Verfassungsausschuss lehnt auch Ministeranklage gegen Bundeskanzler Faymann und Innenministerin
Mikl-Leitner ab
Wien (pk) - Das Ergebnis der Wiener Landtagswahlen hat eine breite öffentliche Diskussion über
die nicht amtsführenden Stadträte und Stadträtinnen in Wien entfacht. Die Bundeshauptstadt ist allerdings
nicht in der Lage, den Proporz im Stadtsenat – und damit auch in der Landesregierung – von sich aus zu beseitigen,
da die Bundesverfassung sämtliche österreichischen Gemeinden, also auch Wien, dazu verpflichtet, die
Opposition nach Maßgabe ihrer Stärke in die Stadtregierung einzubinden. Daran wird sich zumindest vorläufig
auch nichts ändern. Der Verfassungsausschuss des Nationalrats hat am 09.11. einen Antrag der Grünen (
869/A), der auf eine Änderung der Rechtslage abzielt, neuerlich vertagt. Die Verhandlungen würden sowohl
auf Wiener Ebene als auch auf Bundesebene noch laufen, begründete Abgeordnete Angela Lueger die mit S-V-Mehrheit
getroffene Entscheidung.
Ausdrücklich abgelehnt wurde vom Verfassungsausschuss die Forderung der FPÖ, Bundeskanzler Werner Faymann
und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wegen des Offenhaltens der österreichisch-ungarischen Grenze für
Flüchtlinge beim Verfassungsgerichtshof anzuklagen. Auch ein gemeinsamer Antrag aller vier Oppositionsparteien
zur Stärkung der direkten Demokratie in Österreich fand keine Mehrheit.
Grüne: Zwang zum Proporz nicht mehr zeitgemäß
Die Grünen begründen ihre Forderung nach eine Verfassungsänderung damit, dass Proporzsysteme wie
in Wien überholt seien. Abgeordneter Daniela Musiol ist es allerdings wichtig, dass die Opposition nicht von
Informationen abgeschnitten wird, wenn sie keine StadträtInnen mehr stellt. Es gehe auch nicht darum, sich
in Wiener Angelegenheiten "hineinzureklamieren", bekräftigte Musiol, man müsse dem Wiener Landtag
aber die Möglichkeit geben, sich vom Proporzzwang zu verabschieden. Ihr zufolge wird die Frage zwischen SPÖ
und ÖVP wie eine heiße Kartoffel herumgereicht, sie hält eine klare Entscheidung für notwendig.
Für die Aufrechterhaltung des Proporzes im Wiener Stadtrat machte sich hingegen FPÖ-Abgeordneter Günther
Kumpitsch stark. Man solle das geltende System beibehalten, den derzeit nicht amtsführenden StadträtInnen
nach dem Modell von Oberösterreich aber einen Aufgabenbereich zuerkennen, bekräftigte er die Position
seiner Partei.
Keine Ministeranklage gegen Faymann und Mikl-Leitner
Abgeblitzt ist die FPÖ mit ihrer Forderung, Bundeskanzler Werner Faymann und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner
wegen Gesetzesverletzung beim Verfassungsgerichtshof anzuklagen. Beide Anträge ( 1346/A , 1347/A ) wurden
bereits im September eingebracht und damit begründet, dass die zwei Regierungsmitglieder mit dem Offenhalten
der österreichisch-ungarischen Grenze für Flüchtlinge aus politischen Motiven dazu beigetragen haben,
dass das Fremdenpolizeigesetz von den Behörden nicht vollzogen wird. Es sei notwendig, die geltenden Bestimmungen
anzuwenden, um die Sicherheit in Österreich zu gewährleisten, betonte FPÖ-Abgeordneter Harald Stefan
in der Debatte. Da Flüchtlinge nicht registriert würden, wisse man nicht, welche Personen einreisen und
ob darunter auch Verbrecher bzw. Terroristen seien.
Die Entscheidung, ob die Regierung schuldhaft gehandelt habe, liege ohnehin beim Verfassungsgerichtshof, die Abgeordneten
könnten das Verfahren nur in Gang setzen, warb Stefans Fraktionskollege Philipp Schrangl für eine Zustimmung
zum Antrag. Seiner Meinung nach muss es im Interesse des Parlaments liegen, den Sachverhalt zu klären.
Mit Ausnahme des Team Stronach wollte allerdings keiner der Abgeordneten der Argumentation der FPÖ folgen.
Sowohl Ausschussobmann Peter Wittmann (S) als auch ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl hoben hervor, dass
die Öffnung der Grenzen für die Flüchtlinge gemäß dem Schengener Grenzkodex rechtskonform
gewesen sei, da es sich um einen humanitären Notfall gehandelt habe. Auch das Strafrecht erlaube es, einen
entschuldigenden Notstand geltend zu machen, betonte Wittmann. Seiner und der Einschätzung weiterer Abgeordneter
nach hätte man den Flüchtlingsstrom nur durch den Einsatz von Schusswaffen stoppen können, das wäre
ihnen zufolge aber in keiner Verhältnismäßigkeit zum Anlass gestanden. Man habe zwischen dem Schutz
von Menschenleben und formalrechtlichen Kriterien abwägen müssen, so Wittmann. SPÖ-Sozialsprecher
Josef Muchitsch meinte, er sei sehr betroffen, dass es die vorliegenden Anträge überhaupt gibt.
