Kurz: EU muss Sicherung der Außengrenzen
 selbst in die Hand nehmen

 

erstellt am
03. 12. 15
11:00 MEZo

Außenpolitischer Ausschuss plädiert für heimische Unterstützung beim Syrien-Friedensprozess
Wien (pk) - Die Europäische Union müsse glaubhaft vermitteln, dass sie die Flüchtlingssituation nicht mehr bewältigen kann, dabei aber eigenständig für die Sicherung ihrer Außengrenzen sorgen, sagte Außenminister Sebastian Kurz am 02.12. im Außenpolitischen Ausschuss des Nationalrats. Andernfalls schüre man einerseits bei den Flüchtlingen falsche Hoffnungen und mache sich andererseits erpressbar, meinte er in Anspielung auf das Abkommen der EU mit der Türkei. Den Vorwurf von Grünen-Asylsprecherin Alev Korun, er begrüße die drastischen Maßnahmen der türkischen Behörden zur Flüchtlingsabwehr, wies Kurz dezidiert zurück: "Die Türkei wird bezahlt, das zu tun, was Europa nicht tun möchte", nämlich alle Flüchtlinge aufzuhalten. Solange die EU nicht geeint in Sachen Flüchtlingsregistrierung und Grenzsicherung auftrete, bleibe aber keine andere Möglichkeit, als mit der Türkei zu kooperieren.

Im Zusammenhang mit den in Wien gestarteten Friedensverhandlungen zum Syrien-Konflikt bemerkt der Ressortchef des Außenamts positiv, die Verhandlungsparteien würden ihre starren Haltungen aufgeben, gerade was das syrische Regime betrifft. "Der Kampf gegen den IS-Terror ist der kleinste gemeinsame Nenner", beschrieb er die Gespräche dennoch als große Herausforderung, schon aufgrund der Spannungen zwischen Saudi Arabien und dem Iran. Vor dem Hintergrund des jahrelangen Konflikts in der Region appellierte der Ausschuss einstimmig für eine Weiterführung des Syrien-Friedensprozesses bzw. für humanitäre Hilfe in den Krisengebieten Syriens und des Irak. Abgelehnt wurde hingegen ein Antrag der Grünen, Asylsuchende schon an Botschaften ihr Verfahren eröffnen zu lassen.

Den Einspruch Österreichs gegen den Beitritt Tadschikistans zum Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Beglaubigung trägt der Ausschuss einstimmig mit, einen FPÖ-Antrag zum Selbstbestimmungsrecht Südtirols wollen die Abgeordneten im eigens für Südtirol-Fragen eingerichteten Unterausschuss weiterbehandeln. Den Außen- und Europapolitischen Bericht 2014 ( III-220 d.B.) nahmen bis auf die Freiheitlichen alle Ausschussmitglieder zur Kenntnis.

Kooperation mit der Türkei soll Weiterreise von Flüchtlingen stoppen
Ziel des Türkei-Deals mit der EU sei, alle Flüchtlinge aufzuhalten, egal ob sie aus Syrien oder aus anderen Ländern stammen, umriss Außenminister Kurz auf Nachfrage von Christoph Vavrik (N) den Aktionsplan zur Eindämmung der Flüchtlingsbewegungen nach Europa. Ob das Geld, das die EU der Türkei zur Versorgung der Schutzsuchenden zugesagt hat, tatsächlich bei den Flüchtlingen ankommt, darauf will Kurz sich nicht zu "hundert Prozent" festlegen. Immerhin halte die Türkei jedoch mit dem Abkommen ihr Versprechen, die Menschen von der Weiterreise abzuhalten, wenn auch teilweise mit Mitteln wie Tränengas und Schlagstöcken, was nicht den menschenrechtlichen Standards der EU entspreche.

