EU-Hauptausschuss vor dem informellen EU-Gipfel: Nachhaltige Lösung braucht Hilfe in den
Krisenregionen
Wien (pk) - Mehr Tempo bei der Umsetzung der EU-Beschlüsse im Hinblick auf die derzeitigen Flüchtlingsströme
fordern Bundeskanzler Werner Faymann und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ein. Beide nahmen im EU-Hauptausschuss
vom 10.11., der im Vorfeld der informellen Tagung der Staats-und RegierungschefInnen zusammentrat, zur aktuellen
Situation Stellung.
Wie sehr man in organisatorischen Fragen hinter den Beschlüssen des Rats hinterherhinkt, werde etwa darin
deutlich, dass die nötigen Verteilerzentren fehlen, um - wie festgelegt - die 160.000 Flüchtlinge innerhalb
Europas zur verteilen, merkte der Bundeskanzler an. Grundsätzlich werde sie das Gefühl nicht los, dass
viele Mitgliedstaaten noch nicht begriffen haben, dass man vor einer gemeinsamen Herausforderung steht, schlug
Mikl-Leitner kritische Töne an. In diesem Sinne warnte auch ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka davor, in
Europa vom Bemühen um Kompromisse und gelebter Solidarität abzugehen. Beide Komponenten stellten ein
Kernelement der EU dar, so Lopatka. Wenn man in der Flüchtlingsfrage nun davon abgehe, dann stelle sich die
ernste Frage, ob die EU in der Form, wie sie sich entwickelt hat, weiterbestehen kann.
Gemeinsame Asylpolitik gefragt
Die Grünen brachten im Ausschuss einen Antrag auf Stellungnahme ein, in dem sie die EU-Flüchtlingspolitik
kritisieren. Alev Korun und Albert Steinhauser fordern darin den Bundeskanzler auf, sich auf EU-Ebene dafür
einzusetzen, mit Hochdruck an einer umfassenden, gemeinsamen Asyl-Politik mit einheitlichen, hohen Standards von
Asyl-Verfahren zu arbeiten und für eine faire Aufteilung von Schutzsuchenden zu sorgen. Sie habe derzeit den
Eindruck, dass in Europa das gemeinsame Asyl-System völlig aus den Augen verloren werde und es vielmehr um
Abschottung gehe, hielt Korun fest. Das sei keine nachhaltige Lösung, sagte sie. Der Antrag wurde schließlich
mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, Freiheitlichen und Team Stronach abgelehnt, Unterstützung erhielten
die Grünen nur von den NEOS.
Der Antrag beinhalte viel Positives, erläuterte Zweiter Nationalratspräsident Karlheinz Kopf die Haltung
seiner Fraktion, eine geordnete Asylpolitik habe aber zur Voraussetzung, dass man "kontrolliert, legalisiert
und ordnet". Dazu gehöre die Unterscheidung zwischen jenen, die Asyl brauchen, und Wirtschaftsflüchtlingen
sowie die Rückführung jener, die kein Anrecht auf Asyl haben. Dann erst könne man eine faire Aufteilung
verlangen, betonte er. Der Schlüssel dafür sei die Sicherung der Außengrenzen und im Vorfeld eine
gestaffelte Sicherung der nationalen Grenzen. Dieser Realität müsse man sich stellen.
Auch der Bundeskanzler sowie die Innenministerin unterstrichen die Notwendigkeit, die EU-Außengrenzen zu
schützen und Hotspots zur Registrierung der Flüchtlinge einzurichten. Dieser Punkt habe Priorität,
um Schengen aufrecht erhalten zu können, stellte Mikl-Leitner klar. Sie informierte auch über ein sogenanntes
"Non-Paper", in dem vorgeschlagen wird, Flüchtlingen, die sich nicht registrieren lassen, auch keine
Rechte zuzugestehen. Der Asylstatus müsse Hand in Hand mit der Registrierung gehen, meinte auch Waltraud Dietrich
vom Team Stronach.
Die zentrale Rolle der Türkei – wie damit umgehen?
