Expertenhearing zum Budget 2016

 

erstellt am
17. 11. 15
11:00 MEZ

Budgetausschuss: Haushaltspolitik vor großen Herausforderungen
Wien (pk) – Auf dem Verhandlungstisch des Budgetausschusses lagen die Entwürfe für ein Bundesfinanzgesetz 2016, zur Änderung des Budgets 2015 samt Anpassungen im Finanzrahmen bis 2019 und diesbezügliche Analysen des Parlamentarischen Budgetdienstes. Bis am Abend des 20.11. werden die Ausschussmitglieder die 33 Untergliederungen des Budgetentwurfs für 2016 in ganztägigen Sitzungen mit den jeweiligen MinisterInnen verhandeln, eine Fülle von Detailfragen stellen und über Wirkungsziele und Änderungen debattieren. Aufgrund der Ergebnisse dieser Ausschussarbeit wird das Plenum des Nationalrats in der kommenden Woche seinen Haushaltsbeschluss für das Jahr 2016 und das dazugehörige Budgetbegleitgesetz fassen. Langjähriger Tradition folgend startete der Budgetausschuss 16.11. mit einem Expertenhearing in die spannendste Woche seines Arbeitsjahres. In ihren Fragen an die ExpertInnen konzentrierten sich die Abgeordneten auf Wachstums-, Verteilungs- und Beschäftigungseffekte der Steuerreform sowie auf die Beurteilung der Gegenfinanzierungsmaßnahmen und die Kosten infolge des Flüchtlingszustroms. Außerdem standen die Fortsetzung des Konsolidierungskurses sowie Strukturreformen, insbesondere im Steuerrecht, im Bildungswesen sowie bei Pensionen, in der Pflege und im Gesundheitssystem zur Debatte.

Eckdaten des Budgetentwurfs 2016
Mit ihrem Vorschlag zum Bundesvoranschlag 2016 folgt die Bundesregierung den Prioritäten des Bundesfinanzrahmens bis 2019: Stabile Finanzen durch eine Kombination von Strukturreformen und antizyklischer Budgetpolitik, Impulsen für Wachstum, Wettbewerb und Beschäftigung sowie Investitionen in Wissenschaft, Forschung, Bildung, Wirtschaft, aktive Arbeitsmarktpolitik und Ausbau der Infrastruktur. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stellen die Budgetpolitik 2016 mit geringem Wachstum, mehr Arbeitslosen und den Kosten der aktuellen Flüchtlingsströme vor besondere Herausforderungen. Auch die Steuerreform 2015/2016 findet mit einem von der Regierung mit 5,2% Mrd. € angegebenen Entlastungsvolumen und der dafür erforderliche Gegenfinanzierung ihren Niederschlag im Budgetentwurf für 2016.

Im Finanzierungshaushalt sind Auszahlungen von 77 Mrd. € vorgesehen, um 2,3 Mrd. € oder 3,1 % mehr als 2015, wobei der Parlamentarische Budgetdienst aber zu bedenken gibt, dass die vorgesehene Budgetnovelle 2015 zusätzliche Überschreitungen von 688,8 Mio. € ermöglicht und die Auszahlungsobergrenze für 2015 auf 75 Mrd. € erhöht. Schon im laufenden Budgetjahr könnten die Auszahlungen um 1,6 Mrd. € oder 2,2 % steigen, während die Regierung für 2016 Einzahlungen von 71,9 Mrd. € erwartet, nur 378 Mio. € oder 0,5 % mehr als 2015. Daraus resultiert ein veranschlagter Nettofinanzierungsbedarf von 5,1 Mrd. € (-1,5 % des BIP). Das Maastricht-Defizit des Gesamtstaates soll 2016 von 1,9% auf 1,4% abnehmen, dass strukturelle Defizit bei 0,5% gleich bleiben und die Verschuldung des Gesamtstaates von 86,5% auf 85,1% zurückgehen.

Im Ergebnishaushalt verschlechtert sich die Differenz zwischen Erträgen und Aufwendungen. Die Aufwendungen werden für 2016 gegenüber 2015 um 2,5 Mrd. € oder 3,2% höher, die Erträge um 140 Mio. € (0,2 %) niedriger budgetiert. Daher vergrößert sich das Minus im Nettoergebnis der betriebswirtschaftlichen Darstellung des Budgetentwurfs für das kommende Jahr im Vergleich zum Budget 2015 um 2,7 Mrd. € (37,4%) auf 9,8 Mrd. €.

