Nationalratspräsidentin Doris Bures lud zur Festveranstaltung "20 Jahre Nationalfonds
der Republik Österreich" ins Parlament
Wien (pk) - Vor 20 Jahren wurde der Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus
eingerichtet – ein spätes Bekenntnis der Republik zur Mitverantwortung von Österreicherinnen und Österreichern
an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Anlässlich des Jahrestags lud Nationalratspräsidentin Doris
Bures am Abend des 29.10. zur Festveranstaltung "20 Jahre Nationalfonds der Republik Österreich"
ins Parlament.
Nach Begrüßungsworten der Nationalratspräsidentin über die große Bedeutung des Nationalfonds
hielt Bundespräsident Heinz Fischer eine Festansprache, in der er auf die Unterschiede zwischen Österreich
und Deutschland beim Umgang mit der NS-Vergangenheit einging. Vor der Rede des Bundespräsidenten gab es noch
einleitende Worte von der Generalsekretärin des Nationalfonds, Hannah Lessing. Sowie eine Festrede des Historikers
Yehuda Bauer, der über die Bedeutung der Demokratie und die Widersprüchlichkeit des Menschen sprach.
Nationalratspräsidentin Bures berichtete in ihrer Begrüßungsrede unter anderem über einen
Besuch in New York, wo sie Überlebende des NS-Terrors traf: "Im österreichischen Generalkonsulat
traf ich Menschen im hohen Alter, viele von ihnen mussten als Kinder oder Jugendliche vor NS-Gewalt und Mord aus
Österreich fliehen. Sie haben in den USA eine neue Heimat gefunden. Im Gespräch mit diesen Menschen erfuhr
ich einmal mehr, dass die Bedeutung des Nationalfonds weit über seine materiellen Leistungen hinausgeht. Erst
die Arbeit des Nationalfonds ermöglichte vielen eine Wiederbegegnung mit Österreich – dem Ort ihrer verlorenen
Heimat."
Die Nationalratspräsidentin schloss ihre Rede mit den Worten: "Das Vermächtnis der Überlebenden
mahnt uns zu beweisen, dass wir aus der Geschichte gelernt haben. Das sind wir ihnen, und unseren Kindern schuldig!"
Täter haben sich unter die Opfer gemischt
Bundespräsident Heinz Fischer sagte in seiner Festansprache: "Es ist sehr zu begrüßen, dass
es den Nationalfonds gibt. Dass er erst fünfzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet
wurde, ist ein Wermutstropfen." Danach beschäftigte sich Fischer mit der unterschiedlichen NS-Geschichte
Deutschlands und Österreichs: "In Deutschland stand der Machtantritt Hitlers mit Wahlen in Verbindung,
in Österreich nicht. In Deutschland gab es beim Machtantritt Hitlers keine völkerrechtlichen Probleme,
in Österreich schon." Nicht zuletzt diese Unterschiede hätten zur Moskauer Deklaration 1943 beigetragen,
die besagte, Österreich sei das erste freie Land gewesen, das der "Angriffspolitik Hitlers" zum
Opfer gefallen sei. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten sich auch Österreicherinnen und Österreicher,
die in der NS-Zeit zu Tätern geworden seien, diese "Formel" zunutze gemacht und hätten sich
zu Opfern erklärt. "Täter haben sich unter die Opfer gemischt."
Der Bundespräsident beendete seine Rede mit den Worten: "Die Geschichte lehrt viel über Verantwortung
und über die Schwäche der Demokratie. Wir alle werden immer wieder in neuer Form auf die Probe gestellt.
Zurzeit passiert das beim Thema Flüchtlinge." Das Leitmotiv jeder Bürgerin und jedes Bürgers
solle in dieser Frage lauten: "Verhältst du dich heute so, dass du das auch in 10 oder 20 Jahren deinen
Kindern erklären kannst?"
Wie bekämpft man Totalitarismus?
