Verfassungsexperte Öhlinger: Klubförderung am Wahltag deckeln - Zusammensetzung von
Ausschüssen "einfrieren" – Unterschiedliche Reaktionen auf Reformpapier
Wien (pk) - Nationalratspräsidentin Doris Bures hat der Präsidialkonferenz am 09.10. ein Expertenpapier
zum Thema Klubwechsel vorgestellt. Verfassungsjurist Theo Öhlinger zeigt auf, wie die Klubförderung oder
die Zusammensetzung von Ausschüssen beim Austritt als auch bei einem Beitritt von Abgeordneten zu einem anderen
Klub geregelt werden könnten. Weitere Gespräche sind für die Sitzung des Geschäftsordnungs-Komitees
am 29. Oktober 2015 vorgesehen.
In den letzten Monaten haben sieben Abgeordnete des Nationalrates den Klub jener Partei, für die sie bei der
letzten Wahl kandidiert haben, verlassen. Sie sind entweder einem anderen Parlamentsklub beigetreten (Rouven Ertlschweiger,
Marcus Franz, Kathrin Nachbaur, Georg Vetter) oder aber wurden sogenannte "wilde" Abgeordnete ohne Klubzugehörigkeit
(Jessi Lintl, Gerhard Schmid, Ruppert Doppler). Die Diskussion über diese Vorgänge hat ein Spannungsverhältnis
zwischen dem in der Verfassung verankerten freien Mandat und dem Verhältniswahlrecht deutlich gemacht. Nationalratspräsidentin
Doris Bures sprach von einer "Schieflage zwischen freiem Mandat und dem Willen der WählerInnen".
Die Präsidialkonferenz des Nationalrates ist in einer Sondersitzung im Juni zum Ergebnis gekommen, dass ein
Klubwechsel während der Legislaturperiode nach geltendem Recht zulässig ist. Die Mitglieder der Präsidiale
haben sich allerdings darauf verständigt, sich im Herbst mit der Frage auseinander setzen zu wollen, ob rechtspolitisch
ein Bedarf einer Neuregelung bzw. Präzisierung besteht.
Nationalratspräsidentin Bures hat daher den renommierten Verfassungsjuristen Theo Öhlinger ersucht, das
aktuelle Spannungsverhältnis zu analysieren, Reformmöglichkeiten aufzuzeigen und somit eine sachliche
und fundierte Diskussionsgrundlage für weitere Gespräche zu schaffen.
Die Nationalratspräsidentin unterstreicht, dass es ihr keinesfalls darum gehe, Klubwechsel künftig zu
verbieten. "Sehr wohl sollen aber die Konsequenzen von Übertritten überdacht und Möglichkeiten
geprüft werden, wie sich der Wählerwille in der Klubförderung und in der Zusammensetzung von Ausschüssen
stärker widerspiegeln könnte."
Nationalratspräsidentin Bures spricht von "sehr überlegenswerten Vorschlägen, um den Wählerwillen
zu stärken". Die Expertise zeige sehr deutlich den Spielraum für "sanfte Reformen" des
Gesetzgebers auf. Bures hofft daher auf "konstruktive und lösungsorientierte Gespräche, die der
Glaubwürdigkeit der Politik gerecht werden". Für die Umsetzung der Vorschläge wäre eine
Änderung des Geschäftsordnungs-Gesetzes und des Klubfinanzierungsgesetzes notwendig.
Öhlinger: Handlungsbedarf bei der Klubförderung
Professor Theo Öhlinger bestätigt in seiner Analyse, dass ein Klubaustritt gesetzlich nicht untersagbar
ist. Um den Wählerwillen stärker gerecht zu werden, sieht Öhlinger allerdings Handlungsbedarf bei
der Klubförderung. Die geltende Rechtslage sieht eine Anpassung der Klubförderung sowohl bei einem Austritt
als auch bei einem Beitritt zu einem anderen Klub vor. Das sollte sich nach Ansicht Öhlingers ändern.
Konkret empfiehlt der Verfassungsexperte, die Höhe der Klubförderung am Beginn der Legislaturperiode
nach oben hin zu deckeln. Ein "Beitritt" zu einem anderen Klub während der Periode sollte also keine
Erhöhung der Klubförderung zur Folge haben.
Die Reduktion der Klubförderung bei einem Austritt hält der Verfassungsexperte hingegen für sachlich
gerechtfertigt: "Es gibt keinen Grund, einen verkleinerten Klub proportional stärker zu fördern,
als es seiner Größe entspricht." Nach der Rechtsprechung des VfGH wäre dies sogar "unsachlich
und daher verfassungswidrig". Daher bedürfte es in dieser Hinsicht keiner Änderung der Rechtslage.
Das freie Mandat stehe einer solchen asymmetrischen Regelung nicht entgegen. "Das freie Mandat ist ein Individualrecht
und garantiert keine subjektiven Rechte der Klubs", so Professor Öhlinger. Es erscheine daher sachgemäß,
"wenn der Gesetzgeber die Klubs gemäß ihrer sich aus den Nationalratswahlen ergebenden Stärke
abgestuft fördert, Übertritte dabei aber nicht dem Wahlergebnis gleichstellt. "Klubwechsel fördern
nicht die Stabilität der parlamentarischen Arbeit und sind schon aus diesem Grund nicht unbedingt förderungswürdig.
Der Gesetzgeber darf es jedenfalls vermeiden, finanzielle Anreize für einen Klubwechsel zu schaffen",
heißt es im Expertenpapier.
