Rahmenbedingungen für Zentral- und Osteuropa auch nächstes Jahr günstig
Wien (unicredit) - Angesichts eines festeren Wachstums in der Eurozone, gedämpfter Ölpreise und
Zinsen, die dank des Anleihenkaufprogrammes der EZB sehr niedrig sind, sollte das wirtschaftliche Umfeld für
Zentral- und Osteuropa (CEE) auch im nächsten Jahr günstig sein. Insbesondere die jüngeren EU-Mitglieder
aus Zentraleuropa (EU-CEE[1]) werden laut der aktuellen Ausgabe des „CEE Quarterly“, das der Bereich Economics
& FX/FI Research in der UniCredit quartalsweise veröffentlicht, mit über 3 Prozent weiter zügig
wachsen. Der vorübergehende Entfall von EU-Transferleistungen 2016 wird zwar die Konjunktur belasten, sie
sollten aber im folgenden Jahr noch stärker wirksam werden, wenn die Exporte voraussichtlich nachlassen.
Insgesamt soll das Wirtschaftswachstum der EU-CEE Subregion 2016 und 2017 jeweils über Potenzial liegen. Gleichzeitig
bestehen - mit Länderunterschieden - einige Risiken wie eine schlechtere Entwicklung Europas, geopolitische
Spannungen und Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed.
2015 war ein gutes Jahr für CEE. Die Nachfrage in Europa ist gestiegen, die Ölpreise sind gefallen und
Liquidität war weltweit reichlich verfügbar. Trotzdem ist es einmal mehr nur EU-CEE gelungen, in vollem
Umfang von diesen Rahmenbedingungen zu profitieren. Ihre Wachstumsraten erreichten die höchsten Werte seit
dem Krisenjahr 2008 und makroökonomische Ungleichgewichte waren nicht vorhanden. Sinkende Risikoprämien
belegen, dass die Kapitalmärkte davon Notiz genommen haben und die Region ihren Ruf als „sicherer Hafen“ unter
den Schwellenländern bei den Investoren weiter gefestigt hat. Darüber hinaus bietet sich ein differenziertes
Bild: Das starke Wachstum in der Eurozone hat zwar Kroatien und Serbien geholfen, die Rezession zu überwinden,
aber ihre Entwicklung blieb wegen struktureller Beschränkungen sowie offener steuerlicher und budgetärer
Reformen suboptimal. Die Türkei hat ebenfalls enttäuscht, wobei Konjunktur und Finanzmärkte durch
politische Untätigkeit und zusätzlich - bis vor Kurzem - durch eine erhöhte, politische Unsicherheit
gebremst worden sind. Russland und Ukraine steckten unverändert in tiefer Rezession, wobei ersteres durch
den Fall der Ölpreise schwer getroffen worden ist und letzteres den Verlust größerer Produktionskapazitäten
im Osten des Landes bewältigen musste.
“Je näher das Jahresende rückt, desto mehr Anzeichen für Trendverschiebungen sehen wir. Hochfrequente
Indikatoren wie das Konsumentenvertrauen, Einkaufsmanagerindices, Industrieproduktion und Exporte legen nahe, dass
das Wirtschaftswachstum in EU-CEE bereits seinen Höhepunkt erreicht haben könnte, während es sich
in Serbien, Kroatien und der Türkei beschleunigt. In Russland und in der Ukraine wiederum könnten wir
eine Bodenbildung beobachten“, sagt Lubomir Mitov, CEE-Chefökonom in der UniCredit, „Zudem haben die Entwicklungen
in der Innenpolitik und die wirtschaftspolitischen Agenden scheinbar die Investoren im Hinblick auf Russland und
die Türkei ermutigt, während sich ihr Enthusiasmus für manche EU-CEE Länder abgekühlt
hat.“
Vor diesem Hintergrund rechnen die UniCredit-Analysten damit, dass das Wachstum in Zentral- und Osteuropa robust
bleibt und schließlich alle Länder der Region umfassen wird. Die Konjunktur wird sich dabei 2016 tendenziell
besser als 2017 entwickeln. Während das Wirtschaftswachstum in EU-CEE nächstes Jahr einen Hauch schwächer
als heuer ausfallen soll und sich in Kroatien sowie Serbien kaum ändert, wird es in der Türkei 2016 an
Kraft gewinnen ehe es im folgenden Jahr wieder abebbt. In Russland sollte Mitte nächsten Jahres eine leichte
Erholung beginnen, die sich 2017 fortsetzt, gleichzeitig muss sich die Ukraine mit einem Wachstum um die 2 Prozent
in den nächsten beiden Jahren bescheiden. In EU-CEE werden die Entwicklungen von Land zu Land variieren. Während
sich das Wachstum in Bulgarien und Polen etwas stabilisieren sollte, wird für Rumänien, die Tschechische
Republik und Ungarn eine Verlangsamung erwartet. Diese Verlangsamung spiegelt primär den vorübergehenden
Entfall von EU-Transfers 2016 beim Wechsel von der aktuellen Leistungsperiode in die nächste und einen geringeren
Beitrag durch die Nettoexporte wider, da die Steigerung der Importe die der Exporte überholen wird. Letzteres
bildet hauptsächlich die weitere Beschleunigung der Inlandsnachfrage ab, die der wichtigste Faktor für
das Wachstum bleiben wird.
