Wien (hofburg) - Rede von Bundespräsident Heinz Fischer zu Flüchtlingsströmen, Terror und ungelöste
Konfliktherde. Auch die Erfolge diplomatischer Initiativen des Jahres 2015 wurden in den Blick genommen und gewürdigt.
Lesen Sie die Rede hier im Wortlaut:
Hochwürdigster Herr Apostolischer Nuntius,
sehr geehrter Herr Bundesminister Kurz,
Exzellenzen!
Meine Damen und Herren!
Ich habe heute zum 12. Mal die Ehre, das Diplomatische Corps anlässlich des Neujahrsempfanges in der Wiener
Hofburg zu begrüßen. Gleichzeitig bedanke ich mich bei Ihnen, hochwürdigster Herr Apostolischer
Nuntius, dem Doyen unseres Diplomatischen Corps, für Ihre guten Wünsche.
Auch heuer möchte ich zu Beginn meiner Ausführungen allen hier Anwesenden, Ihren Familien und den von
Ihnen vertretenen Staaten ein erfolgreiches und friedvolles Jahr 2016 wünschen. Dabei ist mir aber schmerzvoll
bewusst, dass dieser Wunsch nach einer friedlichen und gewaltfreien Entwicklung zwar immer wieder zum Ausdruck
gebracht wird, dass ich aber bei keinem einzigen Neujahrsempfang berichten konnte, dass dieser Wunsch in ausreichendem
Umfang in Erfüllung gegangen ist.
Ich fürchte sogar, dass die Zahl der Menschen, die jährlich durch Krieg und Gewalt ums Leben kommen,
in den letzten Jahren eher steigende als sinkende Tendenz aufweist.
Das ist sehr, sehr schmerzvoll, darf uns aber nicht entmutigen.
Ganz im Gegenteil: Es muss die Bereitschaft und die Entschlossenheit auf die friedliche Lösung von Konflikten
hinzuarbeiten, auf allen Seiten verstärkt werden.
Tatsächlich hat ja gerade das schwierige und konfliktreiche Jahr 2015 gezeigt, dass solche Bemühungen,
wenn sie intensiv genug sind, in einzelnen Fällen auch Erfolg haben können.
Ich meine damit z.B. den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen über einen überprüfbaren Verzicht
des Iran auf Atomwaffen.
Ich begrüße dieses Abkommen als einen wichtigen Schritt in eine vernünftige Richtung.
Vor diesem Hintergrund ist die Nachricht über den erfolgreichen Test einer angeblichen Wasserstoffbombe in
Nordkorea besonders unerfreulich, wobei damit auch ganz eindeutig gegen Resolutionen des Sicherheitsrates verstoßen
wurde.
Exzellenzen!
Besonders wichtig wäre es, wenn die verstärkten diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Bürgerkrieges
in Syrien – mit allen seinen schrecklichen Begleiterscheinungen – zu einem Erfolg geführt werden könnten.
Hier in Wien haben sich ja erstmals die involvierten Parteien an einen Tisch gesetzt und eine roadmap vereinbart,
deren Ziel eine Beilegung dieses Konfliktes ist. Auch im Rahmen der Vereinten Nationen finden diesbezüglich
verstärkte Bemühungen statt, wie mir Generalsekretär Ban Ki-moon kürzlich versichert hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich hoffe sehr, dass auch die Spannungen, die sich in jüngster Zeit zwischen Saudi Arabien und dem Iran stark
verschärft haben, in Grenzen gehalten und schließlich wieder abgebaut werden können.
Als überzeugter Gegner der Todesstrafe schmerzt es mich natürlich sehr, dass in Saudi Arabien kürzlich
47 Todesurteile vollstreckt wurden, darunter auch eines an einem Religionsführer.
Gleichzeitig stimme ich aber der Auffassung des Sicherheitsrates zu, dass Internationales Recht verletzt wird,
wenn das Gebäude einer Diplomatischen Vertretung, nämlich die Saudische Botschaft in Teheran, vor Gewalt
und Brandstiftung nicht ausreichend geschützt wird.
Was wir jetzt brauchen, sind Stimmen der Vernunft und Signale der Mäßigung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Das älteste von den ungelösten Problemen in dieser Region ist zweifellos der Konflikt zwischen Israel
und den Palästinensern.
Der frühere Israelische Botschafter in Österreich, Herr Zvi Heifetz, hat mir in einem freundschaftlichen
Gespräch knapp vor seinem Abschied aus Österreich gesagt, er habe leider während seiner gesamten
Amtszeit in Österreich keinen Neujahrsempfang erlebt, wo ich nicht den Nahost-Konflikt angesprochen und die
israelische Siedlungspolitik kritisiert hätte.
