EU-Hauptausschuss: Wie soll die EU
 die Flüchtlingsströme bewältigen?

 

erstellt am
15. 10. 15
09:00 MEZ

Österreich will für Hotspots in Griechenland rund 100 ExpertInnen zur Verfügung stellen
Wien (pk) – Die aktuellen Flüchtlingsbewegungen und der Umgang damit in Österreich und der EU beschäftigten am 14.10. einmal mehr den EU-Hauptausschuss im Vorfeld des kommenden Europäischen Rats am 15. und 16.10. Die Diskussion erstreckte sich über pro und contra des aktuellen Umgangs mit Schengen und Dublin bis hin zu Maßnahmen in den Krisengebieten, um den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Während Außenminister Sebastian Kurz das "Durchwinken" der Flüchtlinge als keine nachhaltige Lösung bezeichnete, sprach Bundesminister Josef Ostermayer, der den erkrankten Bundeskanzler vertrat, von einem gerechtfertigten Vorgehen im Sinne der Verhältnismäßigkeit. Die Gefahr, dass Deutschland schlagartig seine Grenzen gegenüber Österreich schließt, sieht er derzeit nicht.

Kurz fordert mehr Tempo in der EU
Der Außenminister übte in seiner Stellungnahme Kritik am schleppenden Entscheidungsprozess innerhalb der Union. Die EU habe viel Zeit gebraucht, in die Gänge zu kommen, sagte Kurz, nun gebe es zwar Übereinstimmung, was die Konzepte und Ideen betrifft, aber nur wenig konkrete Schritte zur Umsetzung. Man brauche verstärkt Hilfe vor Ort, eine verbesserte Grenzsicherung und eine gerechte Verteilung der Schutzsuchenden in der EU, drängte der Außenminister auf mehr Tempo.

In Österreich allein seien heuer bereits 55.000 Asylanträge gestellt worden. Derzeit seien Millionen Menschen auf der Flucht, darunter rund 12 Millionen syrische Flüchtlinge, das sei die Hälfte der gesamten syrischen Bevölkerung, schilderte Kurz die dramatische Situation. In den Transit- und ersten Zufluchtsländern lebten derzeit Millionen Flüchtlinge ohne Perspektive und ohne Rechtssicherheit, weil sie als Gäste aber nicht als Flüchtlinge geführt werden. Es gehe daher darum, die Menschen nicht nur humanitär besser zu versorgen, sondern vor allem auch deren rechtlichen Status zu verändern. Bundesminister Josef Ostermayer, kündigte an, dass man für das UNHCR, das Welternährungsprogramm und den Hilfsfonds für syrische Flüchtlinge seitens der Europäischen Union 2 Mrd. € zur Verfügung stellen wolle, um die humanitäre Situation der Menschen in der Region zu verbessern. Österreich wolle für die humanitäre Flüchtlingshilfe insgesamt 30 Mio. € bereitstellen, ergänzte Außenminister Kurz.

Abgeordnete machen sich keine Illusionen
Die Abgeordneten, wie etwa Reinhold Lopatka (V) und Johannes Hübner (F), setzten keine allzu großen Erwartungen, was die Ratsbeschlüsse betrifft. Dass Deutswchland, Schweden und Österreich die Last für andere Staaten tragen, werde auf Dauer nicht gehen, sagte Lopatka. Dennoch verlieh er der Hoffnung Ausdruck, dass die Staats- und RegierungschefInnen sich auf konkrete Schritte einigen können, denn es brauche eine gemeinsame Lösung.