Der Historiker Yehuda Bauer sagte in seiner Festrede: "Der Führerstaat ist nicht nur der Nazi-Staat,
sondern eine menschliche Neigung." Der Mensch neige noch immer dazu, kein Demokrat zu sein, sondern dem Alphamännchen
oder dem Alphaweibchen zu folgen. Das zeige sich auch in der heutigen Weltpolitik. Demokratie sei nichts Natürliches.
Und es sei sehr schwer, das zu verändern. "Wie bekämpft man Totalitarismus? Wie die NS-Ideologie?",
fragte Bauer. Und antwortete: "Die Erben der Täter sind nicht schuldig, aber verantwortlich. Und auch
die Erben der Opfer und die Zuseher sind verantwortlich. Die Demokratische Gesellschaft muss sich verantwortlich
fühlen." Die moralische Grundlage dieser Verantwortung seien drei Gebote, sagte Bauer: "Erstens,
du darfst kein Täter sein. Zweitens, du sollst kein Opfer sein. Drittens, du sollst niemals ein Zuschauer
sein."
Die Generalsekretärin des Nationalfonds, Hannah Lessing, sagte in ihrer Rede: " Wir können nicht
das Rad der Zeit zurückdrehen und wir können nichts wieder gut machen. Trotzdem war es wichtig, das Rad
der Versöhnung in Gang zu bringen. Die Gründung des Nationalfonds hat in Österreich einen Wandel
im Umgang mit der NS-Vergangenheit eingeläutet. 1995 war noch nicht absehbar, wie groß diese Aufgabe
war. Wir hatten keine Vorstellung, wie viele Menschen wir erreichen können. Die Opfer des NS-Terrors lebten
in 70 verschiedenen Ländern. Die Antwort der Adressierten war oft von Kritik Bitterkeit und Zorn getragen,
aber auch von Herzlichkeit. Und diese Herzlichkeit zeigt, wie wichtig diese Geste der Republik war."
Für die musikalische Umrahmung der Veranstaltung sorgte Ernst Molden, der drei Stücke vortrug. Als Moderatorin
führte Sonja Kato-Mailath-Pokorny durch den Abend.
Der Nationalfonds - später Ausdruck der Verantwortung
Der Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus wurde 1995
zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung und damit der Wiederherstellung der demokratischen Republik
Österreich gegründet. Damit hat die Republik spät aber doch ihre besondere Verantwortung gegenüber
den Opfern des Nationalsozialismus zum Ausdruck gebracht. Diese Anerkennung stellt aber auch einen wichtigen Beitrag
zu einer gesellschaftspolitischen Sensibilisierung im Hinblick auf die Wahrnehmung einzelner Opfergruppen und die
unterschiedlichen Formen der Verfolgung dar, wie auf der Website des Fonds unterstrichen wird.
Zentrale Aufgabe des Nationalfonds sind die Gestezahlungen -Individualzahlungen in der Höhe von jeweils 5.087,10
€ an NS-Opfer. Berücksichtigt werden dabei alle Opfer des Nationalsozialismus, auch jene, die in Österreich
lange keine oder nur eine unzureichende Anerkennung erfahren haben. Dazu zählen etwa Roma und Sinti, "Spanienkämpfer",
Kärntner Slowenen, die "Kinder vom Spiegelgrund", Opfer der NS-Militärjustiz, Homosexuelle,
aber auch die von der Aussiedlung aus dem "Döllersheimer Ländchen" (Allentsteig/NÖ) Betroffenen
oder Wehrdienstverweigerer und Deserteure aus der Deutschen Wehrmacht. Seit dem Bestehen des Nationalfonds wurden
ca. 31.400 Anträge bearbeitet und rund 156 Mio. € ausbezahlt.
