Budgetausschuss: Haushaltspolitik vor großen Herausforderungen
Wien (pk) – Auf dem Verhandlungstisch des Budgetausschusses lagen die Entwürfe für ein Bundesfinanzgesetz
2016, zur Änderung des Budgets 2015 samt Anpassungen im Finanzrahmen bis 2019 und diesbezügliche Analysen
des Parlamentarischen Budgetdienstes. Bis am Abend des 20.11. werden die Ausschussmitglieder die 33 Untergliederungen
des Budgetentwurfs für 2016 in ganztägigen Sitzungen mit den jeweiligen MinisterInnen verhandeln, eine
Fülle von Detailfragen stellen und über Wirkungsziele und Änderungen debattieren. Aufgrund der Ergebnisse
dieser Ausschussarbeit wird das Plenum des Nationalrats in der kommenden Woche seinen Haushaltsbeschluss für
das Jahr 2016 und das dazugehörige Budgetbegleitgesetz fassen. Langjähriger Tradition folgend startete
der Budgetausschuss 16.11. mit einem Expertenhearing in die spannendste Woche seines Arbeitsjahres. In ihren Fragen
an die ExpertInnen konzentrierten sich die Abgeordneten auf Wachstums-, Verteilungs- und Beschäftigungseffekte
der Steuerreform sowie auf die Beurteilung der Gegenfinanzierungsmaßnahmen und die Kosten infolge des Flüchtlingszustroms.
Außerdem standen die Fortsetzung des Konsolidierungskurses sowie Strukturreformen, insbesondere im Steuerrecht,
im Bildungswesen sowie bei Pensionen, in der Pflege und im Gesundheitssystem zur Debatte.
Eckdaten des Budgetentwurfs 2016
Mit ihrem Vorschlag zum Bundesvoranschlag 2016 folgt die Bundesregierung den Prioritäten des Bundesfinanzrahmens
bis 2019: Stabile Finanzen durch eine Kombination von Strukturreformen und antizyklischer Budgetpolitik, Impulsen
für Wachstum, Wettbewerb und Beschäftigung sowie Investitionen in Wissenschaft, Forschung, Bildung, Wirtschaft,
aktive Arbeitsmarktpolitik und Ausbau der Infrastruktur. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stellen die Budgetpolitik
2016 mit geringem Wachstum, mehr Arbeitslosen und den Kosten der aktuellen Flüchtlingsströme vor besondere
Herausforderungen. Auch die Steuerreform 2015/2016 findet mit einem von der Regierung mit 5,2% Mrd. € angegebenen
Entlastungsvolumen und der dafür erforderliche Gegenfinanzierung ihren Niederschlag im Budgetentwurf für
2016.
Im Finanzierungshaushalt sind Auszahlungen von 77 Mrd. € vorgesehen, um 2,3 Mrd. € oder 3,1 % mehr als 2015, wobei
der Parlamentarische Budgetdienst aber zu bedenken gibt, dass die vorgesehene Budgetnovelle 2015 zusätzliche
Überschreitungen von 688,8 Mio. € ermöglicht und die Auszahlungsobergrenze für 2015 auf 75 Mrd.
€ erhöht. Schon im laufenden Budgetjahr könnten die Auszahlungen um 1,6 Mrd. € oder 2,2 % steigen, während
die Regierung für 2016 Einzahlungen von 71,9 Mrd. € erwartet, nur 378 Mio. € oder 0,5 % mehr als 2015. Daraus
resultiert ein veranschlagter Nettofinanzierungsbedarf von 5,1 Mrd. € (-1,5 % des BIP). Das Maastricht-Defizit
des Gesamtstaates soll 2016 von 1,9% auf 1,4% abnehmen, dass strukturelle Defizit bei 0,5% gleich bleiben und die
Verschuldung des Gesamtstaates von 86,5% auf 85,1% zurückgehen.
Im Ergebnishaushalt verschlechtert sich die Differenz zwischen Erträgen und Aufwendungen. Die Aufwendungen
werden für 2016 gegenüber 2015 um 2,5 Mrd. € oder 3,2% höher, die Erträge um 140 Mio. € (0,2
%) niedriger budgetiert. Daher vergrößert sich das Minus im Nettoergebnis der betriebswirtschaftlichen
Darstellung des Budgetentwurfs für das kommende Jahr im Vergleich zum Budget 2015 um 2,7 Mrd. € (37,4%) auf
9,8 Mrd. €.