Man dürfe sich angesichts der unterschiedlichen Interessen und Wirtschaftsstandards innerhalb der Mitgliedstaaten keine Illusionen machen, bemerkte auch Josef Cap (S) und vermisste ein gemeinsames europäisches Bewusstsein. Deshalb hält er es für unabdinglich, diese ökonomische Schieflage auszugleichen und die Probleme tiefer an der Wurzel anzupacken. SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder meinte, man müsse auch darüber diskutieren, wie die EU in Zukunft besser auf derartige Herausforderungen reagieren kann. Der Gipfel sollte Signalwirkung für Europa haben, sagte Waltraud Dietrich (T), sonst werde man sich weiter über die Probleme hinwegwurschteln. NEOS-Mandatar Christoph Vavrik bewertete den Inhalt der Schlussfolgerungen zwar als positive Schritte, sie stellen für ihn aber nur eine Teillösung dar. Es bestand breiter Konsens darüber, dass hier eine europäische Lösung notwendig ist.

Offene Grenzen – Rechtsbruch oder Vorgehen im Sinn der Verhältnismäßigkeit
Die Frage des Grenzschutzes führte zu einer breiteren Diskussion, ausgelöst durch Wortmeldungen freiheitlicher Ausschussmitglieder, die im Zuge dessen einen Antrag auf Stellungnahmen einbrachten. Darin fordern sie die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass alle Mitglieder der EU im Zusammenhang mit der Asylkrise EU-Recht einhalten und exekutieren. Angesprochen sind dabei insbesondere die Verpflichtungen aus dem Schengen- und dem Dublin-Abkommen.

Johannes Hübner (F) sprach von einer "gewaltigen Einladungslawine", die von Schweden und Deutschland ausgelöst worden sei und nun zum Zusammenbruch des derzeitigen Systems führe. Man betreibe de facto Schlepperhilfe, denn so wie man bisher agiert habe, werde der Druck aus Afrika noch größer werden, sagte er. Das syrische Problem hält Hübner nicht für das Schlüsselproblem, sondern nur für einen Teil der gesamten Asylströme. Die EU habe in wesentlichen Bereichen dramatisch versagt, bekräftige sein Fraktionskollege Reinhard Eugen Bösch (F) die Aussagen Hübners. Warum gilt in Österreich nationales und europäisches Recht nicht mehr, stellte er die Frage in den Raum. Die Mitgliedstaaten haben ursprünglich die Grenzsicherung an die EU delegiert, so Bösch, die Sicherung der Außengrenzen habe aber nicht stattgefunden. Einzig und allein Ungarn habe die EU-Außengrenzen geschützt, verteidigte Andreas Karlsböck (F) das Vorgehen Viktor Orbáns. Dritter Nationalratspräsident Norbert Hofer (F) wiederum drängte darauf, die Personalkapazitäten bei Polizei und Militär aufzustocken. Es wäre fahrlässig, hier nicht aktiv zu werden.

Der Antrag der Freiheitlichen wurde schließlich von den NEOS und vom Team Stronach unterstützt. NEOS Mandatar Christoph Vavrik ortet eine große Unsicherheit in der Bevölkerung, da man den Eindruck habe, dass der Rechtsstaat ausgesetzt wird und sich die Regierung von den Ereignissen treiben lässt. Man vermische auch Einwanderung, Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention und subsidiär Schutzbedürftige, sagte er und warnte davor, die große Hilfsbereitschaft der ÖsterreicherInnen unverhältnismäßig zu strapazieren. Eine Lösung könne nur dann erfolgreich sein, wenn sie von der Bevölkerung getragen wird, hielt er mit Nachdruck fest. Ähnlich Waltraud Dietrich (T), die befürchtet, dass man derzeit einem dynamischen Prozess gegenübersteht, den man nicht abschätzen kann. Die Bevölkerung trage die Einwanderung in diesem Ausmaß nicht mit, betonte sie und appellierte, behutsam mit dem Thema umzugehen, um den sozialen Frieden in Österreich und in der EU nicht zu gefährden. Die Staaten müssten es sich aussuchen können, wer einwandern kann, sagte sie.