Zahlreiche weitere Aufgabenfelder
2000 wurde der Härteausgleichsfonds eingerichtet, aus dem Zahlungen an jene erfolgen, die die Voraussetzungen
für die Zuerkennung nach dem Nationalfondsgesetz zwar weitgehend, jedoch nicht zur Gänze erfüllen.
Daraus wurden bisher 91 Auszahlungen zu je 5.087,10 € vorgenommen.
Aus dem Raubgoldfonds (Nazi Persecutee Relief Fund) wurden 48 Auszahlungen zu je 5.087,10 € vorgenommen. Dieser
speiste sich aus Mitteln, die aufgrund des Verzichts diverser Staaten auf ihren Restbestand am so genannten Raubgold
frei geworden waren. Der Nationalfonds verwaltete den auf die Republik Österreich entfallenden Teil der Gelder.
Die Mittel sind seit 2010 aufgebraucht.
Zudem wurde der Nationalfonds im Jahr 2001 in Umsetzung des Washingtoner Abkommens mit der Entschädigung für
entzogene Mietrechte, Hausrat und persönliche Wertgegenstände betraut. Für diesen Zweck wurde an
über 20.000 Berechtigte ein Betrag von jeweils 7.630 € sowie Nachzahlungen von jeweils 1.000 € ausbezahlt;
insgesamt gelangten umgerechnet 175 Mio. € zur Verteilung.
Ein Hauptaugenmerk des Nationalfonds liegt auf der Förderung von Projekten, wobei insbesondere soziale, medizinische
und psychotherapeutische Projekte zugunsten von überlebenden Opfern im Vordergrund stehen. Es werden aber
auch wissenschaftliche Projekte unterstützt; dem bildungspolitischen Aspekt und Gedenkprojekten wird dabei
besonderes Augenmerk geschenkt. Dafür wendete der Fonds bislang insgesamt 25,13 Mio. € auf.
Zudem hat der Fonds Aufgaben aus dem Kunstrestitutionsgesetz übernommen und richtete 2006 eine Online-Kunstdatenbank
ein, die Informationen zu über 9.100 Objekten enthält.
Der Fonds wurde 2009 mit der Neugestaltung der österreichischen Ausstellung im Block 17 des Staatlichen Museums
Auschwitz-Birkenau in Polen beauftragt, die den Titel "Entfernung. Österreich in Auschwitz" trägt.
Schließlich fungiert der Fonds als österreichische Koordinierungsstelle im Rahmen der International
Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) international.
Zu den Aufgaben des Nationalfonds zählt überdies die administrative Unterstützung des 2010 eingerichteten
Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe in Österreich und des 2001 eingerichteten und mit
210 Mio. US-Dollar dotierten Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus. Die Vermögensentschädigung
durch den Entschädigungsfonds ist weitgehend abgeschlossen, die Naturalrestitution wird bis 2018 abgeschlossen
sein, danach wird dieser Fonds aufgelöst.
Im Jänner 2013 stellte der Nationalfonds das in deutscher und englischer Version abrufbare Findbuch für
Opfer des Nationalsozialismus (www.findbuch.at) vor. Das Online-Portal ermöglicht eine Suche nach Materialien
zu NS-Vermögensentziehungen und österreichischen Restitutions- und Entschädigungsmaßnahmen
in mehreren österreichischen Archiven.
Die Leitung des Nationalfonds
Von Anfang an leitete Hannah Lessing als Generalsekretärin den Nationalfonds. Oberstes Organ des Fonds ist
das Kuratorium, an dessen Spitze derzeit Doris Bures in ihrer Funktion als Präsidentin des Nationalrats steht.
Dem Kuratorium gehören unter anderem auch ihre beiden Stellvertreter im Präsidium, Karlheinz Kopf und
Norbert Hofer, sowie Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner an. Erster Vorsitzender
des Kuratoriums war der jetzige Bundespräsident und damalige Nationalratspräsident Heinz Fischer, ihm
folgten Andreas Khol und Barbara Prammer.
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