine systemische Autoimmunität als unerwünschte Nebenwirkung
verhindert.
„Feinmodulation der lokalen Tumorimmunität ist in diesem Fall also mehr“, betont Grundlagenforscher Gottfried
Baier, der sich nun gemeinsam mit Pharmaunternehmen auf die Suche nach einem entsprechenden NR2F6-Hemmstoff macht.
„NR2F6 ist ein intrazellulärer Checkpoint und dazu ein Transkriptionsrepressor mit Ligandenbindungsdomäne.
Damit haben wir eine biologische Zielstruktur, die direkt von niedermolekularen Medikamenten pharmakologisch beeinflussbar
ist“. Neben geringer Autoimmuntoxizität punktet die von den Innsbrucker ZellgenetikerInnen angestrebte Immunmodulation,
im Vergleich zu den CTLA-4 und PD-1 inhibierenden Antikörper-Therapieformen, daher auch mit einer wesentlichen
Kostensenkung mittels pharmakologischer Arzneimittel.
Die drängende Frage ist, ob die Hemmung von NR2F6 in Zukunft fu¨r definierte Krebsentitäten allein
oder in Kombination mit etablierten Therapieverfahren eine therapeutische Option werden wird. Gemäß
der Devise „from bench to bedside“ ist die Forschungsarbeit jedenfalls schon auf einem guten Weg in Richtung klinischer
Prüfung.
Hintergrund
Der Biologe und Zellgenetiker Gottfried Baier ist seit 2011 Direktor der Sektion für Translationale Zellgenetik
an der Medizinischen Universität Innsbruck. Als Post-Doc in den USA identifizierte er 1992 erstmals das Enzym
PKC-theta, das für die Aktivierung der T-Zellen essentielle Bedeutung hat. Cbl-b und NR2F6 sind dabei die
direkten Effektormoleküle dieses PKC-theta Signalweges in der T-Zelle. Gemeinsam mit Josef Penninger (Institut
für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) steht er für den
„österreichischen Weg“ in der Krebsimmuntherapie, der sich auf intrazelluläre Immun-Checkpoints fokussiert.
Natascha Hermann-Kleiter hat in Salzburg Biologie studiert und forscht bereits seit 10 Jahren im Team von Gottfried
Baier. Seit über drei Jahren ist auch die frisch promovierte Biologin Victoria Klepsch mit im Team.
Weiterführende Links:
The Nuclear Orphan Receptor NR2F6 Is a Central Checkpoint for Cancer Immune Surveillance. Hermann-Kleiter N, Klepsch
V, Wallner S, Siegmund K, Klepsch S, Tuzlak S, Villunger A, Kaminski S, Pfeifhofer-Obermair C, Gruber T, Wolf D,
Baier G., Cell Rep. 2015 Sep 16. pii: S2211-1247(15)00920-1. [Epub ahead of print]
http://dx.doi.org/10.1016/j.celrep.2015.08.035
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