"Die Universität. Eine Kampfzone"

 

erstellt am
03. 11. 15
11:00 MEZ

Neue Ausstellung im Jüdischen Museum Wien – Frauen in der Unterzahl. Gertrude Kurth an der Universität Wien, um 1925
Wien (rk) - Das Jüdische Museum Wien, ein Unternehmen der Wien Holding, zeigt anlässlich des 650-jährigen Bestehens der Universität Wien von 3. November 2015 bis 28. März 2016 die neue Ausstellung "Die Universität. Eine Kampfzone". Dabei wird erstmals ein Überblick über die Beziehung zwischen Jüdinnen, Juden und den Wiener Universitäten vom ausgehenden Mittelalter bis in das 20. Jahrhundert gegeben. Sie zeigt die Universität einerseits als jüdisches Hoffnungsgebiet und andererseits als Ort blutiger Pogrome und erzählt über Inklusion und Exklusion aus jüdischer Perspektive.

Das umfangreiche Ausstellungsprojekt greift die jüdisch-akademische Beziehungsgeschichte anhand von Objekten und Dokumenten, aber auch zahlreichen biografischen Erinnerungen jüdischer Studierender und Lehrender auf. Darüber hinaus stellt die Ausstellung auch zeitgenössische künstlerische Arbeiten in den Mittelpunkt, die vom Bedürfnis zeugen, sich tiefer mit dieser verdrängten Geschichte auseinanderzusetzen: Im Rahmen der Ausstellung ist es gelungen, für jeden Raum ein zentrales Kunstwerk zu ermitteln, das - passend zum behandelten Thema - wichtige Hinweise liefert oder zentrale Fragen stellt.

Die Ausstellung beleuchtet eine große Zeitspanne: vom ausgehenden Mittelalter und den Kämpfen zwischen Studierenden und Jüdinnen und Juden im Ghetto im Unteren Werd im 17. Jahrhundert über die 1848er Revolution bis hin zu antisemitischen Netzwerken in der Nachkriegszeit und dem Alltag jüdischer Studierender von 1945 bis heute. Dabei wird deutlich, dass sich die Wiener Universitäten von dieser Politik des Ausschlusses, die lange vor dem "Anschluss" 1938 begann und diesen in gewisser Weise vorbereitete, bis heute nicht erholt haben. Die Erzählung der Ausstellung beginnt mit der Frage nach der Offenheit der Wiener Universitäten in der Geschichte und spricht so gleich den Jahrhunderte langen Ausschluss von Frauen, Juden und Jüdinnen an.

650 Jahre im Rückspiegel
Als Rudolf IV. die Universität Wien als katholische Bildungsstätte gründete, hatten die Wiener Jüdinnen und Juden bereits ihr eigenes Bildungssystem in der Stadt etabliert, denn seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entwickelte sich in Wien eine blühende jüdische Gemeinde. Nach ihrer Vertreibung 1421 wurde ihr geistiges Zentrum, die Synagoge, deren Reste am heutigen Judenplatz besichtigt werden können, abgerissen. Mit Steinen dieser Synagoge baute sich die Wiener Universität ein neues Gebäude, die so genannte Neue Schule.

Im Zuge des Toleranzpatents 1782, mehr als 400 Jahre nach ihrer Gründung, öffnete Kaiser Joseph II. die Universität für die bis dahin ausgesperrten Juden. Hundert Jahre später trugen jüdische Wissenschaftler mit bahnbrechenden Forschungen zur Glanzzeit der Wiener Universität bei. Die Universitäten waren im 19. Jahrhundert zum Hoffnungsgebiet der stark wachsenden jüdischen Bildungsschicht geworden, entpuppten sich jedoch bald als brutale Kampfzone, denn ab den 1880er-Jahren nahmen Übergriffe durch antisemitische Studenten drastisch zu. Als 1897 die Philosophische Fakultät der Universität Wien die Tore auch für Frauen öffnete, stellten Jüdinnen sofort ein Viertel der Studentinnen dar. Während diese Zahlen als eine Erfolgsgeschichte bezeichnet werden könnten, sah es mit den Karrierechancen der Wissenschaftlerinnen ganz anders aus. Im Zeitraum von 1897 bis 1938 wurden kaum Jüdinnen in den akademischen Betrieb übernommen.

Eine Brutalisierung der Kampfzone Universität fand ausgerechnet mit der Ausrufung der Republik statt, als eine Koalition aus deutschnationalen und christlich-sozialen Antisemiten die Vorherrschaft an der Universität Wien übernahm. Sie radikalisierte drei Strategien, die bereits in der Monarchie erprobt worden waren: Zum einen erfolgte die Verringerung des jüdischen und linken Lehrpersonals durch Diskriminierung bei Habilitationen und Berufungen, zum anderen versuchte man, die Zahl der Studierenden jüdischer Herkunft durch einen speziellen Numerus clausus zu reduzieren. Da sich dieser Numerus clausus jedoch gesetzlich nicht durchsetzen ließ, ging man schließlich dazu über, physische und psychische Gewalt gegen jüdische sowie linke Studierende und Lehrende anzuwenden. Die darauf folgenden Pogrome wiederholten sich durch ein Zusammenspiel aus meist deutschnationalen Rektoren und einer wachsenden Zahl nationalsozialistischer Studenten und Studentinnen über Jahre. Die nationalsozialistischen Studenten und Studentinnen setzten ihre Aktionen zu Beginn des austrofaschistischen Systems nach 1934 fort, das selbst wiederum versuchte, die Studentenschaft gleichzuschalten