Ausschüsse für die Dauer einer Legislaturperiode besetzen
Änderungen empfiehlt Öhlinger auch, was die Zusammensetzung von Ausschüssen im Falle eines Klubwechsels
betrifft. Nach der geltenden Rechtslage ist bei Veränderungen der Klubstärke eine Neuwahl der Ausschüsse
nach dem neuen Stärkeverhältnis vorzunehmen. "Verfassungsrechtlich ist diese Regelung aber keinesfalls
geboten", erklärt der Verfassungsexperte. Vor dem Hintergrund der Verhältniswahl des Nationalrats
wäre es naheliegend, "die dem Wahlergebnis entsprechende Verteilung der Ausschussmandate über die
gesamte Legislaturperiode festzuschreiben". Ein durch "Mitgliederschwund" verkleinerter Klub würde
demnach die ihm zu Beginn der Legislaturperiode zugesprochene Sitze nicht verlieren und ein Klub, dessen Fraktion
sich vergrößert hat, keinen zusätzlichen Sitz gewinnen.
Einer speziellen Regelung bedürfte dabei der Fall, dass ein Klub durch Austritte unter die Grenze von fünf
Mitgliedern und damit unter die "Klubstärke" fällt. Für diesen Fall schlägt Öhlinger
vor, dass entweder die betroffenen Ausschüsse um die Mitglieder des wegfallenden Klubs verkleinert werden
oder es könnte eine Neuwahl nach dem (ursprünglichen) Stärkeverhältnis der verbliebenen Klubs
erfolgen.
Klubgründungen wurden bereits 2013 präzise geregelt
2013 – anlässlich der Gründung des Team Stronach – wurde bereits die Frage von Klubgründungen in
der Geschäftsordnung präzise geregelt. Seither ist die Bildung von Nationalratsklubs nur mehr bis zu
einem Monat nach dem ersten Zusammentritt des Nationalrates in einer Gesetzgebungsperiode möglich. Zudem können
sich Abgeordnete, die nicht derselben wahlwerbenden Partei angehören, nur mit Zustimmung des Nationalrates
zu einem Klub zusammenschließen. Der Wechsel von Abgeordneten von einem zu einem anderen Klub wurde jedoch
nicht explizit geregelt.
Diskussion soll Ende Oktober im Geschäftsordnungs-Komitee fortgesetzt werden
Die ersten Reaktionen auf das von Nationalratspräsidentin Doris Bures in Auftrag gegebene Rechtsgutachten
zum Thema Klubwechsel sind unterschiedlich ausgefallen. Im Anschluss an die Präsidialkonferenz, bei der das
Reformpapier diskutiert wurde, kamen insbesondere von der FPÖ und vom Team Stronach kritische Töne. Er
halte es für keine gute Idee, bei der Klubförderung etwas zu ändern, nur weil die ÖVP zuletzt
einige Abgeordnete abgeworben hat, meinte etwa Team-Stronach-Klubchef Robert Lugar gegenüber den Medien. Schließlich
bräuchten Abgeordnete Mitarbeiter und eine adäquate Büroinfrastruktur für ihre Arbeit. Dritter
Nationalratspräsident Norbert Hofer erachtet es vor allem für notwendig, die Vorschläge zur Ausschusszusammensetzung
noch genauer unter die Lupe nehmen. Seiner Ansicht nach könnte es problematisch sein, wenn es im Ausschuss
andere Mehrheitsverhältnisse als im Plenum gibt.
Grundsätzlich positiv, was die Reformvorschläge zur Klubförderung betrifft, äußerte sich
hingegen Grün-Abgeordneter Dieter Brosz. Bei einem Klubwechsel solle es keine "Transfergelder" wie
im Fußball geben, meinte er. In Bezug auf die Zusammensetzung der Ausschüsse liegen ihm zufolge mehrere
Vorschläge am Tisch, über die man diskutieren könne. Gerade für diesen Bereich hält NEOS-Klubchef
Matthias Strolz eine Lösung für vorrangig, und zwar noch vor der Einsetzung des nächsten Untersuchungsausschusses.
Die NEOS seien dafür, dass das Team Stronach auch in künftigen Untersuchungsausschüssen vertreten
ist, betonte er.
Zur Frage der Klubförderung merkte Strolz an, das Abwerben von Abgeordneten anderer Klubs schade der Glaubwürdigkeit
der Politik und dürfe kein "Geschäftsmodell" sein. Er will die Vorschläge Öhlingers
aber erst nach einer gewissen "Abkühlphase" diskutieren. Schließlich sei es auch klar, dass
Abgeordnete Infrastruktur brauchen. Zweiter Nationalratspräsident Karlheinz Kopf verwies auf die bevorstehende
Diskussion im Geschäftsordnungskomitee, wobei ihm zufolge auch ein Gutachten des Parlamentarismus-Experten
Werner Zögernitz vorliegt.
Nationalratspräsidentin Doris Bures bekräftige ihren Wunsch nach einer ernsthaften Diskussion über
die Vorschläge. Es tue dem Parlament nicht gut, wenn in der Öffentlichkeit auch nur der geringste Anschein
entstehe, dass hinter einem Klubwechsel monetäre Interessen stehen, sagte sie. Nicht rütteln will Bures
an der Bestimmung, dass ein Klub seinen Klubstatus verliert, wenn er weniger als fünf Abgeordnete hat.
Verfassungsexperte Theo Öhlinger kann sich im vorliegenden Rechtsgutachten vor allem in zwei Punkten neue
Regelungen vorstellen, um dem Wählerwillen besser gerecht zu werden (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1067/2015).
So könnte ihm zufolge die Zusammensetzung der Ausschüsse auf Basis des Wahlergebnisses am Beginn einer
Legislaturperiode festgelegt und für die Dauer der gesamten Periode eingefroren werden. Einem Klub, dem es
gelingt, andere Abgeordnete anzuwerben, sollte keine höhere Klubförderung bekommen, der kleiner werdende
Klub aber dennoch Geld verlieren.
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