Die beiden Minister verteidigten das Vorgehen der Regierung, wobei Außenminister Kurz doch kritische Töne anschlug. Es gebe eine massive Überforderung aller Systeme, stellte er fest, das Durchwinken habe Schule gemacht. Dies könne aber keine nachhaltige Lösung sein und müsse auch in Österreich aufhören. Würde man so weitermachen, führe das nur dazu, dass es an den Grenzen keine Staatlichkeit mehr gibt. Bundesminister Ostermayer wies darauf hin, dass sowohl das Innenministerium als auch der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts die Situation genau geprüft habe und zum Schluss gekommen sei, dass verhältnismäßig vorzugehen sei. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel sei deshalb notwendig, um Panik und Gewalt zu vermeiden, unterstützte Josef Cap (S) die Argumentation Ostermayers.

Sowohl Waltraud Dietrich (T) als auch Andreas Karlsböck (F) stellten gegenüber Kai Jan Krainer (S) fest, dass sich die Flüchtlinge sehr wohl jene Länder aussuchen, in denen sie ein gutes Sozialsystem vorfinden. Krainer hatte zuvor gemeint, die Betreffenden fliehen vor allem in jene Länder, wo sie Verwandte haben und mit der Sprache besser zurechtkommen. Aus seiner Sicht suchen Flüchtlinge Sicherheit, sowohl Rechtssicherheit als auch soziale Sicherheit, reagierte darauf Außenminister Kurz, und das sei durchaus nachvollziehbar. Er warnte auch davor, alles nur aus der eigenen Perspektive zu sehen und wies darauf hin, dass sich viele Staaten auch deshalb gegen eine Aufteilung der Flüchtlinge stellen, weil Deutschland, Schweden und Österreich den Flüchtlingen signalisierten, sie seien willkommen, dann aber eine Aufteilung innerhalb Europas verlangen.

Zwischen Abschottungspolitik, legaler Einwanderung und einem harmonisiertem Asylrecht
Die Kritik der Grünen an den Vorhaben der EU richtete sich vor allem gegen die aus ihrer Sicht geplante Abschottung der Grenzen. Man setze hauptsächlich auf die Abwehr der Flüchtlinge, kritisierte Alev Korun (G), was jedoch das Problem nicht löse, sondern lediglich ein Förderprogramm für die Schlepper darstelle. Von einer gemeinsamen Asylpolitik sei nicht mehr die Rede, stellte sie mit Bedauern fest. Ebenso argumentierte Tanja Windbüchler-Souschill (G), die befürchtet, dass das humanitäre Asylrecht völlig in den Hintergrund tritt. Beide forderten eine gemeinsame, solidarische und nachhaltige europäische Asylpolitik mit einheitlich hohen Standards sowie eine faire Aufteilung der Schutzsuchenden. Dadurch könnte man Botschaftsverfahren zulassen und eine legale Einreise ermöglichen. Diese Anliegen legten sie auch in einem Antrag auf Stellungnahme vor, der jedoch von den anderen Fraktionen abgelehnt wurde. Darin wird auch die zweckmäßige Verwendung von EZA-Mitteln verlangt. Zudem sprechen sich die Grünen für eine aktive Friedenspolitik für Syrien, den Irak und Afghanistan aus.

Außenminister Sebastian Kurz unterstrich aus seiner Sicht die Notwendigkeit legaler Einwanderung nach Europa und sprach sich ebenso wie die Grünen dafür aus, Asylanträge in den Botschaften stellen zu können. Gleichzeitig gab er jedoch zu bedenken, dass das Potential an Flüchtlingen enorm groß sei und sich heute schon 60 Millionen Menschen auf der Flucht befinden. Es müsse daher im Vorfeld die Frage geklärt werden, wie viele Flüchtlinge man als Land aufnehmen kann.

Was die Befürchtungen betrifft, dass Deutschland seine Grenzen zu Österreich schließen könne, wie dies Waltraud Dietrich (T) angesprochen hatte, bemerkte Bundesminister Josef Ostermayer, es gebe keinerlei Hinweise, dass Deutschland oder Bayern einen radikalen Schritt setzt. Die Menschenrechtskonvention, die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Charta der Grundrechte stünden außer Streit.