Große Zweifel am Funktionieren des Aktionsplans hegen Grüne, NEOS und Team Stronach. Tanja Windbüchler-Souschill (G) und Christoph Vavrik (N) sehen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und die Kurdenpolitik der türkischen Regierung als Argument gegen eine Zusammenarbeit, die auch die Wiedereröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen umfasst. Für Aygül Berivan Aslan (G) ist ungewiss, welche Schritte die türkische Regierung setzen wird, um der Terrororganisation IS ihre Finanzierungsquelle, sprich Öl-Einnahmen, trocken zu legen. Christoph Hagen (T) vermisst ein Vorgehen Ankaras gegen den Handel mit gefälschten Pässen für Flüchtlinge und Alev Korun (G) hinterfragte, inwieweit sicherzustellen sei, dass die österreichischen 57 Mio. € als Teil der 3 Mrd. €-Hilfe der EU bei den Flüchtlingen in der Türkei ankommen, wo derzeit über 80% der Schutzsuchenden menschenunwürdig untergebracht seien. Details über die Kontrolle des Mitteleinsatzes wisse er noch nicht, so Kurz, er betonte aber, das Abkommen bestätige, dass die EU die Sicherung ihrer Außengrenzen selbst in die Hand nehmen muss – denn "je schwächer wir agieren, desto mehr solcher Maßnahmen werden kommen".

Bewegung bei den Syrien-Gesprächen
Einer Meinung mit Josef Cap (S) und Reinhold Lopatka (V) ist Minister Kurz, letztendlich müssten die Ursachen für die Flüchtlingsströme nach Europa behoben werden. Bei den Friedensverhandlungen zu Syrien arbeiteten daher drei Arbeitsgruppen Konzepte für Hilfsleistungen vor Ort aus. Österreich beteilige sich an diesen Überlegungen, versicherte er Andreas Schieder (S). Als Grundlage für die weiteren Verhandlungen werde nun unter Federführung von Jordanien und Saudi Arabien eine Liste erstellt, welche Oppositionsparteien Verhandlungen mit dem Regime von Baschar al-Assad aufnehmen sollen. Wichtig sei dabei, eine Definition der terroristischen Gruppen zu finden. An der Schlüsselrolle, die Saudi-Arabien dabei zugestanden wird, stieß sich allerdings Peter Pilz (G), der das Land nicht als Teil der Lösung bezeichnete, sondern als zentral verantwortlich für die Ausbreitung radikalislamischer Ideologien. Wie FPÖ-Mandatar Werner Neubauer kritisierte Pilz in Verbindung damit massiv das saudi-arabische König Abdullah Zentrum in Wien, zumal es kaum den kulturellen Dialog fördere. Kurz hielt dem zwar entgegen, das Zentrum verurteile die Terroranschläge von IS deutlich, er versicherte aber, die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien bei seinem kürzlichen Besuch dort problematisiert zu haben. Grundsätzlich gab Kurz zu bedenken, ein plötzlicher Regime-Wechsel ziehe selten eine Verbesserung der gesellschaftlichen Lage nach sich, das zeige die jüngste Vergangenheit.

Anders als der Außenminister erwartet sich Johannes Hübner (F) keine substanziellen Änderungen durch die Syrien-Gespräche, habe sich die Situation doch sogar weiter verschärft infolge der Bombardements durch die internationale Anti-IS-Allianz. Mangels Durchsetzung einer fairen Flüchtlingsverteilung in der EU hält der Freiheitliche ein Festhalten am Dublin-Abkommen für unabdingbar. Kurz bestätigte dies zu einem gewissen Grad, so lange keine andere Regelung geltendes Recht sei, müsse am Dublin-System festgehalten werden. Dazu sei nicht zuletzt der Druck auf Griechenland beziehungsweise auf die EU-Kommission zu erhöhen, nach der Maxime "wie bringt man Griechenland dazu, sich helfen zu lassen?", um den automatischen Weitertransport von Flüchtlingen zu unterbinden. Ein stärkeres Auftreten der EU erwartet Kurz außerdem gegenüber Libyen, wobei die Rettung von Bootsflüchtlingen, die von der libyschen Küste über das Mittelmeer unterwegs sind, jedenfalls mit einer Rückführung dieser Personen zu verbinden sei.

