EU-Ausschuss des Bundesrats uneins über aktuelle Asylpläne der Europäischen
Kommission
Wien (pk) - Ist das Dublin Übereinkommen völlig gescheitert? Angesichts der ungebrochen hohen
Zahl an Flüchtlingen, die nach Europa kommen, gibt es in der Frage zur Abwicklung von Asylverfahren nicht
nur auf europäischer Ebene große Meinungsunterschiede, sondern auch im EU-Ausschuss des Bundesrats.
Während SPÖ und Grüne in der Sitzung vom 07.10. aus menschenrechtlichen Gründen dafür
plädierten, die Durchführung eines Asylverfahrens keinesfalls länger vom Erstaufnahmestaat abhängig
zu machen, mahnte die ÖVP zur Vorsicht. Mangels Alternative sei bis auf weiteres am Dublin System festzuhalten,
zumindest als Rahmen für die aktuellen Vorschläge der Europäischen Kommission zur gerechteren Verteilung
Asylwerbender in der EU. Dezidiert gegen eine Abkehr von den geltenden Bestimmungen zur Durchführung von Asylverfahren
wendet sich die FPÖ, für die in den jeweiligen Regionen die letztendliche Verantwortung zur Bewältigung
der Flüchtlingssituation liegt.
Grundlage der Debatte bildeten Pläne der EU-Kommission, bei Krisensituationen die Umsiedlung von Asylwerbenden
innerhalb der Union zu erleichtern. Verknüpft mit diesem Notfallmechanismus ist der Kommissionsvorschlag für
eine EU-weit einheitliche Liste sicherer Herkunftsstaaten, um raschere Rückführungen von Personen ohne
Recht auf Asyl zu ermöglichen. Eingebettet sind diese Legislativvorschläge in die Migrationsagenda der
EU, mit der die Europäische Kommission letzten Mai auf das Massensterben von Bootsflüchtlingen im Mittelmeer
reagiert hat. Damit sollen die Weichen für ein einheitliches EU-Asylsystem gestellt werden. Neben dem verstärkten
Kampf gegen das Schlepperwesen, der Rettung von Menschenleben und der Sicherung der EU-Außengrenzen mit Registrierungszentren
vulgo Hotspots zielt die EU-Migrationspolitik auf eine faire Aufteilung der AsylwerberInnen unter den EU-Mitgliedsstaaten
ab. Zum umstrittenen Dublin-Mechanismus kündigt das Innenministerium an, die Kommission plane 2016 diese Verfahrensregelung
durch eine neue zu ersetzen.
Hürden im Notfallplan zur Umsiedlung von Asylwerbenden
Der Verordnungsvorschlag zur Umsiedlung von Asylsuchenden innerhalb der Europäischen Union soll insbesondere
Griechenland und Italien einen Teil der Flüchtlingsversorgung abnehmen, nachdem diese Staaten an der Mittelmeerküste
seit Jahren mit einem starken Zustrom Schutzsuchender konfrontiert sind. Aufgrund der Flüchtlingsrouten über
den Balkan denkt die Kommission auch "neue Maßnahmen zugunsten Ungarns" an. Konkret würde
mit der Verordnung ein Verfahren eingeführt, das bestimmt, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung
von Anträgen auf internationalen Schutz zuständig ist, wenn ein anderes EU-Land die Flüchtlingsbewegungen
nicht mehr bewältigen kann. Auf diese Weise soll eine gerechtere Verteilung der AntragstellerInnen in der
Union gewährleistet und das Funktionieren des Dublin-Systems auch in Krisenzeiten ermöglicht werden.
Ziel ist, Asylsuchende künftig gerecht im Unionsraum zu verteilen und zwar nach objektiven und nachprüfbaren
Indikatoren, wie es im Entwurf heißt. Frei wählbar wären für AsylwerberInnen ihre Zielstaaten
dann nicht mehr.