Sowohl die ÖVP-Abgeordneten Georg Vetter und Wolfgang Gerstl als auch NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak orten
politisches Kalkül hinter den von der FPÖ beantragten Ministeranklagen. Der Ruf nach dem Verfassungsgerichtshof
sei der völlig falsche Weg, es sei unangebracht, das Strafrecht als politische Waffe einzusetzen, hielt Vetter
fest. Die Argumentation der FPÖ ist seiner Ansicht nach außerdem "absurd und übertrieben",
nach derselben Logik müsste man sämtliche involvierten Dienststellen bis hin zum letzten Grenzpolizisten
strafrechtlich belangen. Man hätte es bei politischen Werkzeugen wie einem Misstrauensantrag belassen sollen,
meinte auch Gerstl. Scherak zufolge sollte das Instrument der Ministeranklage nur als "ultima ratio"
eingesetzt werden.
Kein Verständnis für die beantragten Ministeranklagen äußerte auch Grün-Abgeordnete Sigrid
Maurer. Ihr zufolge richten sich die Anträge gegen Menschen, die vor Krieg und Not flüchten mussten.
Mit der Öffnung der Grenze habe man eine weitere humanitäre Katastrophe verhindert.
Für sehr wohl berechtigt hielt dem gegenüber Team-Stronach-Abgeordneter Christoph Hagen die Initiativen.
In einem Rechtsstaat hätten Gesetze Gültigkeit, man könne auch von einer Zahlung von Steuerschulden
nicht Abstand nehmen, weil man gerade in einer Notlage sei, argumentierte er. Auch wenn es zu bezweifeln sei, dass
die PolizistInnen den Flüchtlingsstrom stoppen hätten können, hätte man nicht einfach alle
Tore öffnen dürfen, ist der Mandatar überzeugt. Hauptverantwortlich für die Situation macht
Hagen Bundeskanzler Faymann, er stimmte daher nur der Ministeranklage gegen Faymann, nicht jedoch jener gegen Innenministerin
Mikl-Leitner zu. Diese hat seiner Einschätzung nach keine Möglichkeit gehabt, anders zu handeln.
Die beiden Anträge wurden schließlich mit S-V-G-N-Mehrheit bzw. S-V-G-N-T-Mehrheit abgelehnt.
Opposition fordert Volksabstimmung über erfolgreiche Volksbegehren
Schließlich lehnte der Verfassungsausschuss mit den Stimmen der Koalition einen gemeinsamen Entschließungsantrag
aller vier Oppositionsparteien ( 1334/A(E) ) zur Ausweitung der direkten Demokratie in Österreich ab. Die
Abgeordneten Daniela Musiol (G), Harald Stefan (F), Nikolaus Scherak (N) und Waltraud Dietrich (T) wollten vor
allem erreichen, dass über erfolgreiche Volksbegehren künftig automatisch eine Volksabstimmung – oder
zumindest eine Volksbefragung – abgehalten wird, wenn das Parlament das Anliegen der BürgerInnen nicht umsetzt.
Als Begründung ist dem Entschließungsantrag der 42-seitige Minderheitenbericht beigefügt, den die
Opposition zum Abschlussbericht der parlamentarischen Enquete-Kommission betreffend Stärkung der Demokratie
in Österreich vorgelegt hat.
Sowohl Abgeordnete Daniela Musiol (G) als auch Abgeordnete Petra Steger (F) hoben die Notwendigkeit hervor, die
direkte Demokratie in Österreich auszubauen. Mit dem vorliegenden Antrag gebe man SPÖ und ÖVP die
Chance, ihre ablehnende Haltung zu verpflichtenden Volksabstimmungen bzw. Volksbefragungen nach erfolgreichen Volksbegehren
zu überdenken, sagte Steger. Musiol erkundigte sich darüber hinaus danach, welchen Fahrplan es für
die in Aussicht gestellte Weiterentwicklung der direkten Demokratie auf Länderebene gebe. Sie habe bei einem
Verfassungsexperten ein Gutachten in Auftrag gegeben, das gezeigt habe, dass viele der bei der parlamentarischen
Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie in Österreich diskutierten Punkte von den Ländern
auch ohne Verfassungsänderung umgesetzt werden könnten, informierte sie. Für die Einführung
einer dreistufigen Volksgesetzgebung auf Landesebene brauche es aber eine Änderung der Bundesverfassung.
Wie die Verfassungssprecher der Koalitionsparteien, Peter Wittmann (S) und Wolfgang Gerstl (V), berichteten, wurde
der Legislativdienst des Parlaments damit beauftragt, zu eruieren, welche Schritte konkret notwendig sind, um die
Empfehlungen der parlamentarischen Enquete-Kommission umzusetzen. Das soll Gerstl und Wittmann zufolge sowohl notwendige
gesetzliche und verfassungsrechtliche Grundlagen als auch Maßnahmen im Bereich der Verwaltung betreffen.
Eine weiterführende Diskussion ist nach Vorliegen des Berichts geplant.
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