Mittelfristige Prognose der österreichischen Wirtschaft bis 2020
Wien (wifo) - Nach der flauen Entwicklung 2012/2015 (+0,5% p. a.) expandiert die heimische Wirtschaft mittelfristig
mäßig (2016/2020 +1,5% p. a.). Insbesondere wachsen die Investitionen verhalten, und der Außenbeitrag
trägt zum Wirtschaftswachstum weniger bei als vor der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise. Der private Konsum
erhält durch den Anstieg der verfügbaren Einkommen infolge der Steuerreform 2015/16 einen gewissen Impuls
und dürfte im Prognosezeitraum um 1,3% p. a. zunehmen (2011/2015 +0,5% p. a.). Die leichte Expansion ermöglicht
zwar eine Ausweitung der Beschäftigung (2016/2020 +1% p. a.), diese reicht aber nicht aus, um einen weiteren
Anstieg der Arbeitslosigkeit bis 2018 zu verhindern, da das Arbeitskräfteangebot aus dem Inland und vor allem
aus dem Ausland insgesamt stärker zunimmt. Die Arbeitslosenquote dürfte 2017/18 einen Höchstwert
von knapp 10% (gemäß AMS-Definition) erreichen und bis zum Ende des Prognosezeitraumes wieder auf rund
9 1/2% zurückgehen. Der Inflationsdruck bleibt mittelfristig mäßig, das Inflationsdifferential
zum Euro-Raum wird sich merklich verringern. Die Inflationsrate dürfte durchschnittlich 1,8% betragen. Ein
ausgeglichener Staatshaushalt (sowohl strukturell als auch nach Maastricht-Definition) wird aufgrund des prognostizierten
Konjunkturverlaufes und der angenommenen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen erst zum Ende des Prognosezeitraumes
erwartet.
Nach der Schwächephase 2012/2015 (BIP real +0,5% p. a.) dürfte das Wirtschaftswachstum wieder etwas an
Kraft gewinnen. Im Durchschnitt der nächsten fünf Jahre wird eine BIP-Steigerung um 1 1/2% pro Jahr erwartet
(2011/2015 +1,0% p. a.), die dem Durchschnitt des Euro-Raumes entspricht.
Das Trendwachstum dürfte in Österreich 2016 bis 2020 laut der Berechnungsmethode der Europäischen
Kommission auf Basis der WIFO-Prognose 1,2% p. a. betragen und damit etwas über dem der letzen Fünfjahresperiode
liegen (2011/2015 +1,0% p. a.). Die österreichische Wirtschaft befindet sich aber nach wie vor in einer Phase
der konjunkturbedingten Unterauslastung. Die Outputlücke (relative Abweichung des tatsächlichen Outputs
vom Trend-Output) dürfte sich erst zum Ende des Prognosehorizonts schließen; sie verringert sich von
-1,8% im Jahr 2015 auf -0,0% 2020.
Die realen Exporte werden in den Jahren 2016 bis 2020 voraussichtlich um 3,7% pro Jahr ausgeweitet, um gut 1 Prozentpunkte
stärker als in der vorhergehenden Fünfjahresperiode. Die österreichische Exportwirtschaft wird damit
aber ihre internationale Marktposition voraussichtlich nicht halten können. Da die Entwicklung der Importe
ähnlich, aber etwas abgeschwächt verläuft, wird der Außenhandel weiterhin einen positiven
Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten.
Die Ausrüstungsinvestitionen werden trotz günstiger Finanzierungsbedingungen weiterhin nur wenig ausgeweitet
(+2,3% p. a., 2011/2015 +2,6% p. a.), da die Absatzerwartungen im In- und Ausland nach wie vor ungünstig sind.
Das Bevölkerungswachstum und der daraus abgeleitete Anstieg der Zahl der privaten Haushalte sowie die nach
wie vor hohen Immobilienpreise sollten die privaten Wohnbauinvestitionen stützen. Dem steht ein durch den
Spardruck der öffentlichen Haushalte getrübter mittelfristiger Ausblick für den Tiefbau gegenüber.
Die gesamte Bautätigkeit entwickelt sich daher nur mäßig (2016/2020 +1 1/4% p. a.).