Fraglich sei dabei allerdings, merkte bei der Ausschusssitzung ein Vertreter des Innenministeriums an, ob Flüchtlinge,
die in einem EU-Mitgliedsstaat registriert sind, tatsächlich dort eine mögliche Zuweisung zu einem anderen
Land abwarten beziehungsweise inwieweit sie ein anderes als das von ihnen angestrebte Land – in der Regel Deutschland
oder Schweden – überhaupt akzeptieren. Hier brauche es klare Regeln, selbst wenn schon aus unterschiedlichen
wirtschaftlichen Anreizen in den EU-Ländern eine völlig gleichwertige Verteilung der AsylwerberInnen
nicht realistisch sei. Trotz dieser Bedenken wird das Vorgehen der Kommission seitens des Ministeriums begrüßt,
nämlich als erster Schritt zur Angleichung der Asylstandards in den EU-Mitgliedsstaaten. Immerhin gebe das
Unionsrecht derzeit gar keine Instrumente vor, mit denen die EU angemessen reagieren könne, wenn die Asylsysteme
einzelner Mitgliedsstaaten extremen Situationen ausgesetzt sind. Auf Basis der angedachten Verordnung will die
Kommission selbst mittels delegierter Rechtsakte den Umsiedlungsmechanismus aktivieren, wobei diese Bestimmungen
höchstens für zwei Jahre gelten sollen. Ausschussvorsitzender Edgar Mayer unterstrich, das Gesamtproblem
sei mit dem präsentierten Verteilungskonzept nicht zu lösen. Dennoch erwarte er sich davon die dringend
nötige Entlastung der von den Flüchtlingsbewegungen direkt betroffenen EU-Länder.
Neue Verteilungsregeln auf dem Prüfstand
Entscheidende Faktoren bei einer Umsiedlung von Schutzsuchenden sind die Zahl der Anträge auf Asylstatus
in einem Mitgliedstaat gemessen an seiner Bevölkerung und die Kapazitäten seines Asylsystems bzw. die
Wirtschaftslage eines Landes. Auch inwieweit ein Staat sich bisher an "Solidaritätsinitiativen"
der EU beteiligt bzw. davon profitiert hat, soll eine Rolle spielen, geht aus dem Kommissionsentwurf hervor. Sollte
ein EU-Mitglied vorübergehend nicht in der Lage sein, sich ein Jahr lang ganz oder teilweise an der Umsiedlung
von AsylwerberInnen zu beteiligen, müsste dieser einen finanziellen Beitrag zum EU-Haushalt in Höhe von
0,002 % seines Bruttoinlandsprodukts leisten. Im Falle einer teilweisen Beteiligung an der Umsiedlung würde
dieser Betrag anteilig gekürzt. Das Geld soll der Kommission zufolge zweckgebunden an den Asyl-, Migrations-
und Integrationsfonds gehen, um andere Mitgliedsstaaten bei der Bewältigung der Situation zu unterstützen.
Betont wird in dem Verordnungsvorschlag allerdings, dass die angestrebte Notfallklausel zur Umsiedlung keine dauerhafte
Lösung in der EU-Asylpolitik darstellt. Eine solche wolle die Kommission als Legislativvorschlag Anfang nächsten
Jahres präsentieren, meinte eine weitere Expertin aus dem Innenministerium, die dem Ausschuss heute zur Verfügung
stand.
Die LändervertreterInnen nutzten die Gelegenheit folglich, ihre Standpunkte zur Asylfrage gegenüber dem
Ministerium zu verdeutlichen, was die Komplexität des Themas widerspiegelte. Namens der SPÖ forderten
Stefan Schennach (S/W) und Ana Blatnik (S/K) vehement ein europäisches Asylsystem ein, das andere Möglichkeiten
als die Dublin-Regelung zur Anerkennung von Schutzbedürftigen bietet. Welche Integrationschancen Personen
in einem Land haben – beispielsweise bezüglich Sprache oder familiärer Kontakte – sei hier mitzubedenken.
"Schengen retten, Dublin ist gescheitert", diesem Aufruf Schennachs wollte seitens der ÖVP Edgar
Mayer (V/V) nicht bedenkenlos folgen. "Die EU braucht ein Regulativ für den Umsiedlungsmechanismus"
erinnerte er seinen Vorredner. Mit kleinteiligen Änderungen wie den vorliegenden Kommissionvorschlägen
sei das aktuelle Dublin-Übereinkommen nicht abzulösen, obwohl dies nötig wäre, beanstandete
indes Grünen-Bundesrat Marco Schreuder (G/W).
Abgesehen davon wären Schreuder zufolge EU und Internationale Gemeinschaft gut beraten durch legale Zugangsmöglichkeiten
für Flüchtlinge in die EU dem Schlepperwesen tatsächlich den Boden abzugraben. Er forderte zudem
mehr Hilfe in den Flüchtlingscamps vor Ort und konnte sich die Einrichtung von EU-Büros in den Camps
vorstellen. Direkt auf die Krisenregionen nahm auch FPÖ-Bundesrätin Monika Mühlwerth Bezug, jedoch
mit einem anderen Fokus: Konflikte müssten sich im eigenen Land durch die dortige Bevölkerung lösen
lassen, meinte sie, denn die EU könne nicht Flüchtlinge aus allen Krisenherden der Welt aufnehmen. Aus
Sicht Mühlwerths wäre es eine "Bankrotterklärung" der EU, würde das Dublin-Prinzip
gänzlich aufgehoben.