Ich habe ihm ebenso freundschaftlich geantwortet, dass ich überglücklich wäre, wenn der Anlass wegfallen
würde, diesen gefährlichen, aber seit Jahrzehnten ungelösten Konflikt zu erwähnen. Das würde
aber voraussetzen, dass sich beide Seiten verstärkt und ehrlich um eine Lösung bemühen, dass Internationales
Recht beachtet wird, und dass von Handlungen Abstand genommen wird, die eine Lösung nicht nur nicht erleichtern,
sondern sogar in weite Ferne rücken oder überhaupt blockieren.
Es ist meine feste Überzeugung, dass der ungelöste Nahost-Konflikt in direkter und indirekter Weise zu
den Spannungen in dieser Region beträchtlich beiträgt und allein Europa handelt richtig, wenn wir weiter
auf eine Zwei-Staaten-Lösung drängen und illegale Siedlungstätigkeit außerhalb der Grenzen
Israels verurteilen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Die ungelösten Probleme in dieser Region, insbesondere in Syrien, im Irak, in Libyen, im Jemen bis hin nach
Afghanistan sind auch für die Flüchtlingsströme und Flüchtlingsprobleme verantwortlich, die
in der jüngsten Vergangenheit immer größere Dimensionen erreicht haben. Allein aus Syrien, dem
Irak und Afghanistan stammen ca. 3 Millionen Flüchtlinge, die in der Umgebung ihrer Heimatstaaten Zuflucht
gesucht haben, zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aber auch nach Europa weiterwandern. Rund 600.000 Flüchtlinge
haben im Jahr 2015 allein österreichisches Territorium betreten. Also ein Land mit weniger als 2% der Einwohner
der Europäischen Union. Und wenn auch ein großer Teil dieser 600.000 Flüchtlinge nach Deutschland
weitergewandert ist, haben doch ca. 90.000 in Österreich um Asyl angesucht.
Zum Vergleich: Im Jahr 2014 waren das noch 28.000, d.h. die Zahl der Asylsuchenden in Österreich hat sich
von 2014 auf 2015 ca. verdreifacht.
Ich bin aus grundsätzlichen Überlegungen der Meinung, dass man ein Grundrecht, wie das Asylrecht, nicht
durch die Festsetzung von Obergrenzen quantitativ begrenzen oder ab einem bestimmten Datum außer Kraft setzen
kann. Und ich will mir gar nicht das makabre Schauspiel vorstellen, wenn zwischen den einzelnen europäischen
und außereuropäischen Staaten ein Wettlauf um die niedrigsten – und daher populärsten – Asylobergrenzen
beginnen sollte. Aber diesen Standpunkt kann man auf Dauer nur durchhalten, wenn gleichzeitig die Ursachen für
Flüchtlingsströme energisch bekämpft werden und Belastungen, die durch eine menschenrechtskonforme
Handhabung des Asylrechtes entstehen, gerecht und fair verteilt werden. Genau das müssen wir uns zum Ziel
setzen und dann auch verwirklichen.
Meine Damen und Herren!
Wenn man über die Überwindung von Krisen spricht, muss man sich auch zum Verhältnis zwischen Europa
und Russland äußern. Österreich steht so wie auch andere europäische Staaten auf dem Standpunkt,
dass ein gutes und belastbares Verhältnis zwischen Europa und Russland wichtig und in beiderseitigem Interesse
gelegen ist.
Das darf uns nicht hindern festzustellen, dass die Annexion der Krim Internationales Recht verletzt hat.
Ebenso steht außer Zweifel, dass die Ukraine das Recht hat, über ihren Weg in die Zukunft eigenständig
und ohne Druck von außen zu entscheiden.
Das Dritte, was für mich aber ebenfalls feststeht, ist, dass unser Interesse und unsere Bereitschaft, das
Verhältnis zwischen Europa und Russland durch Beiträge von beiden Seiten zu verbessern und eine stabile,
friedliche Zusammenarbeit zu etablieren, durch Worte und Taten zum Ausdruck gebracht werden muss. Russland hat
im 20. Jahrhundert zweifellos zu jenen Staaten gehört, deren Bevölkerung ganz besonders schwer gelitten
hat. Aus diesem und aus vielen anderen Gründen wünsche ich mir, dass eine gute Zusammenarbeit zwischen
Europa und Russland zu einem unserer gemeinsamen Ziele in den kommenden Jahren wird.
Exzellenzen!
Österreichs Positionen zu den Problemen in der Westbalkan-Region sind bekannt. Die Aussicht auf einen EU-Beitritt
ist für alle sechs Westbalkan-Staaten ein Hauptmotor für Reformen, die für Stabilität und good
governance in Südosteuropa wesentlich sind. Über jene Schwachpunkte, wo noch Handlungsbedarf besteht,
wissen die Balkan-Staaten genau Bescheid.