Belasteter Neubeginn nach 1945
Die Vertreibung jüdischer Studierender und Lehrender von den Wiener Universitäten nach dem "Anschluss" Österreichs an Nazideutschland ist hinsichtlich der Anzahl der Personen und des kurzen Zeitraums in Europa beispiellos. Für die nichtjüdischen Lehrenden und Studierenden traf dieser Bruch nur dann zu, wenn sie aus politischen Gründen entlassen wurden. Für die große Mehrheit stellte das Jahr 1938 eine Kontinuität dar, und auf lange Sicht gesehen galt dies selbst für die Mehrzahl der belasteten Professoren in den Jahren nach 1945: 56 der 92 belasteten Professoren konnten ihre Karriere zum Teil nach längeren Unterbrechungen an einer Hochschule im In- oder Ausland fortsetzen, 30 an der Universität Wien. Die Vertreibung und Ermordung der österreichischen Jüdinnen und Juden nach 1938 verhinderte darüber hinaus auch für lange Zeit eine Aufarbeitung der brutalen Zustände an den Wiener Universitäten in den Jahrzehnten davor. Je nach Bedarf wurden durch den "Anschluss" und die darauffolgenden Massenmorde das "Unmenschliche" an die Adresse der Täter "aus Deutschland" ausgelagert, die eigenen faschistischen Traditionen hingegen, die an den Wiener Universitäten nach 1918 zu voller Blüte gelangten, als etwas "Harmloses Studentisches" kleingeredet, das nichts mit dem nationalsozialistischen Mörderregime der Jahre nach 1938 zu tun hatte. Es dauerte sehr lange, bis das unvorstellbare Gewaltklima an den Wiener Universitäten zwischen dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts und den Jahren 1938/45 in der Geschichtswissenschaft beleuchtet wurde. Eine Remigration jüdischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach 1945 wurde in den allermeisten Fällen verhindert. In den letzten Jahren wurde in der Forschung viel nach- und ins Bewusstsein geholt. Während 1965 bei der 600-Jahr-Feier der Universität Wien die universitäre Gewalt noch unerwähnt blieb, um bewusst keine Angriffspunkte zu liefern, denn zahlreiche ehemalige NSDAP-Mitglieder waren weiterhin als Professoren tätig, wurde die Brutalität an den Universitäten zwischen 1875 und 1938 im Jubiläumsjahr 2015 im Rahmen von zahlreichen Veranstaltungen, Publikationen und Ausstellungen aufgegriffen.

Doch auch in den 1960er Jahren gelang es nicht, das Thema zu verschweigen. Die jungen Studentinnen und Studenten waren sensibilisiert. So dokumentierte beispielsweise der Student Ferdinand Lacina, späterer Finanzminister, seit Dezember 1961 die nationalsozialistischen und antisemitischen Aussagen von Taras Borodajkewycz an der Hochschule für Welthandel. Bei Demonstrationen gegen den Wirtschaftshistoriker, ehemaliges Mitglied der katholischen akademischen Verbindung Norica und ab 1934 illegaler Nationalsozialist, starb Ernst Kirchweger durch einen Faustschlag eines Rechtsextremisten und Mitglieds des RFS (Ring Freiheitlicher Studenten) Günther Kümel. Er wurde damit das erste Todesopfer in einer politischen Auseinandersetzung nach dem Ende des Nationalsozialismus.

Die Ausstellung
Basis der Ausstellungserzählung sind drei zentrale Forschungsebenen: Der Blick in autobiographische Erzählungen jüdischer Studierender und Lehrender, die Recherche in jüdischen Zeitungen aus Deutschland und Österreich und schließlich die 150 Jahre alte Schrift des jüdischen Wiener Historikers Gerson Wolf, der in seinen "Studien zur Jubelfeier der Wiener Universität im Jahr 1865" bereits die Wiener jüdisch-universitäre Beziehungsgeschichte anlässlich der 500-Jahr-Feier der Universität aufgegriffen hatte. Die Inklusion und Exklusion von Jüdinnen und Juden innerhalb der Wiener Universität schlagen sich auch im Gestaltungskonzept der Ausstellung nieder. Mit Hilfe einfacher baulicher Mittel werden sowohl Durchlässigkeit als auch Barrieren für Jüdinnen und Juden hinsichtlich der Wiener Universitäten räumlich begreifbar gemacht. Die Ausstellung im Jüdischen Museum Wien baut auch auf einer öffentlichen Diskussionsreihe mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland auf, die das Museum mit Unterstützung der Wiener Vorlesungen und dem Wissenschaftsreferat der MA 7 im Mai 2015 veranstaltete. Zu der von Werner Hanak-Lettner und Adina Seeger (Assistenz) kuratierten und Stefan Fuhrer gestalteten Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog, der auch die Impulsreferate der Diskussionsreihe beinhaltet (ISBN-Nr. 978-3-7117-2031-3), im Picus Verlag zum Preis von 29,90 Euro, der ab sofort im Bookshop des Museums und im Buchhandel erhältlich ist.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.jmw.at

 

 

 

 

 

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