Mitbegründerin der Initiative „Nachbarinnen“ und Leiterin des pro:woman Ambulatoriums
werden für ihr Engagement für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen ausgezeichnet
Wien (rk) - Die Wiener Frauenstadträtin Sandra Frauenberger verlieh am Abend des 02.12. im feierlichen
Rahmen im Rathaus den 14. Wiener Frauenpreis. Ausgezeichnet werden zwei Wienerinnen, die sich im außerordentlichen
Ausmaß für die Selbstbestimmung von Frauen engagiert haben. In der Kategorie „Selbstbestimmung von Frauen
mit Migrationshintergrund“ hat die Jury sich für Christine Scholten, Ärztin und Mitbegründerin der
Initiative „Nachbarinnen“ entschieden. „Bei ihrem Einsatz für die Rechte und Chancen von Migrantinnen begegnet
sie Frauen auf Augenhöhe und stärkt sie dazu, ein eigenständiges Leben führen zu können.
Es sind Frauen, wie Christine Scholten, die mit ihren Initiativen dazu beitragen, dass wir in Wien ein gutes Zusammenleben
in einer vielfältigen Gesellschaft erleben.“, gratuliert Frauenberger.
Elke Graf, Leiterin vom pro:woman Ambulatorium, erhält die Auszeichnung in der Kategorie „Selbstbestimmung
über den eigenen Körper“. Frauenberger beglückwünscht auch Graf zum Frauenpreis: „Vor 40 Jahren
wurde in Österreich die Fristenlösung zum Schwangerschaftsabbruch eingeführt, um das Selbstbestimmungsrecht
von Frauen zu gewährleisten. Noch immer ist Abtreibung ein Tabu-Thema, noch immer müssen wir regelmäßig
das erkämpfte Recht verteidigen. Elke Graf und ihr Team sind dafür ganz wichtige Partnerinnen, die allen
Widerständen zum Trotz immer auf der Seite der Frauen stehen.“
Die Preisträgerinnen wurden von einer Dreier-Jury bestehend aus den Journalistinnen Mag.a Brigitte Handlos
(ORF), Mag.a Eva Linsinger (profil) und Dr.in Tessa Prager (NEWS) ausgewählt. Der Wiener Frauenpreis wurde
heuer bereits zum 14. Mal vergeben. Die Preisträgerinnen erhalten neben 3.000 Euro Preisgeld eine Statue,
die von Ulrike Truger gestaltet wurde.
Jury-Begründung Dr.in Christine Scholten
Sie ist Internistin mit eigener Praxis in Favoriten, sie ist die Mitbegründerin der Initiative „Nachbarinnen“,
sie ist Vorstandmitglied bei respekt.net. Darin sieht man schon: Sie tut wirklich was für das Zusammenleben.
Eines zieht sich durch die gesamte berufliche und private Biografie von Dr.in Christine Scholten: Sie interessiert
sich für Menschen. Und sie hilft dabei vor allem Frauen und zwar dort, wo sie leben. Nicht irgendwo abgehoben
in einer Praxis in einer netten Gegend. In ihrer Gruppenpraxis nahe dem Reumannplatz arbeiten nur Frauen und zwar
Frauen aller Konfessionen mit und ohne Kopftuch. Ihre Klientel ist nicht die schicke Innenstadtfamilie mit gutem
Bildungshintergrund. Christine Scholten und ihr Team arbeiten an der Basis. Hier wird die wesentliche Integrationsarbeit
geleistet.
Bei dem bereits mehrfach ausgezeichneten Projekt „Nachbarinnen“, das sie mitbegründet hat, handelt es sich
um eine Initiative, die zurückgezogen lebenden Migrantinnen und Migranten die Hand reicht und ihnen so einen
Weg aus der Isolation aufzeigt. Frauen mit Migrationshintergrund setzen sich für andere Frauen ein. Sie vermitteln
sprachlich, interkulturell, bei Alltagsaufgaben wie Amtswegen, AMS, Freizeitgestaltung oder bei Lernproblemen der
Kinder. Und das Ganze funktioniert im Schneeballsystem.
Sprache ist dabei wichtig. Das hat Christine Scholten in ihrer Arztpraxis schnell erkannt. Deshalb hat sie selbst
auch Türkisch gelernt. Denn Deutsch ist unerlässlich, aber die Nachbarinnen setzen einen Schritt davor
an. Die muttersprachliche Begleitung überwindet oft die ersten Hürden.
Das Engagement und die tatkräftige Initiative von Christine Scholten darf unumwunden als Vorbild gelten für
eine Integrationsarbeit, die wir angesichts des derzeitigen Flüchtlingsstroms noch dringend und mehr brauchen
werden. Deshalb hat sich die Jury entschieden, Dr.in Christine Scholten und ihrem Team den Frauenpreis 2015 zu
verleihen.
Jury-Begründung Elke Graf
Selbstbestimmtes Leben für Frauen beinhaltet auch die Entscheidung für oder gegen Kinder. Für
oder gegen eine Familiengründung. 2008 haben 46 Prozent der Frauen, die in das pro:women Ambulatorium am Wiener
Fleischmarkt gekommen sind, nicht verhütet. 2015 sind es immer noch 37 Prozent.
Das Ambulatorium wird nicht – wie man glauben könnte – von einer Ärztin geleitet, sondern von einer Betriebswirtin
mit einem Master of Business Administration und davor einer HTL Ausbildung. Sie ist also eine gestandene Managerin
und das ist gut so. Denn sie muss ein Team leiten: ein Team aus Gynäkologinnen, Anäthesistinnen, Urologen,
Krankenschwestern, Psychologinnen, Pädagoginnen, Lebens-und Sozialberaterinnen. An den vielen Berufen, die
im pro:woman Ambulatorium für Schwangerschaftsabbruch und Vasektomie vertreten sind, können wir erkennen,
dass hier die Entscheidung für oder gegen ein Kind sehr ernst genommen wird. Und die Leiterin Elke Graf ist
überhaupt eine, die in dieser Sache nichts nicht ernst nimmt.
Gleich in ihrem ersten Jahr, als sie den Job übernommen hat, wurde das Ambulatorium komplett umgebaut, es
hat einen neuen Namen bekommen, es hat seinen Wirkungsbereich erweitert, es setzt ganz stark auf freie Willensentscheidung
und die damit verbundene psychische Belastung wird durch professionelle Hilfe abgefedert.
Doch eines ist Elke Graf und ihrem Team wichtig: „Wir stellen nicht die Frage nach dem WARUM. Wir haben Respekt
vor der Entscheidung für oder gegen ein Kind und zeigen Wertschätzung für jede denkbare Situation,
in der sich Frauen befinden können.“
Für diese Wertfreiheit, die selbstbestimmte Entscheidungen ermöglicht, wird das Ambulatorium seit vielen
Jahren von fundamentalistischen Abtreibungsgegnern schwer angegriffen. Sie stehen immer noch vor der Tür des
Ambulatoriums. Das belastet Klientinnen und Mitarbeiterinnen.
Man hat es also nicht leicht, wenn man für selbstbestimmtes Leben von Frauen in der Praxis eintritt. Dafür
und für die Umsicht und den Weitblick, mit dem Elke Graf das Ambulatorium und dessen Team führt, möchten
wir sie heuer mit dem Frauenpreis der Stadt Wien auszeichnen.
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