Stefan Ederer für eine expansive Wirtschafts- und Konjunkturpolitik
Stefan Ederer (WIFO) beurteilte den Budgetentwurf für 2016 grundsätzlich positiv, weil er die Konjunktur – anders als in vorangegangenen Jahren – nicht bremse. Die Sparpolitik in der Eurozone habe die gesamtwirtschaftliche Nachfrage vermindert und damit zur Wachstumsschwäche in Europa beigetragen, analysierte Ederer. Schon 2015 hätte man budgetäre Spielräume zur Stärkung des Wachstums nützen können. Nicht zu bremsen sei 2016 aber zu wenig, man sollte budgetäre Spielräume nützen, um das zarte Pflänzchen der Konjunktur zu hegen und zu pflegen. Bei der Steuerreform habe man es verabsäumt, den Konsum und damit die Nachfrage stärker anzuregen sowie Frauen und niedrige Einkommen mehr zu entlasten. Von der Steuerreform erwartete sich Ederer kaum konjunkturelle Effekte und riet dazu, die Integration von AsylwerberInnen in den Arbeitsmarkt stärker zu unterstützen. Auch auf EU-Ebene sollte sich die Bundesregierung für eine expansiverer Wirtschaftspolitik einsetzen. Da die Steuerreform negative Verteilungseffekte auslöse, trat Stefan Ederer für die Einführung von Vermögenssteuern ein.

Gottfried Haber: Stabiler Budgetentwurf, Konsolidierungskurs wichtig
Gottfried Haber (Donauuniversität Krems) hielt im Unterschied zu seinem Vorredner die konjunkturellen und budgetären Spielräume für 2016 weniger groß als erwartet. Zwar bleiben die Zinsen kurzfristig stabil, mittel- und langfristig würden sie aber steigen, sagte Haber. Von der Steuerreform gehe sehr wohl ein konjunktureller Impuls aus, die Gegenfinanzierung sei aber mit Unsicherheiten behaftet, insbesondere hinsichtlich der zeitlichen Wirkungen der Maßnahmen. Die Kosten des Flüchtlingszustroms seien nicht kalkulierbar, weil man nicht wisse, wie viele Menschen noch kommen. Zu rechnen sei mit 10.000 € jährlich pro erwachsenem Flüchtling und mit deutlich höheren Kosten für Jugendliche und Kinder. Chancen für den Arbeitsmarkt infolge des Flüchtlingszustroms sah Haber aus Qualifikationsgrünen kurzfristig kaum. Der vorgelegte Budgetentwurf sei stabil, mittelfristig beurteilte Haber die Stabilität der Budgetentwicklung aber wegen Problemen im Pensions- und im Gesundheitssystems kritisch. Nach 2016 werde es notwendig sein, den Konsolidierungskurs mit effizienzsteigernden Maßnahmen auf der Ausgabenseite fortzusetzen. Das Wissenschaftsbudget sah Haber zureichend dotiert, auch wenn es aus Sicht der Universitäten wünschenswert wäre, die Forschung besser zu finanzieren.

Barbara Kolm: Faktor Arbeit wird in Österreich zu hoch besteuert
Barbara Kolm (Hayek-Institut) sah mangelndes Wachstum in Österreich und in der EU sowie steigende Arbeitslosigkeit und mangelndes Vertrauen der Investoren in den Wirtschaftsstandorten als Hauptprobleme der Budgetpolitik an. Österreich falle in internationalen Wirtschaftsrankings zurück, konstatierte Kolm und strich mangelnde Fortschritte in der Verwaltungsreform, zu hohe Lohnnebenkosten und mangelnde Maßnahmen gegen die kalte Progression hervor. Dazu komme die höchste Abgabenquote aller Zeiten in Österreich. Österreich sollte öffentliche Leistungen reduzieren und die Staatsaufgaben einer kritischen Überprüfung unterziehen. Internationale Kritik erhalte Österreich auch wegen seines Pensionssystems und der mit 86,5% hohen Schuldenquote des Staates. Als zu hoch schätzt die Expertin die Belastung des Faktors Arbeit durch Steuern und Abgaben ein, was dazu führe, dass die Lohnkosten in Österreich um 10% höher seien als in Deutschland. Skepsis äußerte Barbara Kolm auch gegenüber den Einnahmenschätzungen bei den Gegenfinanzierungsmaßnahmen zur Steuerreform. Der Wirtschaftsstandort leide unter rückläufigen Investitionen, was Beschäftigung und Innovation beeinträchtige, führte Kolm in der Debatte aus und empfahl als generelles Gegenrezept eine Entlastung des Faktors Arbeit.

