Bundesminister Josef Ostermayer eröffnet öffentliche Sitzung in Wien
Wien (bpd) - "Die Bioethikkommission hat schon in einigen schwierigen Fragen an der Grenze zwischen
Medizin und Ethik herausgefiltert, was gesellschaftlich akzeptabel und ethisch wünschenswert ist und hat daraus
Leitlinien entwickelt. Sie berät nicht nur den Bundeskanzler, sie hat damit auch Einfluss auf die gesamte
Politik und die Gesetzgebung, wie etwa am Beispiel der Fortpflanzungsmedizin zu sehen war. Die Politik hofft auch
im komplexen Bereich von Medizin und Ökonomie auf die Expertise der Kommission, die wohl ohne Tabu der schwierigen
Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen nachgehen wird", sagte Bundesminister Josef Ostermayer
bei der Eröffnung der öffentlichen Sitzung der Bioethikkommission zum Thema "Medizin und Ökonomie
– Ein Tabu?" am 05.10. in Wien.
Die Vorsitzende der Kommission, Christiane Druml, skizzierte das Anliegen: "Österreich hat unbestritten
eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Doch die Mittel sind endlich, die Hochleistungsmedizin teuer. Die
Entscheidung über die Verteilung ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Wir werden das sehr komplexe Thema von
ärztlicher, sozialer und ethischer Seite beleuchten und eingrenzen. Doch es ist klar: Im Mittelpunkt muss
das Wohl des Einzelnen und die soziale Gerechtigkeit stehen."
Zu diesem Bereich referierten Alena Buyx, Professorin für Medizinethik an der Universität Kiel, Hepatologe
Peter Ferenci und Pharmakologe Michael Wolzt von der Medizinuniversität in Wien, Berta Schrems, Pflegewissenschafterin
an der Universität Wien, Georg Marckmann, Ethiker und Mediziner der Universität München, sowie Medizinökonom
Jürgen Wallner, der Koordinator dieser Diskussion in der Bioethikkommission.
In ihrem Problemaufriss skizzierte Buyx die schwierige Frage der Verteilungsgerechtigkeit angesichts von Ressourcenknappheit,
demografischer Entwicklung und Ökonomisierungstendenzen. Der einzige Lösungsansatz sei evidenzbasierte
Priorisierung medizinischer Leistungen, um den Ressourceneinsatz zu optimieren, so das Credo des Medizinethikers
Marckmann.
Hepatologe Ferenci, der anhand der Preisexplosion für Hepatis-Medikamente die herausragende Macht der Pharmabranche
darstellte, verlangte nach mehr Steuerung durch die öffentliche Hand. Denn "Shareholder-Orientierung"
sei "die beste Garantie, die Kosten noch zu erhöhen". Generika hingegen böten großes
Einsparungspotential, so Pharmakologe Wolzt, in Österreich werde dieses Potential aber noch nicht entsprechend
genutzt. Zudem wisse die Pharmaindustrie die Preisreduktionen zu verzögern.
Auf die Gefahren durch Personalreduktion wies Pflegewissenschafterin Schrems hin. Oft würden sinnvolle Tätigkeiten
wie Zuwendung, Beratung und Pflege, die zur nachhaltigen Genesung beitragen können, weggelassen, was den vordergründigen
Einsparungen oft unwirtschaftliche Ergebnisse, wie wiederkehrende Krankenhausaufenthalte der unterversorgten Patienten,
gegenüberstellen würde. Zudem leide das Personal unter moralischem Stress, sei immer öfter von Burnout
gefährdet. "Wenn die Zeit nicht reicht, werden Komplikationsrisiken erhöht, ebenso wie die Unzufriedenheit
des Personals und im Endeffekt die Kosten für das Gesundheitssystem."
Diskussionskoordinator Wallner fasst zusammen: Im medizinischen Bereich seien immer schon ökonomische Interessen
involviert gewesen, doch die Logik der Ökonomie habe derzeit die Logik des Heilens überflügelt.
Der Grat zwischen Rationalisierungen und Rationierungen, von der Vermeidung von Verschwendung und dem Vorenthalten
wünschenswerter Leistungen wie persönlicher Betreuung, sei schmal und alles andere als einfach zu begehen.
Die Ethik müsse die Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, der Fairness der Zuwendungen und den Respekt vor
Lebenseinstellungen der Betroffenen berücksichtigen. "Wir reden immer von Kosten, nie von Investitionen
und moralischen Gewinnen. Die Organisation der Medizin sollte aber nicht Gewinn maximierend agieren, sondern gemeinnützig."
"Für Bioethikkommissionen kann es keine Tabus geben: Wir müssen uns den Fragen stellen, die durch
die Weiterentwicklung der Lebenswissenschaften auf uns zukommen. Über alles reden heißt nicht, alles
zuzulassen, aber es bedeutet, die einzelnen Themen unter Beiziehung von Experten zu beleuchten und zu erwägen
und zu einem Ergebnis zu kommen", so Druml abschließend.
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