Sorge um die Türkei
Wie der Entwurf der Schlussfolgerungen des kommenden Rats ausführt, strebt die EU unter anderem auch die engere Zusammenarbeit mit Drittstaaten an, insbesondere mit der Türkei, wobei die derzeitige Situation in dem Land aufgrund der sich zuspitzenden Polarisierung mit großer Sorge betrachtet wurde. Die jüngsten Entwicklungen in diesem Land und das Vorgehen von Präsident Recep Tayyip Erdogan geben Anlass zu großer Sorge, sagte Andreas Schieder (S), der auch den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) als eine Hauptpriorität betrachtet. Die Region sei äußerst schwierig, trotzdem sei es dringend notwendig, dass sich die EU um eine diplomatische Lösung bemüht. Auch der Iran könne in diesem Zusammenhang sehr hilfreich sein, meinte Schieder. Bundesminister Josef Ostermayer sprach wie Christine Muttonen (S) von einer Schlüsselfunktion der Türkei. Ziel sei der Abschluss eines raschen Kooperationsplans, der auf gegenseitigen Verpflichtungen beruht. Werner Kogler (G) warnte in diesem Zusammenhang jedoch davor, sich von Präsident Erdogan erpressen zu lassen. Für ihn ist die Aufhebung des Kriegsrechts und die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen unabdingbare Voraussetzung für ein Abkommen. Außenminister Sebastian Kurz erläuterte, dass in den Gesprächen mit der Türkei die Grenzsicherung und die Rolle des Landes im Syrien-Konflikt im Mittelpunkt stehen.

Nicht nur die Türkei, sondern auch die Mittelmeerroute und die Westbalkanroute stehen nach Aussagen von Bundesminister Ostermayer im Blickfeld europäischer Hilfsmaßnahmen. Man sei bestrebt, sich auch mit den afrikanischen Staats- und Regierungschefs beim kommenden Gipfeltreffen in Valletta auf konkrete operative Maßnahmen zu einigen. Dazu zählen insbesondere die wirksame Rückführung und Rückübernahme von Migrantinnen und Migranten, die Verhinderung irregulärer Migration, aber auch reale Anstrengungen zur Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas. Dafür sollen seitens der EU im Rahmen des Afrika-Treuhandfonds 1,8 Mrd. € zur Verfügung gestellt werden, informierte dazu Minister Kurz aufgrund einer Anfrage von Tanja Windbüchler-Souschill (G). Darüber hinaus liege auch ein Stufenplan für die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) vor.

Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Rückführungsmaßnahmen
Die Umsetzung der Rückführungsmaßnahmen sei oft äußerst schwierig, gab Kurz gegenüber Hermann Schultes (V), Gisela Wurm und Andreas Schieder (beide S) zu bedenken. Vielfach legten die Behörden im Zuge des Verfahrens große Barrieren in den Weg. Er sei daher dafür, härter gegenüber den betreffenden Ländern zu agieren, sagte Kurz, auch über das Mittel der EZA.

100 österreichische ExpertInnen für Griechenland zur rechtlichen und logistischen Unterstützung
Als eine zentrale Frage bezeichnete Josef Ostermayer die Einrichtung sogenannter "Hotspots", um die Identifizierung und Registrierung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, sicherzustellen. Österreich sei bereit, Griechenland mit rund 100 ExpertInnen zu unterstützen, da Griechenland zur rechtlichen und logistischen Unterstützung zusätzliche Personalkapazitäten brauche. Der Bundeskanzler habe in einer mit den EU-Institutionen abgestimmten Vorgangsweise diesbezügliche Gespräche mit Premierminister Tsipras geführt. Ziel sei es, nur jene Flüchtlinge, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Anspruch auf Asyl haben, innerhalb Europas aufzuteilen. An den Hotspots würden nicht die Asylverfahren selbst durchgeführt, sondern lediglich die Registrierung und die Aufteilung vorgenommen. Damit reagierte der Minister auf Wortmeldungen von Reinhold Lopatka (V) und Christoph Vavrik (N).

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.parlament.gv.at

 

 

 

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