Bures: Der Sozialstaat ist am Wohlergehen sozial Schwacher zu messen
Parlament feiert 60 Jahre Allgemeines Sozialversicherungsgesetz
Wien (pk) - Zu den prägenden Ereignissen der Zweiten Republik im Jahr 1955 – Staatsvertrag im Mai,
Beschluss der Neutralität im Oktober, UNO-Beitritt im Dezember – zählt auch der Beschluss des Allgemeinen
Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) am 9. September 1955, der das Fundament des modernen Sozialstaats in Österreich
legte. Am 12.01. feierte der Nationalrat das Inkrafttreten dieses epochalen Gesetzes vor 60 Jahren am 1.1.1956.
Nach jahrelangen Vorarbeiten, 40-stündigen Beratungen im Sozialausschuss und 154 Abänderungen war das
ASVG in einer außerordentlichen Tagung vom Plenum des Nationalrats erstmals in voller Souveränität
– ohne Einspruchsrecht des Alliierten Rates – nach zehnstündiger Debatte beschlossen worden, sagte Nationalratspräsidentin
Doris Bures bei der Jubiläumsveranstaltung im Sitzungssaal des Nationalrats.
Bures: Basis des ASVG ist das Prinzip der Solidarität
Am 9. September 1955 sah der Zweite Präsident des Nationalrats und langjährige ÖGB-Präsident
Johann Böhm den Beschluss des ASVG als einen Markstein in der Geschichte der sozialen Bewegung dieses Landes
und als ein Ruhmesblatt für das österreichische Parlament und für die österreichische Regierung,
berichtete Präsidentin Bures und fügte hinzu: "Johann Böhm hat Recht behalten." Sie sei
dankbar, einer Generation anzugehören, die ihr Leben im Schutze sozialer Sicherheit gestalten konnte. "Kranken-,
Unfall und Pensionsversicherung ist heute für alle Menschen, unabhängig von ihrem Einkommen, eine Selbstverständlichkeit",
betonte Bures. In weiten Teilen der Welt sei staatliche Absicherung aber auch im 21. Jahrhundert noch die Ausnahme
und nicht die Regel. Selbst reichen Industrienationen wie den USA gelinge es nur zögerlich und gegen große
Widerstände, den Menschen Zugang zu leistbarer Krankenversicherung zu ermöglichen.
Der Erfolg des vorbildlichen Sozialstaats in Österreich beruht laut Bures auf dem Prinzip der Solidarität.
Für den Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, Alten und Jungen, zwischen Menschen mit hohem Einkommen und
jenen, die mit weniger auskommen müssen, sorge das ASVG. Dieser Grundkonsens ist aber nicht unerschütterlich,
sagte Bures. Man müsse ihn immer wieder aufs Neue erklären, argumentieren und verteidigen – vor allem
in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Das bedeute aber nicht, sich notwendigen Reformen zu verschließen.
Das ASVG sei der beste Beweis dafür. In den 60 Jahren seines Bestehens wurde es über 80 Mal novelliert
und an neue gesellschaftliche Gegebenheiten angepasst. Der heutige Rückblick auf das Inkrafttreten des ASVG
im Jänner 1956 bietet laut Nationalratspräsidentin Bures Gelegenheit, künftige Herausforderungen
zu beleuchten. Fest stehe dabei aber, dass die Stärke des ASVG auch in Zukunft am Wohlergehen der Schwachen
in der Gesellschaft zu messen sein wird.
60 Jahre ASVG – eine kostbare Errungenschaft
Die Festansprache hält Bundespräsident Heinz Fischer nach einleitenden Worten von Gesundheitsministerin
Sabine Oberhauser und Sozialminister Rudolf Hundstorfer. Danach diskutieren an "runden Tischen" ExpertInnen
über das ASVG als Grundlage des sozialen Friedens in Österreich sowie darüber, wie das ASVG den
künftigen Herausforderungen begegnen kann. TeilnehmerInnen sind unter anderem die ehemalige Sozialministerin
Lore Hostasch, der Vorsitzende der Pensionskommission Rudolf Müller und der Generaldirektor des Hauptverbandes
der Sozialversicherungsträger Josef Probst. Darüber hinaus präsentiert Ingrid Reischl vom Hauptverband
der Sozialversicherungsträger die Festschrift "60 Jahre ASVG". Durch die Veranstaltung führt
der Medienexperte Gerald Gross, für die musikalische Umrahmung sorgt das Ensemble ALMA.
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Fischer: Das ASVG ist eines der Grundgesetze der Zweiten Republik
Bundespräsident unterstreicht Bedeutung der Pflichtversicherung und des Umlageverfahrens
Wien (pk) - Bundespräsident Heinz Fischer nahm am 12.01. den Festakt anlässlich 60 Jahre ASVG
im Parlament wahr, um ein klares Bekenntnis zur bestehenden Pflichtversicherung und zum Umlageverfahren abzulegen.