Das verfügbare Realeinkommen der privaten Haushalte wächst im Prognosezeitraum mit +1,5% p. a. um 1 1/2
Prozentpunkte stärker als im Durchschnitt 2011/2015. Getragen wird diese Entwicklung vor allem von der Tarifanpassung
in der Lohn- und Einkommensteuer, die 2016 in Kraft tritt und einen Anstieg der verfügbaren realen Nettohaushaltseinkommen
um 1% bedeutet. Weiters dürften die Bruttolohneinkommen nicht mehr schrumpfen (pro Kopf real 2016/2020 +0,2%,
2011/2015 -0,2%), und auch die Selbständigeneinkommen werden sich günstiger entwickeln als im Durchschnitt
der letzten fünf Jahre (Bruttobetriebsüberschuß 2011/2015 +1,9%, 2016/2020 +3,0%).
Im Zeitraum 2007/2013 reagierten die privaten Haushalte mit Entsparen auf die realen Einkommensverluste und stabilisierten
damit die Konsumnachfrage. Die Sparquote sank in diesen Jahren um 4,8 Prozentpunkte von 12,1% 2007 auf 7,3% 2013.
In den Folgejahren stieg sie wieder etwas (2015: 7,7%). Im Prognosezeitraum besteht aufgrund des weiterhin niedrigen
Zinsniveaus wenig Anreiz, die Ersparnisbildung zu erhöhen. Der angenommene Anstieg der Sparquote auf 8,5%
bis zum Jahr 2020 ist in erster Linie der Einkommensteigerung durch die Steuerreform 2015/16 (+0,5 Prozentpunkte)
zuzuschreiben.
Der seit dem Ausbruch der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise beobachteten Konsumzurückhaltung der Haushalte
wirkt die Entlastung der verfügbaren Einkommen durch die Steuerreform entgegen. Der private Konsum dürfte
2016/2020 real um 1,3% pro Jahr gesteigert werden (2011/2015 +0,5%).
Die leichte Expansion der Wirtschaftsleistung ermöglicht zwar eine Ausweitung der Beschäftigung (+1,0%
im Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2020), bringt jedoch keine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt. Der Anstieg des
Arbeitskräfteangebotes (+0,9% p. a.) resultiert in den kommenden Jahren vor allem aus einer Zunahme der Zahl
der ausländischen Arbeitskräfte, einer anhaltenden Ausweitung der Frauenerwerbsbeteiligung und der Verschärfung
der Eintrittsbedingungen für die Früh- bzw. Invaliditätspension.
Um die starke Zunahme der Zahl der Asylanträge im Zeitraum Jänner bis August 2015 (46.133 - für
August vorläufige Werte; Jänner bis August 2014: 13.712) und die damit verbundenen Auswirkungen auf die
Bevölkerungszahl in der aktuellen Prognose abzubilden, wurde nicht wie bisher auf das mittlere, sondern auf
das hohe Wanderungsszenario der Bevölkerungsprognose von Statistik Austria vom November 2014 zurückgegriffen:
Asylsuchende, die sich registriert länger als 90 Tage in Österreich aufhalten, werden in der Bevölkerungsstatistik
erfasst. Nach Anerkennung des Flüchtlingsstatus wird ein erheblicher Teil dieser Personengruppe auch dem Arbeitskräfteangebot
zuzurechnen sein. Für das Jahr 2016 ergibt sich somit gegenüber der mittleren Wanderungsvariante eine
Steigerung des Arbeitskräfteangebotes um 15.000 Personen. Aufgrund der gegenwärtigen geopolitischen Lage
dürfte die österreichische Bevölkerung auch in den nächsten Jahren durch den Zustrom von Asylsuchenden
und anerkannten Flüchtlingen stärker wachsen als ursprünglich im mittleren Wanderungsszenario angenommen
wurde.
Die Zahl der Arbeitslosen wird bis zum Jahr 2018 auf 397.000 steigen (+185.000 gegenüber dem Vorkrisenjahr
2008), sodass sich eine Arbeitslosenquote von 9,9% der unselbständigen Erwerbspersonen (AMS-Definition) bzw.