Eine zentrale Rolle nimmt vor allem die Türkei ein, mit der eine Vereinbarung getroffen werden soll. Man müsse
sich der Frage stellen, wie man die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei absichern kann", sagte
Faymann. "Wir müssen vor Ort in den Flüchtlingslagern der Türkei mehr investieren, damit die
Menschen nicht gezwungen sind, zu fliehen", sagte Bundeskanzler Faymann, der mit NEOS-Abgeordnetem Nikolaus
Scherak darin übereinstimmte, dass die menschenrechtliche Situation in der Türkei schlecht ist. Es gehe
aber auch um den Bau von Schulen und die Erteilung von Arbeitsbewilligungen, fügte er hinzu. Die EU sei daher
bereit, zwei Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, um mit der Türkei in die Verhandlungen einsteigen
zu können. Zur Zeit versuche man, durch Umschichtungen diesen Betrag aus dem EU-Budget aufzubringen. Alev
Korun von den Grünen warnte vor einem Deal "Geld gegen Zurückhaltung von Flüchtlingen"
und forderte eindringlich, für eine Verbesserung der menschenrechtlichen Situation zu sorgen.
Gegenüber den Bedenken von FPÖ-Abgeordnetem Walter Rosenkranz stellte der Bundeskanzler auch klar, dass
die Türkei von einem Beitritt zur EU weit entfernt sei, auch wenn man ein weiteres Kapitel in den Beitrittsverhandlungen
eröffnet. Österreich präferiere eine privilegierte Partnerschaft, außerdem gebe es eine Übereinkunft,
dass vor einem EU-Beitritt der Türkei in Österreich eine Volksabstimmung stattfinden werde. Was die Visa-Freiheit
betrifft, so denke man vor allem an Studierende. Auch Josef Cap (S) zeigte sich skeptisch in Bezug auf einen Türkei-Beitritt,
denn damit sei vor allem die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union angesprochen. Mit einem EU-Mitglied
Türkei hätte die EU neue Außengrenzen, Migrationsströme in die Türkei seien dann Migrationsströme
in die EU, sagte er, und ein weiteres Problem stelle die Landwirtschaft dar.
Legale Einreisemöglichkeiten harren noch einer Lösung
In der Diskussion sprachen sich Bundeskanzler Faymann und Innenministerin Mikl-Leitner wie Alev Korun (G) und Nikolaus
Scherak (N) für die Möglichkeit einer legalen Einreise aus. Hier ist man dem Regierungschef zufolge aber
noch weit von einer Lösung entfernt. Der Vorgang muss organisierbar sein, so Faymann. Mikl-Leitner wies einmal
mehr auf ihre Initiative "Save Lives" hin.
Sie unterstrich zudem, dass der Abschluss und auch die Durchführung von Rücknahme-Abkommen notwendig
sei, da derzeit nur vierzig Prozent aller illegal Eingewanderten zurückgeschickt werden können. Darüber
hinaus habe man sich in der EU verständigt, die Agentur Frontex zu stärken und Schnell-Eingreif-Truppen
zu schaffen, aber dazu benötige man die Zustimmung Griechenlands.
Die EU will zudem eine europäische Kommunikationsstrategie entwickeln, um für potenzielle Flüchtlinge
ein realistisches Bild zu zeichnen, informierte die Innenministerin. Österreich wird sich dabei aktiv einbringen,
da man beispielsweise sehr erfolgreiche Kampagnen in Bezug auf den Kosovo geführt habe.
Diskussion um Absicherung nationaler Grenzen
Diskussionspunkt im Ausschuss waren auch die geplanten Maßnahmen bei Spielfeld. Er sei gegen einen Zaun,
aber dafür, besser zu kontrollieren, sagte der Bundeskanzler gegenüber Abgeordneter Alev Korun (G). Mikl-Leitner
nannte es ein Sicherheitskonzept, das nichts mit Abschottung zu tun habe. Es gehe um die Sicherheit in der Region
und einen geordneten Ablauf. Konkret müsse die Frage aber erst mit dem Koalitionspartner besprochen werden.