Stefan Ederer für eine expansive Wirtschafts- und Konjunkturpolitik
Stefan Ederer (WIFO) beurteilte den Budgetentwurf für 2016 grundsätzlich positiv, weil er die Konjunktur
– anders als in vorangegangenen Jahren – nicht bremse. Die Sparpolitik in der Eurozone habe die gesamtwirtschaftliche
Nachfrage vermindert und damit zur Wachstumsschwäche in Europa beigetragen, analysierte Ederer. Schon 2015
hätte man budgetäre Spielräume zur Stärkung des Wachstums nützen können. Nicht zu
bremsen sei 2016 aber zu wenig, man sollte budgetäre Spielräume nützen, um das zarte Pflänzchen
der Konjunktur zu hegen und zu pflegen. Bei der Steuerreform habe man es verabsäumt, den Konsum und damit
die Nachfrage stärker anzuregen sowie Frauen und niedrige Einkommen mehr zu entlasten. Von der Steuerreform
erwartete sich Ederer kaum konjunkturelle Effekte und riet dazu, die Integration von AsylwerberInnen in den Arbeitsmarkt
stärker zu unterstützen. Auch auf EU-Ebene sollte sich die Bundesregierung für eine expansiverer
Wirtschaftspolitik einsetzen. Da die Steuerreform negative Verteilungseffekte auslöse, trat Stefan Ederer
für die Einführung von Vermögenssteuern ein.
Gottfried Haber: Stabiler Budgetentwurf, Konsolidierungskurs wichtig
Gottfried Haber (Donauuniversität Krems) hielt im Unterschied zu seinem Vorredner die konjunkturellen und
budgetären Spielräume für 2016 weniger groß als erwartet. Zwar bleiben die Zinsen kurzfristig
stabil, mittel- und langfristig würden sie aber steigen, sagte Haber. Von der Steuerreform gehe sehr wohl
ein konjunktureller Impuls aus, die Gegenfinanzierung sei aber mit Unsicherheiten behaftet, insbesondere hinsichtlich
der zeitlichen Wirkungen der Maßnahmen. Die Kosten des Flüchtlingszustroms seien nicht kalkulierbar,
weil man nicht wisse, wie viele Menschen noch kommen. Zu rechnen sei mit 10.000 € jährlich pro erwachsenem
Flüchtling und mit deutlich höheren Kosten für Jugendliche und Kinder. Chancen für den Arbeitsmarkt
infolge des Flüchtlingszustroms sah Haber aus Qualifikationsgrünen kurzfristig kaum. Der vorgelegte Budgetentwurf
sei stabil, mittelfristig beurteilte Haber die Stabilität der Budgetentwicklung aber wegen Problemen im Pensions-
und im Gesundheitssystems kritisch. Nach 2016 werde es notwendig sein, den Konsolidierungskurs mit effizienzsteigernden
Maßnahmen auf der Ausgabenseite fortzusetzen. Das Wissenschaftsbudget sah Haber zureichend dotiert, auch
wenn es aus Sicht der Universitäten wünschenswert wäre, die Forschung besser zu finanzieren.
Barbara Kolm: Faktor Arbeit wird in Österreich zu hoch besteuert
Barbara Kolm (Hayek-Institut) sah mangelndes Wachstum in Österreich und in der EU sowie steigende Arbeitslosigkeit
und mangelndes Vertrauen der Investoren in den Wirtschaftsstandorten als Hauptprobleme der Budgetpolitik an. Österreich
falle in internationalen Wirtschaftsrankings zurück, konstatierte Kolm und strich mangelnde Fortschritte in
der Verwaltungsreform, zu hohe Lohnnebenkosten und mangelnde Maßnahmen gegen die kalte Progression hervor.
Dazu komme die höchste Abgabenquote aller Zeiten in Österreich. Österreich sollte öffentliche
Leistungen reduzieren und die Staatsaufgaben einer kritischen Überprüfung unterziehen. Internationale
Kritik erhalte Österreich auch wegen seines Pensionssystems und der mit 86,5% hohen Schuldenquote des Staates.
Als zu hoch schätzt die Expertin die Belastung des Faktors Arbeit durch Steuern und Abgaben ein, was dazu
führe, dass die Lohnkosten in Österreich um 10% höher seien als in Deutschland. Skepsis äußerte
Barbara Kolm auch gegenüber den Einnahmenschätzungen bei den Gegenfinanzierungsmaßnahmen zur Steuerreform.
Der Wirtschaftsstandort leide unter rückläufigen Investitionen, was Beschäftigung und Innovation
beeinträchtige, führte Kolm in der Debatte aus und empfahl als generelles Gegenrezept eine Entlastung
des Faktors Arbeit.