6,1% der Erwerbspersonen (Eurostat-Definition) ergibt. Bis 2020 könnte die Arbeitslosenquote konjunkturbedingt
und durch eine leichte Entspannung der Zunahme des Arbeitsangebotes auf 9,4% zurückgehen.
Die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten als wichtigste Determinante des inländischen Kostendruckes
erhöhen sich 2016/2020 um 1,5% p. a., die Bruttoreallöhne pro Kopf steigen jährlich um 0,2%. Damit
bleibt die Entwicklung der Reallöhne leicht hinter jener der Arbeitsproduktivität zurück und sollte
daher keinen inflationstreibenden Effekt entfalten.
Die Anhebung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes um 3 Prozentpunkte für ausgewählte Produkte,
die Ausweitung der Konsumnachfrage infolge der Entlastung durch die Steuerreform sowie die teilweise Überwälzung
von Steuern auf die Verbraucherpreise im Gefolge der Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung dürften zum
Anstieg der Verbraucherpreise 2016 insgesamt 0,3 Prozentpunkte und 2017 0,2 Prozentpunkte beitragen.
Im Umfeld aus (leicht) steigenden Preisen von Mineralölprodukten (diese leisteten 2013/2015 einen negativen
Beitrag zur Inflation) und der Wirkung der Steuerreform 2015/16 sollte der Preisauftrieb wieder etwas zunehmen.
Für die Periode 2016/2020 wird mit einer Teuerungsrate laut Verbraucherpreisindex von durchschnittlich 1,8%
gerechnet.
Die Entwicklung der öffentlichen Haushalte wird in den Jahren 2016 bis 2020 von der im Frühjahr 2015
beschlossenen Steuerreform 2015/16 geprägt. Diese umfasst im Wesentlichen eine umfangreiche Senkung der Lohn-
und Einkommensteuer. Die Gegenfinanzierung soll primär durch Steuererhöhungen erfolgen, die Mehreinnahmen
steigen von 2,5 Mrd. Euro 2016 auf 3,5 Mrd. Euro p. a. ab 2018. Netto beträgt somit die Steuerentlastung 2016
1,5 Mrd. Euro, ab 2018 erreicht sie 1,9 Mrd. Euro jährlich, das sind 1/2% des BIP. Ergänzend werden ab
2016 auf Bundes- und Länderebene Einsparungen im Bereich von Verwaltung und Förderungen im Umfang von
1,1 Mrd. Euro angestrebt.
Vor dem Hintergrund der nur mäßigen Konjunkturerholung und der hohen und auch in den nächsten Jahren
weiter steigenden Arbeitslosigkeit kommt die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nur verhalten voran.
2014 verschlechterte sich der Maastricht-Saldo primär durch umfangreiche Bankenhilfen auf -2,7% des BIP. Er
wird sich 2015 auf -1,9% des BIP verbessern und 2016 auf etwa diesem Niveau verharren (-2% des BIP). Erst ab 2017
ist mit einer schrittweisen weiteren Verringerung auf -0,3% des BIP im Jahr 2020 zu rechnen.
Der strukturelle Budgetsaldo geht 2015 zurück auf -0,3% des BIP, steigt jedoch 2016 wieder auf 1,1% des BIP
und sinkt 2017 kaum (auf -1% des BIP). Damit wird der von der Regierung im Stabilitätsprogramm vom April 2015
vorgezeichnete Pfad für die Entwicklung des strukturellen Budgetsaldos laut vorliegender Prognose nicht eingehalten:
Das mittelfristige Budgetziel (MTO) eines strukturell fast ausgeglichenen gesamtstaatlichen Budgets (struktureller
Saldo von höchstens -0,45% des BIP) wird erst 2019 nachhaltig erreicht. Die Vorgabe des fiskalischen Regelwerkes
der EU, gemäß dem präventiven Arm des Stabilitäts- und Wachstumspaktes den strukturellen Budgetsaldo
jährlich um mindestens 0,5% des BIP zu verbessern, kann somit in den nächsten Jahren voraussichtlich
nicht eingehalten werden.
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