Markus Marterbauer: Expansive Wachstums- und Beschäftigungspolitik
Markus Marterbauer (Arbeiterkammer Wien) hielt die wirtschaftlichen Annahmen, die dem Budgetentwurf 2016 zugrunde liegen, eher an der Untergrenze der tatsächlichen Entwicklung angesiedelt. Die Konjunkturerholung komme in Gang und eröffne größere Budgetspielräume. Optimistisch beurteilet Marterbauer die Entwicklungen bei den Pensionsausgaben und bei der Verzinsung der Staatsschuld, die im Durchschnitt bei 3% liege, für neue Schulden aber nur noch 1% betragen. Die zu erwartenden Kosten für Flüchtlinge verglich Marterbauer mit der jährlichen Belastung des Budget durch 1,9 Mrd. € für Banken seit 2009 - mit diesem Betrag hätte man seit der Krise 40.000 Arbeitsplätze schaffen können. Als wichtig nannte Marterbauer, die beabsichtigte Betrugsbekämpfung voll umzusetzen, auch aus Gründen der Gerechtigkeit.

Eine Überschreitung der Defizitziele wäre akzeptabel, meinte Marterbauer, denn die Gefahr von EU-Sanktionen sei gering. Eine wichtige Weichenstellungen sei der neue Finanzausgleich, für den Marterbauer eine neue Aufgabenverteilung im Bundesstaat vorschlug.

Bei den volkswirtschaftlichen Zielen der Budgetpolitik werde die Vollbeschäftigung am deutlichsten verfehlt, sagte Marterbauer und erklärte, die Arbeitslosigkeit in Österreich stelle kein Qualifikations- und kein Vermittlungsproblem dar. Sie sei vielmehr Ergebnis schlechter europäischer Wirtschaftspolitik, die es verabsäumt habe, für ausreichende Nachfrage auf dem Güter- und Dienstleistungsmarkt zu sorgen. Daher begrüßte Marterbauer die Wohnbauoffensive und die geplanten Investitionen in Breitband- und Energienetze. Diese Projekte seien gut gewählt.

Mit Deutschland halte Österreich im wirtschaftlichen Vergleich gut mit, langfristig entwickle sich Österreich besser als Deutschland, das zuletzt gute Daten zeige, weil die Löhne dort zugenommen haben.

Die Auswirkungen der Steuerreform bezifferte Marterbauer mit einem 3,5-prozentigen Wachstum privater Ausgaben und tausenden zusätzlichen Arbeitsplätzen positiv und die Gegenfinanzierung nicht völlig wachstumsdämpfend. Wer eine funktionierende Infrastruktur und einen guten Sozialstaat wolle, brauche eine hohe Steuerquote, sagte Marterbauer und begrüßte aus konjunktureller und daher auch budgetärer Sicht ausdrücklich auch die Erhöhung der Negativsteuer und den automatischen Steuerausgleich.

Erfreuliche Entwicklungen ortete Marterbauer bei den Pensionen, wo die steigende Beschäftigung zu Mehreinnahmen führe und zugleich das steigende Pensionsantrittsalter zeige, dass die Pensionsreformen greifen. Langfristig bleibe der Anteil der Pensionsausgaben am BIP stabil, Handlungsbedarf sah Marterbauer hingegen bei der Pflege und im Gesundheitssystem. Sorge bereite ihm die schlechte Stimmung in der Wirtschaft, für die er keinen Anlass sah, weil Österreich nach allen wirtschaftlichen Kriterien zu den internationale wettbewerbsfähigen Ländern zähle. Wichtig sei es, die Reformen im Gesundheitswesen umzusetzen, den Kampf gegen den Steuerbetrug entschlossen aufzunehmen und die Arbeitszeit zu kürzen, was möglich sei, weil die Industrie hohe Produktivitätsfortschritte erziele.

Friedrich Schneiders Skepsis gegenüber der Gegenfinanzierung
Friedrich Schneider (Universität Linz) wies einleitend auf die deutliche Stärkung der Kaufkraft durch die Steuerreform und die davon ausgehenden Konjunkturimpulse hin. Auch Schneider sprach sich dafür aus, die kalte Progression abzuschaffen und meldete Kritik an der Berechnung zusätzlicher Einnahmen durch die Einführung der Registrierkassenpflicht an. Die genannten 900 Mio. € seien sehr hoch, sagte Schneider, er beziffere die Einnahmen mit maximal 400 Mio. €, sagte Schneider, der es für unverständlich hielt, dass die Regierung darauf verzichtet habe, die Einführung der Registrierkassenpflicht in einem Pilotversuch zu testen. Die Angaben, wie bei den Ausgaben gespart werden solle, bezeichnete Schneider als vage und appellierte dafür, die Transparenzdatenbank endlich funktionsfähig zu machen, um Einsparungspotentiale bei den Förderungen zu heben. Das Steuersystem sei zu vereinfachen, die Rechnungslegung bundesweit zu vereinheitlichen und bei der Reform des Finanzausgleichs eine Aufgabenreform herbeizuführen.