Im Gegensatz zu öffentlichen Investitionen werden Konsum und private Investitionen voraussichtlich in Schwung
kommen. Die privaten Investitionen sollten dabei durch ein höheres Vertrauen, steigende Unternehmensprofitabilität
und Bankfinanzierungen unterstützt werden. Der private Konsum sollte von einer besseren Lage auf den Arbeitsmärkten,
stärkeren Einkommenszuwächsen und einer Erholung bei Konsumkrediten profitieren. Selbstverständlich
wird die stärkere Kreditnachfrage die lokalen Banken dazu veranlassen, ihre Finanzierungen auszuweiten, was
durch hohe Kapitalpositionen, reichlich Liquidität und niedrige Zinsen begünstigt wird. Der Preisdruck
erscheint nächstes Jahr gedämpft und sollte sich danach nur graduell festigen, um sich später im
Jahr 2017 den angepeilten Bandbreiten der Zentralbanken anzunähern. Die Inflation wird sich 2016 auf die niedrige
importierte Inflation aus der Eurozone und von den gedämpften Ölpreisen beschränken. Beide Faktoren
zusammen sollten den Preisdruck, der durch die steigende Beschäftigung und höhere Löhne ausgeübt
wird, ausgleichen, während sich Produktionslücken schließen. Aus diesem Grund wird erwartet, dass
die Geldpolitik in der gesamten Region mit unveränderten oder niedrigeren Zinsen locker bleibt. Eine weitere
Entspannung könnte es in Ungarn, Rumänien und Polen geben.
Trotz dieses freundlichen Ausblicks bestehen einige Risiken. Das Wichtigste darunter ist eine schlechtere Entwicklung
Europas. Eine Konjunkturverlangsamung in China würde in erster Linie Russland und die Ukraine betreffen, während
die Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed vor allem die Türkei, Kroatien und Serbien beeinträchtigen
würden. Die geopolitischen Spannungen werden auch 2016 insbesondere den Osten der CEE-Region belasten, während
die Innenpolitik zusehends ein Faktor für die Wirtschaftspolitik wird, was eine potenziell nachteilige Wirkung
auf viele CEE-Länder haben kann.
„Wäre das Wachstum nur etwas schwächer und die Zinsen schon ihren Rekordtiefstständen nahe, fiele
der Spielraum für eine wachstumsfördernde Politik nächstes Jahr knapper aus und er wäre 2017
noch stärker beschränkt. Unfähig von den Umsatzsteigerungen zu profitieren, die der Konjunkturzyklus
hervorbringt, stünden die Regierungen vor der schwierigen Entscheidung entweder ihre Ausgaben zu priorisieren
oder ihre Einnahmen zu optimieren, um die Defizite unter Kontrolle zu halten“, erklärt Lubomir Mitov, „Aktuelle
Entwicklungen weisen jedoch auf ein nachlassendes Bemühen um finanzwirtschaftliche Besonnenheit hin.“
[1] Diese Gruppe umfasst jene Länder, die 2004 und 2007 der Europäischen Union beigetreten sind: Bulgarien,
Polen, Rumänien, Slowakei, die Tschechische Republik und Ungarn. Kroatien ist ausgenommen und wird separat
analysiert.
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