Wien (oj) - „L’Astragale“ (F 2014) ist Brigitte Sys Neuverfilmung des autobiografischen Romans von Albertine
Sarrazin aus dem Jahr 1965. Als die knapp 20-jährige Albertine 1957 aus dem Gefängnis ausbricht, verletzt
sie sich das Sprungbei, also den Astragalus. Zuflucht und Versorgung findet sie bei Julien, der es mit dem Gesetz
auch nicht so ernst nimmt. Die Regisseurin betont jedoch, nicht so sehr eine Biografie der Schriftstellerin gemacht
zu haben, sondern einen Film über die Rebellion, über die Jugend, über eine selbstbewusste Frau
die alle möglichen Regeln bricht, die stolz auf ihre Unabhängigkeit ist.
Jia Zhangke situiert die Handlung ihres neuesten Spielfilms „Shan he gu ren“ (China/Japan/F 2015) in Fenyang,
ihrer Geburtsstadt. Die Geschichte fängt als Ménage-à-trois an, denn Tao kann sich nicht zwischen
zwei Männern entscheiden. Soll sie den armen aber liebenswürdigen Minenarbeiter Liangzi oder den karriereorientierten
Zhang Jingsheng? Sie wählt die materielle Sicherheit und glaubt, sich von Liangzi für immer trennen zu
müssen. Umso größer ist ihre Überraschung, als 14 Jahre später Liangzis Ehefrau Mia bei
der mittlerweile geschiedenen Tao auftaucht und sie um finanzielle Hilfe bittet. Bei Liangzi wurde ein Lungentumor
diagnostiziert. Auf diese Weise begegnen sich Liangzi und Tao in einem armseligen wieder Haus wieder, in dem sie
sich 14 Jahre zuvor getrennt hatten.
Am letzten Festivaltag wurden auch die diesjährigen Preisträger gekürt:
Den Wiener Filmpreis erhielt in der Kategorie Spielfilm „Ich seh ich seh“ (A 2014) von Veronika Franz und
Severin Fiala. Auszug aus der Jurybegründung: „Der Film transformiert die Figur einer jungen Frau, die den
Erwartungen ihrer Kinder nicht mehr entspricht, zur Quelledes Horrors. In der absoluten Überzeichnung wird
die Rolle der Mutter als brutale Zumutung, in die das Scheitern eingebaut ist, vorgeführt. Zugleich gelingt
es dem Film, in der «totalen Projektion» von Phantasma, Wahn und visueller Oberfläche ein «Reales»
aufzuzeigen, dem nicht zu entkommen ist.“
In der Kategorie Dokumentarfilm ging der Preis an „Lampedusa im Winter“ (A/I/CH 2015) von Jakob Brossmann.
Aiszug aus der Jurybegründung: „Der Film beeindruckt durch die Art und Weise, wie er die komplexe Problemlage
der Menschen in Lampedusa nachzeichnet, das Bild einer Insel wiedergibt, die nicht nur um ihr eigenes ökonomisches
Überleben kämpft, sondern auch mit den ankommenden Flüchtlingen zurecht zu kommen versucht. Dieser
Film macht Mut durch die Schilderung der zivilen und institutionellen Haltung der Menschen von Lampedusa, insbesondere
der Frauen.“
Den Standard-Viennale-Publikumspreis erhielt „A uma hora incerta“ (P 2015) von Carlos Saboga. Auszug aus
der Jurybegründung: „Eine Vater-Tochter Beziehung inmitten einer Geschichte über Verrat, Intrigen, Begierden
und dunkle Neugier. Im Portugal der 40er Jahre. Wir waren begeistert von den komplexen Charakteren, die immer verführen
aber nie erklären. Sinnlich, reich, erotisch, verflochten – wie die Zöpfe der Hauptdarstellerin. Wir
lieben diesen Film: A UMA HORA INCERTA von Carlos Saboga.“
Den FIPRESCI Preis (Preis der internationalen Filmkritik) erhielt „Coma“ (Syrien/Libanon 2015) Sara Fattahi.
Auszug aus der Jurybegründung: „Ein Home-Movie aus dem winterlichen Damaskus, eine Isolationsstudie, ein Kriegs-
und Familienfilm: Eine junge Frau dokumentiert die Stagnation ihres Lebens mit Mutter und Großmutter, eingeschlossen
in ihrer Wohnung, während draußen der Bürgerkrieg tobt – das ist die Grundsituation dieser Arbeit.
Der Ausnahmezustand als Alltagssituation.“
Der Mehr-WERT Filmpreis der Erste Bank ging exequo an zwei Filme „Lampedusa im Winter“ (A/I/CH 2015) von
Jakob Brossmann, Auszug aus der Jurybegründung: „Eine berührende, aufrüttelnde und zugleich tröstliche
Dokumentation. Politisch und zugleich optimistisch zeigt sie auf vorbildliche Weise eine kleine in sich abgeschlossene
Welt. Gemeinwesen im besten Sinne. Die Insel und ihre Bewohner stehen für ein würdevolles Leben unter
besonders schwierigen Bedingungen. Der Film beeindruckt durch Menschlichkeit und die Kraft der Überzeugung,
gemeinsam Probleme lösen zu können“ und „Coma“ (A 2015) von Claudia Larcher, Auszug aus der Jurybegründung:
„Die zweite Produktion, die von der Jury prämiert wird, ist ein Kurzfilm. Haut – unser vertrautestes und intimstes
Sinnesorgan verwandelt sich in eine faszinierende akustische und visuelle Seelenlandschaft voller Abgründe
fremdartigen, unheimlichen Lebens. Der Blick hat Methode. Dieser Blick will nicht nur zeigen, er will mit intensiver
Beharrlichkeit neue, fremde Welten in vermeintlich vertrauter Umgebung erkunden. Die bisherigen Ergebnisse dieses
Forscherdrangs wecken beim Betrachter Lust auf mehr. Die Jury hat daher entschieden, Claudia Larcher auf eine neue
Entdeckungsfahrt zu schicken.“
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