Zuversicht in den USA, Unsicherheit im Euro-Raum, fragile Entwicklung in den Schwellenländern
Wien (wifo) - Nach dem Konjunktureinbruch im Jahr 2015 wird Chinas Wirtschaft auch in den kommenden Jahren
langsamer wachsen. Dies hält die Rohstoffpreise mittelfristig niedrig und erschwert so die Erholung in Russland
und Brasilien, wo zukunftsträchtige Investitionen während der Rohstoffpreishausse versäumt wurden.
Auch im Euro-Raum dämpft die geringe Investitionstätigkeit die Wachstumschancen. Das Fehlen wirtschaftspolitischer
Koordinationsmechanismen erhöht die Unsicherheit, und die nationalstaatlich orientierte Wirtschaftspolitik
verstärkt die Divergenz der Wirtschaftsentwicklung. In den USA sind die Wachstumsmöglichkeiten besser,
da die Folgen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise durch eine geschickt kombinierte Geld- und Fiskalpolitik überwunden
wurden und die Erwerbsbevölkerung wächst.
Die Bruchstellen im Gefüge der Weltwirtschaft, die von der weltweiten Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise offengelegt
wurden, prägen die Wachstumstendenzen auch in den kommenden Jahren. Zwei negative Impulse verdienen hier besondere
Beachtung: die investitionshemmende Unsicherheit im Euro-Raum und die Fragilität der Entwicklung in den Schwellenländern.
Im Euro-Raum fehlt es an wirtschaftspolitischen Instrumenten, um die im Gefolge der Rezession entstandene Krise
und die Divergenz der Mitgliedsländer nachhaltig zu lösen. Grundlegende Konstruktionsfehler der Währungsunion,
insbesondere ein Mangel an Ausgleichs- bzw. Stabilisierungsmechanismen in der Lohn- und Fiskalpolitik, bleiben
bestehen. Daher ist die Unsicherheit weiterhin hoch und die Investitionsdynamik schwach. Das Wirtschaftswachstum
wird im Euro-Raum mittelfristig 1,4% p. a. betragen.
Ein weiterer negativer Impuls geht von den Schwellenländern aus. In China schwächte sich die Expansion
der Sachgütererzeugung heuer empfindlich ab. Dies steht in direkter Verbindung mit den Entwicklungen seit
2007: Die Exportzuwächse, die aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise eingebrochen waren, wurden durch massive
staatliche Investitionsprogramme ersetzt. Die Überproduktion wurde nun korrigiert mit entsprechend dämpfenden
Effekten auf den Welthandel und die Rohstoffpreise. Da der Dienstleistungssektor in China mittlerweile eine wichtige
Rolle spielt und die Behörden noch einigen Interventionsspielraum haben, wird die aktuelle Konjunkturflaute
zwar rasch überwunden werden, die Trendwachstumsraten sind aber im Prognosezeitraum mit +6% p. a. geringer
als in der Vergangenheit. Der Verfall der Rohstoffpreise belastet darüber hinaus die rohstoffexportierenden
Länder, insbesondere Russland und Brasilien: Die Investitionsversäumnisse während der Rohstoffpreishausse
("Dutch Disease") mindern die mittelfristigen Wachstumschancen (+1,7% p. a. bzw. +1,3% p. a.). Indiens
Wirtschaft als Rohstoffimporteur profitiert hingegen von der Verbilligung und kann, sofern die Zinswende in den
USA nicht neuerliche Finanzmarktturbulenzen nach sich zieht, mittelfristig mit +7,2% p. a. kräftiger wachsen
als Chinas Wirtschaft.
In den USA sind die Wachstumsperspektiven, gemessen an dem bereits sehr hohen Pro-Kopf-Einkommen, weltweit weiterhin
am besten (+2,5% p. a.). Die Folgen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise -Schuldenüberhang im privaten Sektor,
hohe Arbeitslosigkeit, geringe Kreditvergabe - wurden durch eine geschickt kombinierte Geld- und Fiskalpolitik
überwunden. In den kommenden Jahren bleibt die Fiskalpolitik expansiv ausgerichtet, jedoch werden die Zinssätze
entsprechend der soliden Wirtschaftslage schrittweise angehoben. Umgekehrt schränken im Euro-Raum Verschärfungen
der Fiskalregeln den Spielraum der öffentlichen Hand weiter ein, die Geldpolitik bleibt aufgrund des trägen
Wachstums und des geringen Preisauftriebes vorläufig locker. Ihre realwirtschaftliche Wirkung ist aber, abgesehen
von der Schwächung des Euro, gering, da sie nicht durch fiskalische Impulse ergänzt wird.
Die vorliegende Prognose erstreckt sich über den Zeitraum 2016/2020 und wurde mit dem makroökonometrischen
Weltmodell von Oxford Economics (Global Economic Model) erstellt. Es umfasst insgesamt 77 Länder; 47 davon
werden detailliert abgebildet, darunter China, USA, die meisten EU-Länder, Indien, Japan, Russland und Brasilien.
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