Sie verteidigte auch ihre Aussage zur "Festung Europa" und stellte klar, damit habe sie die Festung der
Rechtstaatlichkeit, die Festung der Ordnung, die Festung der Stabilität und die Sicherung der Außengrenzen
gemeint.
Der Bundeskanzler nahm in diesem Zusammenhang und aufgrund einer Wortmeldung von Abgeordnetem Rosenkranz (F),
der einmal mehr das Vorgehen des ungarischen Regierungschefs verteidigt hatte, zum Anlass, sich dezidiert und prinzipiell
gegen die Errichtung von Grenzzäunen auszusprechen. Dadurch entstünde ein Wettbewerb, wer mit welcher
Gewalt seine Zäune am besten bewacht, und schaffe zudem einen Verdrängungswettbewerb in Richtung des
Nachbarstaates. Durch die Maßnahmen Ungarns würden auch nicht weniger Flüchtlinge nach Österreich
kommen, sie wählten nur eine andere Route, sagte Faymann. Der Bundeskanzler wiederholte auch seine Forderung,
Ländern, die Nettoempfänger sind und bei gemeinsamen Lösungen nicht mitmachen, die Mittel zu kürzen.
Ungarn zähle zu den größten Nettoempfängern, fügte er hinzu.
Nachhaltige Lösungen sind gefragt
Angesichts der massiven Flüchtlingsströme waren sich alle Ausschussmitglieder klar, dass Europa auch
in Zukunft Ziel vieler Flüchtlinge sein werde, nicht nur aus Syrien. Vor allem aus Afrika, wo sich die Bevölkerungszahlen
dramatisch entwickelt, muss man mit einem großen Druck rechnen.
Das hänge von den ungleichen Verhältnissen ab, sagte der Bundeskanzler, weshalb man für eine nachhaltige
Lösung sorgen müsse, damit die Menschen in ihrem Land bleiben können. "Investieren wir in die
Regionen" sagte Faymann, denn weder Deutschland noch Österreich können die Flüchtlingsfragen
der Welt lösen. Die Innenministerin sprach von "Prävention vor Intervention". Der außenpolitische
Sprecher der SPÖ, Josef Cap, brachte die Frage auf den Punkt, indem er festhielt, die Debatte über die
Aufteilung der Flüchtlinge löse das Problem der Klima- und Wirtschaftsmigration nicht. Man müsse
sich vor allem mit der Frage auseinandersetzen, dass global einfach vieles nicht mehr funktioniert. "Wir werden
um eine Änderung der Wirtschaftspolitischen Beziehungen zu Afrika nicht herumkommen", betonte auch Christine
Muttonen (S).
Bundeskanzler Werner Faymann konnte dazu berichten, dass beim Afrika-Gipfel in Valetta ein Aktionsplan vereinbart
werden soll, um die Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung besser zu schützen. Hier habe Österreich
durchaus Nachholbedarf, gestand er ein und kündigte zusätzliche Mittel an. So wolle die Bundesregierung
11,5 Millionen Euro für den Syrien-Fonds, 5,5 Millionen Euro für die UNHCR, 5 Millionen für das
UN World Food Programme, eine Million Euro für sonstige Investitionen und 3 Millionen Euro für bilaterale
Projekte in Afrika zur Verfügung stellen. Die EU selbst wird einen sogenannten Trust-Fund mit 1,8 Milliarden
Euro ausstatten.
Faymann: Österreich hat den Flüchtlingsstrom bisher gut bewältigt
Wie der Bundeskanzler abschließend bemerkte, habe man im Juni eine richtige Prognose erstellt, wonach im
heurigen Jahr rund 85.000 Personen in Österreich Schutz suchen. Es sei zu schaffen, all diese Menschen unterzubringen
und zu versorgen, zeigte er sich zuversichtlich. Darüber hinaus habe Österreich in den letzten Monaten
400.000 Menschen versorgt, die weitergereist sind.
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