Peking/Graz (med-uni) - Die Nobelpreisträgerin für Medizin und Physiologie 2015, Professorin Tu Youyou,
hat kürzlich Univ.-Prof. DDr. Gerhard Litscher von der Medizinischen Universität Graz im Rahmen einer
internen Feier zum 60-jährigen Bestehen der Chinesischen Akademie für Chinesische Medizinische Wissenschaften
als einzigen ausländischen Gast persönlich empfangen. Der Biomediziner leitet an der Med Uni Graz zwei
Forschungseinheiten und seit März 2007 das interuniversitäre "Forschungszentrum für Traditionelle
Chinesische Medizin", welches von der Karl-Franzens-Universität Graz und der Medizinischen Universität
Graz gemeinsam gegründet wurde. Gerhard Litscher widmet sich seit fast 20 Jahren mit seinem Team unter anderem
der Erforschung von Akupunktur mit modernsten High-Tech-Methoden auf der Basis von naturwissenschaftlichen Verfahren
und hat intensive Kooperationen unter anderem mit der Institution der Nobelpreisträgerin im Bereich der Akupunkturforschung
in China aufgebaut. Die elf Gastprofessuren und hochrangige Publikationen von Litscher belegen die erfolgreiche
wissenschaftliche Zusammenarbeit mit China.
Bei der Festveranstaltung, die unter strengsten Sicherheitsvorschriften an der Akademie in Peking stattgefunden
hat, war auch die chinesische Vizepremierministerin Liu Yandong anwesend. Gerhard Litscher wurde unter anderem
die Möglichkeit geboten, der Nobelpreisträgerin zwei wissenschaftliche Arbeiten zu überreichen,
welche unter der Erstautorenschaft von Frau Mag.a pharm. Dr.in scient.med. Daniela Litscher bereits im Dezember
2015 online publiziert wurden und das Wirken der Nobelpreisträgerin beschreiben und würdigen.
Tu Youyou erhält den ersten Nobelpreis der Medizin für Traditionelle Chinesische Medizin
Zum ersten Mal in der Geschichte wurde der Medizinnobelpreis 2015 an eine Forscherin, die sich mit traditioneller
chinesischer Medizin beschäftigt, verliehen. Die Chinesin Tu Youyou erhielt diese höchste Auszeichnung
in der Medizin für Ihren exzellenten Beitrag zur Malariaforschung. Der Inhaltsstoff Artemisinin des Heilkrauts
"Einjähriger Beifuß" (Artemisia annua) stellt dank der Forschungen von Tu Youyou und ihrem
Team ein wirksames Malariatherapeutikum dar. Forschungen zum Heilkraut Beifuß werden auch am TCM Forschungszentrum
Graz u.a. in enger Kooperation mit der Institution der Nobelpreisträgerin, der "China Academy of Chinese
Medical Sciences" durchgeführt.
Die Nobelpreisträgerin Tu Youyou wurde im Jahr 1930 in Ningbo, einer Stadt im Osten Chinas, geboren. Sie studierte
Pharmazie am "Beijing Medical College ", dem heutigen renommierten "Peking University Health Science
Center". Nach ihrem ausgezeichneten Abschluss begann sie am "Institute of Materia Medica" an der
"China Academy of Chinese Medical Sciences" zu arbeiten, an dem sie dann auch ihre gesamte wissenschaftliche
Laufbahn verbringt.
Zur Zeit des Vietnamkrieges (1955-1975) baten nordvietnamesische Anführer die chinesische Regierung um rasche
Hilfe bzw. um Medikamente, da viele Soldaten der heimtückischen Krankheit Malaria zum Opfer fielen. Am 23.05.1967
wurde daraufhin das "Projekt 523" mit dem Ziel, eine effektive Malariatherapie zu entwickeln, gegründet.
1969 übernahm Tu Youyou die Leitung dieses Projektes. Dies war zugleich auch der Beginn ihrer erfolgreichen
Arbeiten auf dem Gebiet der Malariaforschung. Tu und ihr Team durchforsteten eine Vielzahl an historischen Texten
und gebräuchlichen Heilmitteln, um einen Ansatzpunkt für ihre Malariatherapie zu finden. Insgesamt sammelte
die Forschungsgruppe rund 2.000 Rezepte von über 640 Heilkräutern. Tu reduzierte diese Auswahl dann auf
einige wenige. Als eine der vielversprechendsten Pflanzen kristallisierte sich Qinghao (der chinesische Name für
Artemisia annua) heraus.
