Was Ötzis Magenbakterium über die Besiedlung Europas verrät – Bioinformatiker
rekonstruieren urzeitliche DNA
Wien (universität) - Ein internationales ForscherInnenteam um die Bioinformatiker Dmitrij Turaev und
Thomas Rattei von der Universität Wien entdeckte Spuren des Bakteriums Helicobacter pylori im Verdauungstrakt
der besterhaltenen Mumie aus der Steinzeit – "Ötzi". Mit der Rekonstruktion des Genoms liegt nun
der älteste bekannte Vertreter dieses Bakteriums vor und gibt Überraschendes preis: Frühe Einwanderer
aus Asien müssen bei der Besiedlung Europas eine zentrale Rolle gespielt haben, denn das Genom stammt fast
vollständig von asiatischen Vorfahren ab.
Der Mensch lebt mit einer Vielzahl von Mikroorganismen, die sich an das Überleben in unserem Verdauungstrakt
oder auf unserer Haut angepasst haben. Die meisten von ihnen sind für uns nützliche Bakterien, einige
sind jedoch Erreger von Infektionskrankheiten, die bereits unsere frühen Vorfahren peinigten.
Das Bakterium Helicobacter pylori ist ein besonders interessanter Krankheitserreger und ein wichtiges Forschungsobjekt.
Es ist seit mehr als 100.000 Jahren an den Menschen gebunden und hat sich an das Überleben im sauren Milieu
des Magens angepasst. Etwa die Hälfte der Weltbevölkerung ist mit diesem Erreger infiziert, wovon die
überwiegende Mehrheit von 90 Prozent jedoch nicht erkrankt. So wird Helicobacter pylori seit langem von einer
Generation an die nächste weitergegeben, und hat damit eine geografische Verbreitung erlangt, die die Stammesgeschichte
der Menschen erstaunlich genau widerspiegelt.
Die Sequenzen ausgewählter Gene dieses Bakteriums ermöglichten es, die Ursprünge der Menschheit
und die Geschichte der Wanderungsbewegungen der Völker mit hoher Genauigkeit nachzuvollziehen. Bisher konnten
jedoch nur Daten von heute lebenden Menschen verwendet werden, auf deren Basis man die Geschichte der Völker
mit Hilfe von Computerprogrammen rekonstruierte.
Die Helicobacter pylori-Genome der heutigen Europäer sind eine Mischung aus Bakterien afrikanischer und asiatischer
Abstammung. Viele Fragen zum genauen Ursprung dieser Vermischung sind bis heute ungeklärt.
In einem bislang einzigartigen Forschungsprojekt suchte ein interdisziplinäres WissenschafterInnenteam daher
nach Spuren von Helicobacter pylori in der Gletschermumie. Ötzis Magen war erst vor wenigen Jahren aufgrund
neuer radiologischer Daten in der Mumie lokalisiert worden. Gemeinsam mit ihren KollegInnen der EURAC (Europäische
Akademie Bozen), der Universität Kiel, der Veterinärmedizinischen Universität Wien und weiterer
Partner werteten die Bioinformatiker Dmitrij Turaev und Thomas Rattei von der Universität Wien die aus Ötzis
Verdauungstrakt gesammelten DNA-Sequenzen aus und entdeckten tatsächlich Spuren des Bakteriums Helicobacter
pylori.
Das Genom des Bakteriums wurde mit Hilfe einer speziell entwickelten Anreicherungsmethode für dessen bereits
gealtertes und in Fragmente zerfallenes Erbgut sequenziert. So konnten am Ende mehr als 90 Prozent des Helicobacter
pylori-Genoms aus Ötzis Magen rekonstruiert werden.
Der Vergleich des 5.300 Jahre alten Bakteriengenoms aus Ötzis Magen mit Daten der heutigen Europäer brachte
eine große Überraschung: Es entspricht so gut wie vollständig der asiatischen Komponente. "Das
lässt sich am besten dadurch erklären, dass der Hauptteil der afrikanischen Bevölkerungskomponente
erst nach Ötzis Lebenszeit, also in den letzten 5.000 Jahren, nach Europa eingewandert ist", erklärt
Thomas Rattei: "Ötzis Magen-Bakterium stützt also jene Theorie, wonach frühe Einwanderer aus
Asien bei der Besiedlung Europas eine zentrale Rolle gespielt haben".
Zugleich demonstriert dieses Forschungsergebnis eindrucksvoll das große Potenzial moderner Methoden zur Analyse
alter DNA in Verbindung mit speziellen Methoden der Bioinformatik. Die Entdeckung und Genomrekonstruktion von Ötzis
Helicobacter pylori ist somit erst der Anfang eines neuen Forschungsgebietes, in dem ForscherInnen die Evolution
des Menschen, seiner Krankheitserreger und seiner Umwelt anhand tausende Jahre alter Mikroorganismen nachvollziehen
können.
Publikation in "Science"
"The 5,300-year-old Helicobacter pylori genome of the Iceman":
Frank Maixner, Ben Krause-Kyora, Dmitrij Turaev, Alexander Herbig, Michael R. Hoopmann, Janice L. Hallows, Ulrike
Kusebauch, Eduard Egarter Vigl, Peter Malfertheiner, Francis Megraud, Niall O´Sullivan, Giovanna Cipollini,
Valentina Coia, Marco Samadelli, Lars Engstrand, Bodo Linz, Robert L. Moritz, Rudolf Grimm, Johannes Krause, Almut
Nebel, Yoshan Moodley, Thomas Rattei, Albert Zink,
DOI: http://www.sciencemag.org/lookup/doi/10.1126/science.aad2545
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