Von 22. Oktober 2015 bis 28. Februar 2016 im Unteren Belvedere
Wien (belvedere) - Am Anfang des 20. Jahrhunderts stellten weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche
Veränderungen sowie eine gedankliche Neuorientierung die traditionellen Geschlechterrollen infrage. Die zunehmende
Gleichstellung von Mann und Frau rief hierbei einerseits heftige Gegenargumente hervor - beispielsweise vom populären
Theoretiker Otto Weininger. Andererseits kann die sexuelle Befreiung aber als ein gemeinsames Ziel betrachtet werden,
da sowohl bei Männern als auch bei Frauen der Wunsch bestand, aus den moralischen Zwängen des 19. Jahrhunderts
auszubrechen. Das relativ freimütige Bekenntnis zur sexuellen Lust auf männlicher und weiblicher Seite
versetzte die österreichische Kunst des frühen 20. Jahrhunderts in Aufruhr und erfüllte die Werke
der führenden Künstler des Landes mit einer Mischung aus Grauen und Begeisterung.
Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka näherten sich der damals allgemein als "Frauenfrage"
bezeichneten Thematik jeweils auf eigene Art und Weise, wobei es auch zu Überschneidungen kam. Klimt/Schiele/Kokoschka
und die Frauen geht diesen Unterschieden und Gemeinsamkeiten auf den Grund und liefert dabei neue Einblicke in
die Geschlechterbeziehungen des frühen 20. Jahrhunderts sowie in die Ursprünge der modernen sexuellen
Identität. Die sowohl chronologisch als auch thematisch gegliederte Ausstellung konzentriert sich dabei auf
vier Hauptthemen: auf das Porträt, das (Liebes-)Paar, die Mutter und das Kind und den Akt.
Es ist wohl nicht weiter verwunderlich, dass Klimts kostbare, elegante und in leuchtenden Farben ausgeführte
Porträts bei den Damen der Wiener Gesellschaft regen Anklang fanden. Doch die individuelle Persönlichkeit
der Dargestellten ließ der Künstler beinahe vollkommen hinter die reich ornamentierten Oberflächen
zurücktreten. Schiele und Kokoschka kehrten diese dekorative Formel um, indem sie ihre Modelle in eine
bildnerische Leere stießen. Damit erzwangen sie eine Konfrontation mit existenziellen Ängsten, die hinter
Klimts Horror Vacui verborgen geblieben war. Der damals herrschenden Auffassung zum Trotz, dass Frauen keine Seele
hätten, prägten Schiele und Kokoschka damit eine neue, moderne und psychologischen Fragen nachgehende
Porträtmalerei.
Auch das Motiv der Mutter mit dem Kind, eines der ältesten Bildthemen der westlichen religiösen Kunst,
wurde unter dem Druck der Sexualpolitik des Fin de Siècle einer Wandlung unterzogen. In der allgemeinen
Vorstellung kategorisierte man Frauen als "Madonnen" (keusch und mütterlich) oder "Huren"
(sexuell unersättliche Räuberinnen). Klimt und Schiele unterwanderten diese Dichotomie, indem sie Akte
von Schwangeren und nackte Mütter zeigten. Damit stellten sie eine ausdrückliche Verbindung zwischen
Mutterschaft und weiblicher Sexualität her. Kokoschka hingegen scheint tatsächlich der Auffassung gewesen
zu sein, dass die Mutterschaft eine Frau von sexueller Promiskuität "heilen" könne.
Er war besessen von dem Wunsch, mit seiner Geliebten Alma Mahler ein Kind zu zeugen, und stellte sie in seiner
Kunst wiederholt allegorisch als Jungfrau Maria dar.
Aus den Werken Klimts, Schieles und Kokoschkas geht hervor, dass alle drei am Glauben an die romantische Liebe
festhielten: an eine Verbindung von Seelenverwandten, die durch erotische Leidenschaft besiegelt wurde. Doch während
Klimt in seinen Liebespaardarstellungen den Inhalt auf eine allegorische Ebene hob, ließen die beiden Expressionisten
persönliche Erfahrungen in ihr Werk mit einfließen. Tatsächlich sind Evokationen glücklos
verlaufender Beziehungen bei Schiele und Kokoschka oft emotional überzeugender als ihre Darstellungen idealisierter,
glücklicher Liebender. Da Mann und Frau damals als Gegensatz verstanden wurden, konnte keine reibungslose
Vereinigung der beiden stattfinden.
Bei den weiblichen Aktdarstellungen der westlichen Kunst bestand das Ziel traditionell darin, die der Frau innewohnende
Erotik durch einen Prozess der Ordnung und der Idealisierung zu unterdrücken. Am Beginn des letzten Jahrhunderts
äußerte sich die Angst des Mannes vor der weiblichen Sexualität im Konzept der Femme fatale, einem
bei Klimt wiederkehrenden Thema. Abgesehen von diesen in der damaligen Zeit durchaus umstrittenen schamlosen und
provokanten Frauen findet sich jedoch insgesamt wenig im Werk des Künstlers, das das Primat des männlichen
Blicks erschüttern würde. Klimts Akte sind von verführerischer Schönheit, und in vielen seiner
eindeutig erotischen Zeichnungen sind sie von einer Passivität, die an Bewusstlosigkeit grenzt.
Im Vergleich dazu sind die Aktdarstellungen Schieles und Kokoschkas schroffer. Kantige Linien untergraben einladende
weibliche Kurven, markante Bildausschnitte und ungleichmäßige Farbigkeit generieren eine Aura des
Unbehagens. Anders als beim klassischen Akt scheinen sich diese Frauen häufig bewusst zu sein, dass sie beobachtet
werden. Zuweilen wirken sie davon unangenehm berührt. Am radikalsten ist hier Schieles Vorliebe, liegende
Frauen in der Vertikalen darzustellen, woraus sich eine Widersprüchlichkeit nährt, die ganz im Gegensatz
zur Ästhetik des klassischen Aktes steht. Die Akte von Schiele und Kokoschka, aber auch jene von Klimt
verschleiern eine unterschwellige männliche Angst. Es wäre deshalb nicht akkurat, einen dieser Künstler
als Feministen zu bezeichnen. Nichtsdestotrotz erkannten alle drei Maler die sexuelle Autonomie der Frau in einem
bisher ungekannten Ausmaß an.
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