Für eine "ausnahmslose Registrierung an Hotspots" mit Schnellverfahren für Asylsuchende machte
sich Gerhard Schrödinger (V) stark: "Das Problem ist nur auf EU-Ebene zu lösen". Wie umfassend
eine solche EU-Lösung sein kann, hinterfragte wiederum Ferdinand Tiefnig (V/O) und Eduard Köck (V/N)
. Ihre Einwände waren, dass Fälle einer Registrierungsverweigerung von Asylwerbenden nicht ausgeschlossen
werden können und der angeregte Umsiedlungsmechanismus in mehreren Punkten zu unkonkret sei.
Debatte über Türkei als sicherer Drittstaat noch nicht abgeschlossen
Mit der Registrierung von Flüchtlingen bei Hotspots an den EU-Außengrenzen soll unter anderem festgestellt
werden, ob ein Asylwerbender tatsächlich Recht auf internationalen Schutz hat. Deswegen schlägt die Kommission
zur Umsetzung der EU-Migrationsagenda eine einheitliche Liste sicherer Herkunftsstaaten vor, in die Personen ohne
Anspruch auf Asyl unbedenklich zurückgeschickt werden können. Demnach sollen EU-weit die sechs Westbalkanstaaten
sowie die Türkei in der Liste aufscheinen. Bislang griffen die Nationalstaaten auf ihre eigenen Listen zu
sicheren Herkunftsstaaten zurück, die jedoch uneinheitlich sind und folglich zusammenhängende Verfahren
durch alle Mitgliedsstaaten erschwert haben, wie die Europäische Kommission in ihrem Verordnungsentwurf hervorhebt.
Eine gemeinsame Liste sicherer Herkunftsstaaten führe dagegen nicht nur zu einheitlicheren Verfahren, sondern
wirke auch der Sekundärmigration von Asylsuchenden innerhalb der EU entgegen. Personen, die in einem Land
keine Aussicht auf Asyl haben, würden damit auch in keinem anderen EU-Land Asylstatus inklusive Sozialleistungen
erlangen können.
Die EU-Kommission weist aber darauf hin, dass ungeachtet der Aufnahme eines Landes in die einheitliche Liste sicherer
Herkunftsstaaten weiterhin Anträge auf internationalen Schutz in jedem einzelnen Fall angemessen zu prüfen
sind. Sollte es schwerwiegende Bedenken über die Sicherheitssituation einer Person in einem Staat auf der
EU-Liste geben, hält die Kommission fest, könne dieser Antragstellerin oder diesem Antragsteller nicht
einfach der Zutritt in den Unionsraum verwehrt werden. Grundsätzlich würden aber die Drittstaaten, deren
Aufnahme in die gemeinsame EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten vorgeschlagen wird, in Bezug auf ihr Rechtssystem
und der allgemeinen politischen Lage die menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Vorgaben erfüllen, heißt
es im Kommissionsentwurf.
Österreich befürworte die einheitliche Liste sicherer Herkunftsländer und müsste in die nationale
Liste lediglich die Türkei mitaufnehmen, so der Experte des Innenministeriums. Diesen Schritt sehen allerdings
die Bundesräte Schennach (S/W) und Schreuder (G/W) sehr kritisch. Tatsächlich herrschten dort aufgrund
des Konflikts mit der kurdischen Bevölkerung bürgerkriegsähnliche Zustände. Zudem habe die
Türkei auch menschenrechtliche Verstöße wie Kinderarbeit nicht unterbunden, fügte Schennach
an und folgerte, es sei nicht verwunderlich, dass die EU die Europäische Menschenrechtskonvention nicht unterschrieben
hat, wenn sie gedenke, ein Land wie die Türkei als sicheren Ort einzustufen. Einen "Erpressungsversuch"
der Türkei gegenüber der EU machte Bundesrätin Mühlwerth (F/W) aus. Da die Union in der Flüchtlingsfrage
die Türkei brauche, verlange das Land, den innertürkischen Kurdenkonflikt unbeachtet austragen zu können,
erboste die FPÖ-Mandatarin sich. Aus dem Innenministerium erfuhren die Ausschussmitglieder, de facto sei noch
nicht abschließend geklärt, ob die Türkei tatsächlich auf der Liste bleibt. Neben den Gesprächen
im Rat darüber werde auch das Europäische Parlament eine diesbezügliche Stellungnahme liefern.
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