Markus Marterbauer: Expansive Wachstums- und Beschäftigungspolitik
Markus Marterbauer (Arbeiterkammer Wien) hielt die wirtschaftlichen Annahmen, die dem Budgetentwurf 2016 zugrunde
liegen, eher an der Untergrenze der tatsächlichen Entwicklung angesiedelt. Die Konjunkturerholung komme in
Gang und eröffne größere Budgetspielräume. Optimistisch beurteilet Marterbauer die Entwicklungen
bei den Pensionsausgaben und bei der Verzinsung der Staatsschuld, die im Durchschnitt bei 3% liege, für neue
Schulden aber nur noch 1% betragen. Die zu erwartenden Kosten für Flüchtlinge verglich Marterbauer mit
der jährlichen Belastung des Budget durch 1,9 Mrd. € für Banken seit 2009 - mit diesem Betrag hätte
man seit der Krise 40.000 Arbeitsplätze schaffen können. Als wichtig nannte Marterbauer, die beabsichtigte
Betrugsbekämpfung voll umzusetzen, auch aus Gründen der Gerechtigkeit.
Eine Überschreitung der Defizitziele wäre akzeptabel, meinte Marterbauer, denn die Gefahr von EU-Sanktionen
sei gering. Eine wichtige Weichenstellungen sei der neue Finanzausgleich, für den Marterbauer eine neue Aufgabenverteilung
im Bundesstaat vorschlug.
Bei den volkswirtschaftlichen Zielen der Budgetpolitik werde die Vollbeschäftigung am deutlichsten verfehlt,
sagte Marterbauer und erklärte, die Arbeitslosigkeit in Österreich stelle kein Qualifikations- und kein
Vermittlungsproblem dar. Sie sei vielmehr Ergebnis schlechter europäischer Wirtschaftspolitik, die es verabsäumt
habe, für ausreichende Nachfrage auf dem Güter- und Dienstleistungsmarkt zu sorgen. Daher begrüßte
Marterbauer die Wohnbauoffensive und die geplanten Investitionen in Breitband- und Energienetze. Diese Projekte
seien gut gewählt.
Mit Deutschland halte Österreich im wirtschaftlichen Vergleich gut mit, langfristig entwickle sich Österreich
besser als Deutschland, das zuletzt gute Daten zeige, weil die Löhne dort zugenommen haben.
Die Auswirkungen der Steuerreform bezifferte Marterbauer mit einem 3,5-prozentigen Wachstum privater Ausgaben und
tausenden zusätzlichen Arbeitsplätzen positiv und die Gegenfinanzierung nicht völlig wachstumsdämpfend.
Wer eine funktionierende Infrastruktur und einen guten Sozialstaat wolle, brauche eine hohe Steuerquote, sagte
Marterbauer und begrüßte aus konjunktureller und daher auch budgetärer Sicht ausdrücklich
auch die Erhöhung der Negativsteuer und den automatischen Steuerausgleich.
Erfreuliche Entwicklungen ortete Marterbauer bei den Pensionen, wo die steigende Beschäftigung zu Mehreinnahmen
führe und zugleich das steigende Pensionsantrittsalter zeige, dass die Pensionsreformen greifen. Langfristig
bleibe der Anteil der Pensionsausgaben am BIP stabil, Handlungsbedarf sah Marterbauer hingegen bei der Pflege und
im Gesundheitssystem. Sorge bereite ihm die schlechte Stimmung in der Wirtschaft, für die er keinen Anlass
sah, weil Österreich nach allen wirtschaftlichen Kriterien zu den internationale wettbewerbsfähigen Ländern
zähle. Wichtig sei es, die Reformen im Gesundheitswesen umzusetzen, den Kampf gegen den Steuerbetrug entschlossen
aufzunehmen und die Arbeitszeit zu kürzen, was möglich sei, weil die Industrie hohe Produktivitätsfortschritte
erziele.
Friedrich Schneiders Skepsis gegenüber der Gegenfinanzierung
Friedrich Schneider (Universität Linz) wies einleitend auf die deutliche Stärkung der Kaufkraft durch
die Steuerreform und die davon ausgehenden Konjunkturimpulse hin. Auch Schneider sprach sich dafür aus, die
kalte Progression abzuschaffen und meldete Kritik an der Berechnung zusätzlicher Einnahmen durch die Einführung
der Registrierkassenpflicht an. Die genannten 900 Mio. € seien sehr hoch, sagte Schneider, er beziffere die Einnahmen
mit maximal 400 Mio. €, sagte Schneider, der es für unverständlich hielt, dass die Regierung darauf verzichtet
habe, die Einführung der Registrierkassenpflicht in einem Pilotversuch zu testen. Die Angaben, wie bei den
Ausgaben gespart werden solle, bezeichnete Schneider als vage und appellierte dafür, die Transparenzdatenbank
endlich funktionsfähig zu machen, um Einsparungspotentiale bei den Förderungen zu heben. Das Steuersystem
sei zu vereinfachen, die Rechnungslegung bundesweit zu vereinheitlichen und bei der Reform des Finanzausgleichs
eine Aufgabenreform herbeizuführen.
