Wirtschaftsgipfel der "Süddeutschen Zeitung" in Berlin – Rede des Bundeskanzlers
zu neuen Herausforderungen für Europa
Berlin/Wien (bpd) - "Ich bin davon überzeugt, dass wir von der Wirtschafts- und Sozialpolitik
zu Flüchtlingsfragen bis hin zur Sicherheitspolitik kein einziges Thema finden, wo jene Recht haben, die auf
hohe Mauern und nur das eigene Land setzen, die auf Abschottung und Ausgrenzung setzen, und die diese Europäische
Union und ihre Aufgabe unterschätzen", so Bundeskanzler Werner Faymann am 19.11. in seinem Eröffnungsvortrag
auf dem Wirtschaftsgipfel 2015 der "Süddeutschen Zeitung" in Berlin. Die Wirtschaft, die Beschäftigten
und insgesamt die Bevölkerung Europas könnten nur dann Vertrauen in die Politik gewinnen, wenn Politiker
auch den Mut hätten auszusprechen, dass es keine rein nationalstaatlichen Lösungen gibt. "Wir brauchen
ein stärkeres Europa, um bisher Erreichtes abzusichern und Frieden und Wohlstand als Voraussetzung für
Freiheit und Demokratie gemeinsam zu bewahren und weiter auszubauen", so Faymann.
"Der Terror in Paris hat gezeigt, wie verletzbar unsere Gesellschaft ist. Die Antwort kann nur ein Zusammenrücken
sein, um gemeinsam den Kampf gegen den Terrorismus aufzunehmen und die Demokratie und Freiheit zu verteidigen",
so der Bundeskanzler. Ziel der Terroristen sei eine Spaltung der Gesellschaft. Die Antwort müsse daher eine
noch engere Zusammenarbeit sein, sowohl auf gesellschaftspolitischer als auch auf polizeilicher Ebene. "Die
internationale Gemeinschaft und die Europäische Union sind hier in vielfacher Hinsicht gefordert", betonte
Faymann in seiner Rede zum Thema "Europa und seine neuen Herausforderungen".
"Wer in einer Gesellschaft auf Segregation setzt, wer die Isolation einzelner fördert und Ghettobildung
zulässt, der steht nicht auf derselben Seite wie jene, die auf Integration und Armutsbekämpfung setzen.
Viele extremistische und gewaltbereite Gruppen nutzen diese Segregation als Nährboden. Ihnen diesen Nährboden
zu entziehen, das ist eine gemeinsame Aufgabe Europas", sagte der Bundeskanzler. Wichtig sei in der aktuellen
politischen Diskussion, dass Terrorismus und Flüchtlinge nicht vermischt werden. "Flüchtlinge fliehen
vor Bomben und Terrorismus, sie sind Opfer und nicht Täter. Sie haben gemäß Genfer Konvention ein
Recht auf Schutz durch unsere Demokratien", betonte Faymann.
Im Rückblick auf die Situation des Flüchtlingszustroms über Ungarn im September sei es die richtige
Entscheidung gewesen, die Grenzen offen zu halten und die Schutzsuchenden zu versorgen. "Hätten wir für
die Menschen keine Nahrung und medizinische Versorgung gewährleistet und die Grenzen geschlossen, so hätte
das eine humanitäre Katastrophe bedeutet. Eine Gesellschaft, die die Werte der Freiheit und des Asylrechts
hoch hält, kann eine solche humanitäre Katastrophe keinesfalls verantworten", so Faymann.
Daher gehe es nun darum, die Werte der Menschlichkeit mit jenen der Ordnung und Planbarkeit in Einklang zu bringen.
"Hier sehe ich die Antwort weder an der deutschen noch an der österreichischen Grenze. Denn eine Flüchtlingskrise
kann man nicht mit Kontrolleinrichtungen lösen, sondern man muss bei den Ursachen ansetzen. Mit Kontrollen
muss man Kriminalität und Schlepperwesen bekämpfen und dazu müssen wir uns als Europäische
Union gemeinsam bekennen", sagte der Kanzler. Man müsse sich auch stärker der Situation in den Flüchtlingslagern
nahe den Krisenregionen widmen. "Die EU hat hier zwei wichtige Beschlüsse gefasst: erstens die Vereinten
Nationen und UNHCR besser zu unterstützen und zweitens enger mit der Türkei zusammen zu arbeiten."
Hier gelte es seitens Europas, die notwendigen finanziellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
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