Vortrag von Anton Pelinka zur Flüchtlingsfrage in Europa

 

erstellt am
16. 12. 15
11:00 MEZ

Wiener Vorlesung erneut zu Gast in Brüssel
Brüssel/Wien (rk) - Ende November 2015 war die bekannte Veranstaltungsreihe „Wiener Vorlesungen“ erneut mit ihrem Mastermind Christian Ehalt zu Gast im Wien-Haus in Brüssel. Hochaktuell, einen Tag nach dem EU-Türkei-Gipfel in Brüssel, stand dabei ein Vortrag des Politikwissenschafters Anton Pelinka unter dem Titel „Flüchtlingsströme nach und durch Europa – Eine zentraleuropäische Perspektive“, im Mittelpunkt. Rund 100 Gäste waren der Einladung gefolgt, unter ihnen Thomas Wieser, Präsident der Euro Working Group.

Ehalt: Wo bleiben die europäische Werte der Aufklärung?
Christian Ehalt, Koordinator der Wiener Vorlesungen seit 1987, nahm in seiner Einleitung auf die aktuellen Entwicklungen Bezug. „Das Jahr 2015 wird in die Geschichte als jenes eingehen, in dem die Globalisierung mit ihren Fragestellungen und drängenden Problemen nicht nur Europa, sondern Zentral- und Nordeuropa erreicht hat“. Er führte aus, dass die Debatte über europäische Werte sehr heftig tobe, und dieses sei Anlass, darüber nachzudenken, was diese Werte denn wirklich seien. „Während die europäischen Werte der Aufklärung – denken wir an Voltaire, Diderot, Rousseau, Montesquieu, Kant, Schiller, Herder, Hegel – säkular, laizistisch, weltbürgerlich waren, werden sie gegenwärtig immer häufiger als eine Art rückwärtsgewandte Ideologie für die Wiedererrichtung des christlichen Abendlandes in Stellung gebracht,“ so Ehalt.

Pelinka: Wir brauchen ein Europa der Vernunft
In seinem Vortrag zu Flüchtlingsfrage in Europa griff Politikwissenschafter Anton Pelinka, dessen weite Forschungsgebiete auch Demokratietheorie, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit umfassen, ebenfalls die Frage nach den Werten der Aufklärung auf. Die Lehre aus den großen Kriegen der letzten beiden Jahrhunderte sei es doch gewesen, „Europa als Union auf der Grundlage der Vernunft zu bauen.“ Europa sei ein Produkt intellektuellen Lernens, so der Wissenschafter, „ein Europa der Aufklärung zeige auch die Skepsis der Aufklärung und damit eine Absage an emotional geführte Debatten.“ Diese Vernunft sei heute, angesichts der Flucht vieler Menschen aus Kriegsgebieten und vor Verfolgung, mehr denn je gefragt. Eine Rückentwicklung zu einem Europa der Nationalstaaten sei der falsche Weg, dabei würde die bereits erreichte Solidarität verleugnet. Pelinka erinnerte daran, dass seit dem Ende des 2. Weltkriegs, als viele Vertriebene in Österreich und anderen (west)europäischen Staaten eine neue Heimat gefunden hatten, die Union mehrere Male gezeigt habe, dass sie Wege findet, Menschen zu integrieren, etwa 1956 aus Ungarn, 1968 aus der Tschechoslowakei, 1981 aus Polen, in den Neunziger Jahren aus Bosnien. „Die Bilder, die wir heute sehen, zeigen Hilflosigkeit, sie erzeugen Ängste – und die Vernunft und der Verstand werden vernebelt,“ führte der prominente Vortragende aus, „in diesem Sinne sind auch klare Begriffe wichtig – Flüchtlinge können politische Verfolgte sein, Kriegsvertriebene oder eben auch MigrantInnen aus Wirtschaftsgründen – aber alle haben das Recht auf eine faire Behandlung durch die EU“.

Europa als Union dürfe seine Grenzen nach Innen nicht wieder aufbauen, aber es habe das Recht, seine Grenzen nach Außen zu kontrollieren. Alte, nationale Egoismen gelte es aber, zu überwinden, denn, so Pelinka, es seien die Mitgliedstaaten, die echtes europäisches Verhalten unmöglich machen. „Ein Europa der Vernunft hat keine perfekte Ordnung, es wächst von unten und ist inklusiv und orientiert sich an den universellen Werten, in denen individuelle Freiheiten eng verknüpft sind mit sozialer Sicherheit. Heute ist die Union noch vernünftig, aber sie bleibt zerbrechlich“ warnte Pelinka abschließend. Die Diskussion nach dem Vortrag war rege und lebendig.

Erfolgsgeschichte der Wiener Vorlesung in Brüssel
Die Leiterin des Wien-Hauses, Michaela Kauer, erinnerte daran, dass die beiden vergangenen Wiener Vorlesungen in Brüssel – 2013 mit Konrad Paul Liessmann zum Thema „Europa: Gesellschaft oder Gemeinschaft?“ und 2014 „Authentische Klage gegen den Krieg: Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus als zeithistorische Quelle besonderer Art" mit Oliver Rathkolb und Hubert Kramar – bereits den Weg zur aktuellen Veranstaltung mit Anton Pelinka vorgezeichnet hatten. „Wir sind ein offenes Haus, das sich nun schon seit vielen Jahren der Tradition des kritischen Diskurses zu wichtigen Fragen der europäischen Politik, Wirtschaft und Kultur verpflichtet fühlt. Die Zusammenarbeit mit den Wiener Vorlesungen ist daher seit vielen Jahren nicht nur logisch, sondern auch bereichernd“.

Veranstaltet wurde der Abend vom Verbindungsbüro der Stadt Wien in Brüssel wie immer in Kooperation mit den Wiener Vorlesungen und der Magistratsdirektion – Europa und Internationales im Rahmen der Reihe „Städte im Dialog“.

 

 

 

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