Hans Jörg Schelling entschlossen im Kampf gegen den Steuerbetrug
Finanzminister Hans Jörg Schelling berichtete mit Bedauern von der Ablehnung aktueller Vorschläge zur
Bekämpfung des Karussellbetrugs durch die EU-Kommission, die an einem eigenen Entwurf für den Kampf gegen
den Umsatzsteuerbetrug arbeite. Gegenüber Friedrich Schneider erinnerte der Finanzminister an ausreichende
Pilotprojekte und praktische Erfahrungen mit der Einführung der Registrierkassenpflicht in Europa und erklärte
den Betrag von 900 Mio. € an zusätzlichen Steuereinnahmen unter anderem mit dem Einsatz neuer Software bei
der Prüfung von Bilanzen und Steuererklärungen. Unisono mit Friedrich Schneider zeigte sich der Finanzminister
optimistisch, dass es auf europäischer Ebene gelingen werde, die zusätzlichen Kosten für der Flüchtlinge
aus dem strukturellen Defizit herauszurechnen. Was die Auswirkungen der Beschäftigung auf das Budget angehe,
so habe man die verfügbaren Prognosen eingerechnet, sodass Spielraum bestehe.
In der Frage der Bildungsreform erklärte der Finanzminister, es gehe nicht um eine Kürzung der Mittel
im Bildungsbudget, sondern um deren effizienteren Einsatz und um die Entflechtung des komplexen Systems. Er erwarte,
dass die Vorschläge zu Reform demnächst vorliegen, sein Ressort werde sich dann mit den finanziellen
Auswirkungen beschäftigen. Hier werde er seine koordinierende Rolle selbstverständlich wahrnehmen. Der
Finanzausgleich sei allerdings nicht das alleinige Allheilmittel für alle Fragen, gab er zu bedenken.
Ernst Smole: Defizite in den Schulen gefährden Wohlstand Österreichs
Ernst Smole (Internationales Forum für Kunst, Bildung und Wissenschaft) warnte vor Wohlstandsverlusten in
Österreich wegen der mangelnden Effizienz im Bildungssystem. Konkret beklagte Smole Defizite bei den Lese-,
Schreib- und Rechenfähigkeiten 15-jähriger SchülerInnen, die deren Chancen, eine weiterführende
Schule zu besuchen oder in den Arbeitsmarkt und damit in die Gesellschaft integriert werden zu können, stark
vermindern. Daraus resultieren im Sozialbudget Kosten von 1 Mrd. € pro Jahr, weil bis zu 9000 Pflichtschulabgänger
keine Beschäftigung finden. Gründe dafür ortete Smole in Defiziten beim Übergang vom Kindergarten
in die Schule und zu niedrigen Basisqualifikationen der SchulabgängerInnen, was dramatische Auswirkungen befürchten
lasse, da Industriebetriebe wie die VOEST keine Arbeitsplätze für beruflich gering qualifizierte Menschen
mehr anbieten. Unter diesen Bedingungen müsse man sich auch die Frage stellen, wie die vielen Zuwanderer gesellschaftlich
integriert werden sollen. Als Hauptproblem nannte Smole disziplinäre Probleme in den Schulen, wo PflichtschullehrerInnen
ihre fachliche Aufgabe nicht erfüllen können, den SchülerInnen Fertigkeiten und Kenntnisse für
positive Lebensentwürfe zu vermitteln, weil ein viel zu großen Teil der Unterrichtszeit wegen disziplinärer
Probleme verloren gehe. Beziffert man diesen Entfall an Unterrichtsleistung für einen Tag in ganz Österreich,
komme man auf einen Betrag von 2,5 Mio. €, rechnete Ernst Smole vor. Am vorliegenden Budgetentwurf vermisste Smole
Maßnahmen für das Disziplinmanagement in den Schulen, wobei er festhielt, dass er nicht einen Kasernenhof
meine, wenn er von Disziplin spreche, sondern von den Voraussetzung dafür, dass die Schulen ihre verfassungsmäßigen
Bildungsaufgaben wahrnehmen können.
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