Hans Jörg Schelling entschlossen im Kampf gegen den Steuerbetrug
Finanzminister Hans Jörg Schelling berichtete mit Bedauern von der Ablehnung aktueller Vorschläge zur Bekämpfung des Karussellbetrugs durch die EU-Kommission, die an einem eigenen Entwurf für den Kampf gegen den Umsatzsteuerbetrug arbeite. Gegenüber Friedrich Schneider erinnerte der Finanzminister an ausreichende Pilotprojekte und praktische Erfahrungen mit der Einführung der Registrierkassenpflicht in Europa und erklärte den Betrag von 900 Mio. € an zusätzlichen Steuereinnahmen unter anderem mit dem Einsatz neuer Software bei der Prüfung von Bilanzen und Steuererklärungen. Unisono mit Friedrich Schneider zeigte sich der Finanzminister optimistisch, dass es auf europäischer Ebene gelingen werde, die zusätzlichen Kosten für der Flüchtlinge aus dem strukturellen Defizit herauszurechnen. Was die Auswirkungen der Beschäftigung auf das Budget angehe, so habe man die verfügbaren Prognosen eingerechnet, sodass Spielraum bestehe.

In der Frage der Bildungsreform erklärte der Finanzminister, es gehe nicht um eine Kürzung der Mittel im Bildungsbudget, sondern um deren effizienteren Einsatz und um die Entflechtung des komplexen Systems. Er erwarte, dass die Vorschläge zu Reform demnächst vorliegen, sein Ressort werde sich dann mit den finanziellen Auswirkungen beschäftigen. Hier werde er seine koordinierende Rolle selbstverständlich wahrnehmen. Der Finanzausgleich sei allerdings nicht das alleinige Allheilmittel für alle Fragen, gab er zu bedenken.

Ernst Smole: Defizite in den Schulen gefährden Wohlstand Österreichs
Ernst Smole (Internationales Forum für Kunst, Bildung und Wissenschaft) warnte vor Wohlstandsverlusten in Österreich wegen der mangelnden Effizienz im Bildungssystem. Konkret beklagte Smole Defizite bei den Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten 15-jähriger SchülerInnen, die deren Chancen, eine weiterführende Schule zu besuchen oder in den Arbeitsmarkt und damit in die Gesellschaft integriert werden zu können, stark vermindern. Daraus resultieren im Sozialbudget Kosten von 1 Mrd. € pro Jahr, weil bis zu 9000 Pflichtschulabgänger keine Beschäftigung finden. Gründe dafür ortete Smole in Defiziten beim Übergang vom Kindergarten in die Schule und zu niedrigen Basisqualifikationen der SchulabgängerInnen, was dramatische Auswirkungen befürchten lasse, da Industriebetriebe wie die VOEST keine Arbeitsplätze für beruflich gering qualifizierte Menschen mehr anbieten. Unter diesen Bedingungen müsse man sich auch die Frage stellen, wie die vielen Zuwanderer gesellschaftlich integriert werden sollen. Als Hauptproblem nannte Smole disziplinäre Probleme in den Schulen, wo PflichtschullehrerInnen ihre fachliche Aufgabe nicht erfüllen können, den SchülerInnen Fertigkeiten und Kenntnisse für positive Lebensentwürfe zu vermitteln, weil ein viel zu großen Teil der Unterrichtszeit wegen disziplinärer Probleme verloren gehe. Beziffert man diesen Entfall an Unterrichtsleistung für einen Tag in ganz Österreich, komme man auf einen Betrag von 2,5 Mio. €, rechnete Ernst Smole vor. Am vorliegenden Budgetentwurf vermisste Smole Maßnahmen für das Disziplinmanagement in den Schulen, wobei er festhielt, dass er nicht einen Kasernenhof meine, wenn er von Disziplin spreche, sondern von den Voraussetzung dafür, dass die Schulen ihre verfassungsmäßigen Bildungsaufgaben wahrnehmen können.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.parlament.gv.at

 

 

 

 

 

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