Erfreulicherweise gibt es in dieser Region auch Fortschritte. Einige davon kamen im letzten August beim Wiener
Westbalkan-Gipfel im Rahmen des sogenannten Berlin-Prozesses zustande. Ich appelliere daher an die Mitgliedsstaaten
der Europäischen Union, den Annäherungsprozess der Staaten des Westbalkans an die EU unter der Voraussetzung
der Erfüllung der bekannten Kriterien weiter in fairer und berechenbarer Weise zu unterstützen.
Meine Damen und Herren!
Entwicklungen in einzelnen europäischen Staaten sind in der Regel nicht Kommentar einer Ansprache beim Neujahrsempfang.
Ich drücke dennoch gerne meine Freude über die guten Beziehungen zwischen Österreich und Polen aus.
Aber gerade weil diese Beziehungen sehr gut sind, bin ich besorgt über jüngste Entwicklungen zu den Themen
Verfassungsgerichtsbarkeit und Medien. Ein österreichischer Verfassungsrichter hat zu mir gesagt, Form und
Inhalt der jüngsten Gesetzgebung zum Thema Verfassungsgerichtshof in Polen erwecken bei ihm den Eindruck,
als würde der Verfassungsgerichtshof von der Mehrheit des Sejm wie eine feindliche Burg betrachtet werden,
die man erstürmen und erobern müsse. Ich denke, dass ein offener, ehrlicher und fairer Dialog zwischen
Brüssel und Warschau wichtig ist, um die Sorgen, die es auf diesem Gebiet gibt, zu überwinden.
Hochverehrter Herr Apostolischer Nuntius!
Was ich mir vom Jahr 2016 ganz besonders erhoffe, ist ein Rückgang der Zahl der Terroranschläge und ,durch
die in tragischer und sinnloser Weise Leben zerstört wird. Ich möchte in diesem Zusammenhang nochmals
mein Mitgefühl für die zahlreichen Opfer dieser Terroranschläge im vergangenen Jahr 2015 zum Ausdruck
bringen. Und ich möchte hinzufügen, dass man Unrecht tut und falsch liegt, wenn die Flüchtlingsdebatte
mit der Terrorismusdebatte vermischt wird. Feststeht jedenfalls, dass die Idee und die Praxis des Terrorismus unsere
offene, freie und auf Menschenrechten aufgebaute Gesellschaft nicht verändern und nicht erpressen kann und
darf.
Österreich schätzt die Beziehungen mit Afrika und der Afrikanischen Union, insbesondere bei der Bewältigung
gemeinsamer Herausforderungen wie Migration, Schaffung von Arbeitsplätzen und Perspektiven für die Jugend,
Wirtschaftsentwicklung und Klimaschutz. Wir laden die Afrikanische Union ein, in Wien ein Verbindungsbüro
zu eröffnen, das die Chance hätte, die Beziehungen zu allen anderen in Wien stationierten Internationalen
Organisationen zu intensivieren.
Zuletzt noch ein Bekenntnis zu den Vereinten Nationen und zu ihrer Tätigkeit. Österreich ist der UNO
im Dezember 1955 beigetreten und hat diesen Beitritt noch keine Sekunde bereut. Natürlich gibt es Probleme,
die auch von den Vereinten Nationen nicht oder noch nicht gelöst werden können. Aber blicken wir doch
auf die zahlreichen Themen, wo die Vereinten Nationen sehr wohl wertvolle, ja sogar unersetzliche Beiträge
im Sinne der Satzung der Vereinten Nationen leisten. Und gerade wenn ich das abgelaufene Jahr mit den neuen langfristigen
Zielsetzungen der Vereinten Nationen zum Thema „Sustainable Development Goals“ oder den Erfolg der Pariser Verhandlungen
für ein Klimaschutzabkommen etc. betrachte, dann wünsche ich mir, dass die Bedeutung der Vereinten Nationen
in nächster Zeit noch weiter wachsen möge.
Der Besuch von Generalsekretär Ban Ki-moon in Wien zum Jahreswechsel hat die Gelegenheit geboten, darauf hinzuweisen,
dass Österreich nicht nur seit 60 Jahren Mitglied der UNO, sondern auch seit mehr als 35 Jahren Sitzstaat
der Vereinten Nationen ist. Diese Aufgabe haben wir nach besten Kräften wahrgenommen und werden das auch in
Zukunft tun.
Exzellenzen!
Ich wünsche nochmals alles Gute für das noch junge Jahr 2016 und danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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