…zur Frage der Vermeidung unverhältnismäßiger medizinischer Maßnahmen
am Lebensende
Wien (bka) - Im Februar 2015 hat die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt entsprechend dem Auftrag in
der Regierungserklärung ein Dokument mit Empfehlungen zum Thema "Sterben in Würde" veröffentlicht.
In diesem Dokument wird in ausführlicher Weise besonders auch auf Fragestellungen im Zusammenhang mit unverhältnismäßigen
Therapien und palliativmedizinischen Situationen eingegangen. Die Entwicklungen der Medizin haben den Grenzbereich
zwischen Leben und Tod verschoben. Daher stellt sich häufig die Frage, ob es sich dabei nicht eher um eine
Verlängerung des Sterbeprozesses als um eine Therapie oder Verbesserung der Lebensqualität des Betroffenen
handelt. Mit diesen Fragen ist auch das Rechtssystem gefordert.
Die Bioethikkommission teilt die Sorge der intensivmedizinischen und palliativmedizinischen Fachgesellschaften,
dass durch eine verstärkte Verlagerung medizinischer Entscheidungen zur Strafjustiz grundlegende Errungenschaften
der Palliativmedizin sowie die in breitem Konsens erarbeiteten Entscheidungsgrundlagen für die Vermeidung
unverhältnismäßiger intensivmedizinischer Maßnahmen in Frage gestellt werden könnten.
Daher hat die Bioethikkommission im Dokument "Sterben in Würde" einen Schwerpunkt darauf gelegt,
Empfehlungen zur Vermeidung unverhältnismäßiger medizinischer Interventionen zu geben, die an dieser
Stelle wieder in Erinnerung gerufen werden sollen:
- Medizinische Interventionen, die keinen Nutzen für einen Patienten erbringen
oder deren Belastung für den Patienten größer ist als ein eventueller Nutzen und die am Lebensende
zu einer Verlängerung des Sterbeprozesses führen können, sind weder aus ethischer noch aus medizinischer
Sicht zu rechtfertigen, da sie unverhältnismäßig sind. Die rechtlichen Bedingungen für komplexe
Entscheidungen am Lebensende sollten diesem Umstand in einer Weise Rechnung tragen, dass sorgfältig abgewogene
Entscheidungen ohne Furcht vor einer etwaigen Strafverfolgung getroffen werden können. Die veraltete und nicht
mehr ausreichend klare Terminologie der "aktiven und passiven Sterbehilfe" bedarf daher einer Aktualisierung
entsprechend den Empfehlungen der Bioethikkommission zur "Terminologie medizinischer Entscheidungen am Lebensende".
Dies soll im Besonderen in den juristischen und medizinischen Aus-, Fort- und Weiterbildungen berücksichtigt
werden.
- Um das Vertrauen und damit eine ausreichende Rechtssicherheit in Fällen
der Limitierung oder Beendigung nicht mehr gerechtfertigter medizinischer Maßnahmen zu gewährleisten,
sollte von einer weiteren Strafverfolgung Abstand genommen werden, wenn die Prüfung der Anzeige ergibt, dass
die Therapieentscheidung auf Basis eines nachvollziehbaren, begründeten und der individuellen Situation entsprechenden
Entscheidungsfindungsprozesses erfolgt ist und der Entscheidungsfindungsprozess sich an ethischen Standards und
Leitlinien orientiert hat, wie sie international und national von Berufs- und Fachgesellschaften, akademischen
Ethikeinrichtungen und supranationalen Institutionen entwickelt und publiziert werden.
Das Nicht-Beginnen oder Beendigen von unverhältnismäßigen medizinischen Maßnahmen ist heute
an Krankenanstalten aus medizinisch-faktischen Gründen wie aus der Beachtung ethischer Prinzipien ebenso gefordert
wie die Befolgung palliativmedizinischer Prinzipien. Dazu zählt selbstverständlich die an die jeweilige
Patientensituation angepasste Anwendung von Schmerzmedikamenten inklusive der Gabe von Opiaten, deren Dosis an
der Symptomatik des Patienten ausgerichtet wird.
Die Bioethikkommission verweist daher erneut auf die Empfehlungen in ihrer Stellungnahme "Sterben in Würde",
welche die Forderung nach einer größeren Rechtssicherheit in diesen Fragestellungen beinhalten, um zu
vermeiden, dass Übertherapien aus Furcht vor einer allfälligen Strafverfolgung durchgeführt werden.
Alle Empfehlungen der Bioethikkommission sind hier > abrufbar.
|