Nach einigen Versuchen mit dem Heilkraut und weiteren Literaturrecherchen fand Tu Youyou im "Handbook of Prescriptions
for Emergencies" des Physikers Ge Hong (284-363) den entscheidenden Hinweis. In dem Buch findet sich ein Rezept,
das wie folgt lautet: "Ein Bündel Qinghao wird mit 2,2 l Wasser vermengt. Danach wird der Saft ausgepresst
und oral eingenommen." Tu fand dadurch heraus, dass die wirksamen Inhaltsstoffe des einjährigen Beifuß
durch den Erhitzungsprozess (während der Extraktion) zerstört werden könnten und das Extrakt daraufhin
nicht seine volle Wirksamkeit entfalten kann. Die Nobelpreisträgerin setzte in Folgeversuchen Lösungsmittel
mit einem niedrigeren Siedepunkt ein und separierte die Bestandteile in saure und neutrale Extrakte. Das neutrale
Extrakt mit der Nummer 191 sollte den großen Durchbruch bringen. Qinghaosu, so der Name des Extrakts, zeigte
eine 100%ige Effektivität bei Parasitämie. Qinghaosu wurde später als der bekannte Inhaltsstoff
Artemisinin bezeichnet. In den folgenden Jahren wurde sehr viel Perfektionsarbeit geleistet. So fand Tu unter anderem
heraus, dass nur frische Blätter des einjährigen Beifuß das hochwirksame Artemisinin enthalten.
Sie stellte ebenfalls fest, dass die Pflanze den größten Anteil an Artemisinin zu Beginn der Blütezeit
hat.
Tu und ihr Team testeten den neu erforschten Wirkstoff unter anderem auch an sich selbst, um etwaige Nebenwirkungen
aufzudecken. Nach erfolgreicher Absolvierung der Experimente reiste das Forschungsteam nach Hainan, um die Forschungsergebnisse
zu verifizieren. Dabei wurde Qinghao an 21 PatientInnen, welche mit P. vivax und/oder P. falciparum infiziert waren,
angewendet. Die fiebersenkende Wirkung zeigte sich sehr rasch. Auch die Parasiten im Blut gingen, im Vergleich
zur Kontrollgruppe, deutlich zurück. In nachfolgenden Versuchen ging immer wieder hervor, dass Artemisinin
in der Lage ist, die Malariaerreger in allen Stadien wirksam zu bekämpfen.
Die erste englischsprachige Publikation zu diesem Thema erschien im Jahr 1979. Zu diesem Zeitpunkt war Artemisinin
bereits an mehr als 2.000 PatientInnen erfolgreich angewandt worden. In den nachfolgenden Jahren wurde die Weltbevölkerung
auf das neue und vor allem wirksame Mittel gegen Malaria aufmerksam. Es dauerte aber einige Zeit, bis auch die
Skeptiker im Westen von der Wirksamkeit des pflanzlichen Inhaltstoffes überzeugt waren. Erst in den 1990er
Jahren brachte eine westliche Pharmafirma ein Kombinationspräparat mit Artemisinin auf den Markt, was schlussendlich
einen weiteren Meilenstein darstellte.
Für ihre großartige Forschungsleistung wurde Tu Youyou im Jahre 2011 der "Lasker-DeBakey Clinical
Medical Research Award" verliehen, welcher von großer internationaler Bedeutung ist. Der Grundstein
für ein erfolgreiches Medikament zu Malariatherapie wurde also schon früh gesetzt. Die weiteren hervorragenden
Forschungsarbeiten an Artemisinin haben letztendlich dazu geführt, dass Tu Youyou 2015 den Nobelpreis für
Medizin und Physiologie zuerkannt bekommen hat.
High-Tech Akupunkturforschung - Tradition in Graz
Die Beschäftigung mit Grundlagenforschung im Bereich der evidenzbasierten Komplementärmedizin hat in
Graz bereits Tradition. Tu Youyou hat die herausragenden Forschungsergebnisse, die zum Nobelpreis geführt
haben, mit der Heilpflanze Beifuß verbucht. Dieses ganz spezielle Kraut findet in der TCM allerdings noch
eine andere Verwendung als ausschließlich zur Bekämpfung von Malaria. Die Blätter des Beifußes
werden in der TCM zur Moxibustion verwendet. Dazu werden nach traditioneller Methode Beifußblätter zu
kleinen Kegeln oder Zylindern gerollt. Diese werden angezündet, sodass sie glimmen und sich erhitzen. Die
glimmenden "Moxa-Kegel" werden an spezielle Akupunkturpunkte auf die Haut gelegt. Dort erzeugen sie Hitze
und stimulieren die Akupunkturpunkte. Bevor es auf der Haut zu heiß wird, werden die Moxakegel wieder entfernt.
Auch die Applikation über eine Akupunkturnadel inklusive eines Holzkästchens wird in der TCM in China
häufig verwendet.
In Zusammenhang mit dem Heilkraut Beifuß und Moxibustion leistet auch die Forschungsgruppe von Gerhard
Litscher am TCM Forschungszentrum Graz wichtige Forschungsarbeiten. Eine Publikation aus dem Jahr 2009, die gemeinsam
mit der Institution, an der die Nobelpreisträgerin Tu Youyou arbeitet, durchgeführt wurde, befasst sich
beispielsweise mit Temperatur- und Mikrozirkulationsänderungen im Zuge der Moxibustion mit Beifußkraut.
Die Moxibustion wurde an gesunden ProbandInnen jeweils am Punkt CV 6 (Qihai) durchgeführt. Neben einer Infrarot-Thermographie
wurde zusätzlich die Laser Doppler Flowmetrie eingesetzt. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Moxibustion
mit Beifußkraut durchaus positiv auf die Versuchspersonen auswirkte.
|