Aufruf den Syrien- Friedensprozess weiterzuführen
Rückenwind beim Engagement für eine rasche, zukunftsträchtige und friedliche Regelung des Syrien-Konflikts erhält Außenminister Kurz durch eine Initiative von SPÖ, ÖVP, Grünen und NEOS ( 1459/A(E)). Deutlich machen damit die Abgeordneten Josef Cap (S), Reinhold Lopatka (V), Tanja Windbüchler-Souschill (G) und Christoph Vavrik (N), nicht nur die Weiterführung des mit den Gesprächen in Wien begonnenen Friedensprozesses sei von Österreich aktiv zu unterstützen. Die Bundesregierung solle sich überdies gemeinsam mit anderen EU-Staaten nachdrücklich gegen Geld- und Waffenlieferungen an den IS einsetzen und im Rahmen der UNO an humanitären Hilfsprogrammen für die Menschen in Syrien und im Irak beteiligen. Letzteres Anliegen präzisieren SPÖ, ÖVP und Grüne in einem weiteren Antrag, der auf die Wiederherstellung der Sicherheit vor allem in den umkämpften Städten Shingal (Nordirak) und Kobanê (Nordsyrien) abzielt. Konkret ersuchen die Abgeordneten Andreas Schieder (S), Reinhold Lopatka (V) und Aygül Berivan Aslan (G) den Außenminister, sich mit den Vereinten Nationen sowie auf EU-Ebene und in bilateralen Kontakten mit aller Kraft für die lokale Zivilbevölkerung einzusetzen. Insbesondere Kurden, Jesiden und Christen als Minderheiten in den betroffenen Gebieten bedürften ausreichend Schutz und Versorgung ( 1463/A(E)).

Während diese beiden Anträge einhellige Zustimmung im Ausschuss fanden, konnten sich die Grünen mit einem weiteren Vorstoß nicht durchsetzen: mit der Forderung von Asylsprecherin Alev Korun (G), Botschaftsverfahren zur Beantragung von Asyl wiedereinzuführen ( 1328/A(E)). Koruns Argument, der Schlepperei sei nur beizukommen, wenn Asylsuchende mittels Visum legal für ein Asylverfahren nach Europa gelangen, hielt Josef Cap (S) entgegen, die EU-Hotspots als Registrierungsstellen an den Außengrenzen leisteten hier viel bessere Dienste.

Ausschuss bestätigt Vorbehalte gegen tadschikische Urkunden
Gegen den Beitritt Tadschikistans zum Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Beglaubigung will Österreich Einspruch erheben. Dieser Schrittes findet im Außenausschuss einstimmige Billigung. Ziel dieser Maßnahme ist zu verhindern, dass tadschikische Urkunden, die mit einer Apostille versehen sind, ohne weitere Kontrolle der Echtheit und inhaltlichen Richtigkeit in Verfahren von österreichischen Behörden als Beweismittel zugelassen werden. Im Hinblick auf die hohe Korruption in Verbindung mit dem niedrigen Einkommensniveau bestehe derzeit hohe Urkundenunsicherheit, heißt es dazu in den Erläuternden Bemerkungen zur entsprechenden Regierungsvorlage ( 780 d.B.). Es sei somit nicht auszuschließen, dass Urkunden in Tadschikistan mit unrichtigem Inhalt käuflich erworben werden können

Selbstbestimmung Südtirols weiter Thema der heimischen Außenpolitik
Mit Zustimmung der Stimmenmehrheit dem Südtirol-Unterausschuss des Außenpolitischen Ausschusses zugewiesen wurde schließlich ein Antrag der FPÖ ( 1280/A(E)), der ein klares Bekenntnis Österreichs zum Selbstbestimmungsrecht Südtirols einmahnt. Besonders irritiert den Südtirol-Sprecher der Freiheitlichen Werner Neubauer ein Passus im Außenpolitischen Bericht 2013, wo es heißt, die Südtirol-Autonomie beruhe völkerrechtlich auch auf dem Selbstbestimmungsrecht, das als fortbestehendes Recht von Südtirol in Form weitgehender Autonomie ausgeübt werde. Diese Formulierung sei bestenfalls unklar und zweideutig, schlimmstenfalls bedeute sie aber eine Absage an die völkerrechtlichen Prinzipien und den Willen der Südtiroler, kritisiert Neubauer, der sein Anliegen deswegen im Außenpolitischen Ausschuss und nicht im Unterausschuss behandelt wissen wollte.

 

 

 

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