Das Modell des Umlageverfahrens sei auch heute noch ein "Netz für die Zukunft", es trage dazu bei,
ein menschenwürdiges Dasein abzusichern, sagte Fischer. Die Pflichtversicherung stelle die langfristige Finanzierbarkeit
des hohen Gesundheitsniveaus und einer armutsfesten Alterssicherung in Österreich sicher. Der Bundespräsident
zeigte sich überzeugt davon, dass das ASVG auch in den nächsten Jahrzehnten ein Fundament des modernen
Sozialstaats österreichischer Prägung sein wird. Mit sozial ausgewogenen Anpassungen und weiteren Harmonisierungsschritten
unterschiedlicher Systeme könne das Vertrauen in den "Generationenvertrag" gestärkt werden,
so Fischer.
Das ASVG bezeichnete der Bundespräsident als eines der Grundgesetze der Zweiten Republik, das gewachsen ist
und weiterentwickelt wurde. Es fasse einen wichtigen Bereich des gesellschaftlichen Grundkonsenses, nämlich
das Prinzip des Sozialstaats, in konkrete Normen und bilde den Grundstein für ein Gebäude sozialer Sicherheit.
Das ASVG habe wesentlich zur wirtschaftlichen und politischen Erfolgsgeschichte des Landes beigetragen, unterstrich
der Bundespräsident.
Fischer erinnerte daran, dass die Diskussionen über das ASVG im Vorfeld und zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung
keineswegs so harmonisch und friedlich abgelaufen sind, wie das jetzt im Rückblick aussieht. Man habe damals
aber einen Kompromiss gefunden, indem man die Bestimmungen zunächst auf unselbständig Beschäftigte
reduziert und erst später andere Berufsgruppen eingebunden hat. Heute sei das Gesetz fest im Bewusstsein der
Bevölkerung verankert, weil es für die Demokratie und Millionen von Menschen in Österreich soziale
Sicherheit geschaffen habe. In diesem Zusammenhang hob das Staatsoberhaupt die von einem Interessensausgleich geprägte
politische Kultur des Landes hervor. Gegenseitige Zugeständnisse und Kompromisse würden zwar oft gescholten,
dennoch seien sie immer das beste Mittel, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.
Fischer würdigte das ASVG nicht nur als materielle Grundabsicherung, die Rechtssicherheit in einem für
das persönliche Leben jedes Einzelnen wesentlichen Bereich bietet. Er wies auch darauf hin, dass es ein Mehr
an Gleichheit gebracht habe, indem es auf ein umfassendes soziales Sicherungssystem mit gleichem Zugang abzielt.
Für den Bundespräsidenten hat das ASVG als Werk der Kodifikation aber auch eine große juristische
Bedeutung. Alles in allem bilde es eine solide Basis für den weiteren Ausbau und die Weiterentwicklung des
Sozialstaats österreichischer Prägung.
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Hundstorfer zu den Pensionen: Wir brauchen keinen Automaten
60 Jahre ASVG zeigen, Parlament kann mit Reformen Pensionen sichern
Wien (pk) - Das ASVG ist die Magna Charta der österreichischen Sozialversicherung, ein Gesetz, das
seit 60 Jahren für Schutz, Solidarität und sozialen Frieden in Österreich sorgt. Mit diesen Worten
leitete Sozialminister Rudolf Hundstorfer seine Rede über das "Muttergesetz" aller Sozialversicherungsgesetze
in Österreich beim Festakt "60 Jahre ASVG" im Parlament ein. "ASVG" ist als einer der
wenigen Kurztitel eines Gesetzes in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen und zu einem Markenzeichen für
soziale Sicherheit geworden, sagte Hundstorfer und erinnerte an die bahnbrechende Leistung, die klassische Sozialversicherung
- Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung - in einem einzigen Gesetz einheitlich zu kodifizieren und damit ein
dichtes Netz sozialer Sicherheit zu knüpfen.
Ein Blick über die Grenzen zeige, dass eine funktionierende Sozialversicherung, eine Krankenversorgung auf
höchstem Niveau und ein gesichertes Einkommen im Alter keine Selbstverständlichkeit sind, sagte Sozialminister
Hundstorfer. Sozialpolitik sichere und verbessere das Leben von Menschen, die Solidarität brauchen, die Situationen
wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Unfall bewältigen oder ihre Existenz im Alter sichern müsse. Das
ASVG ist Ausdruck der solidarischen Ausrichtung unseres Staates, unterstrich Hundstorfer fest und bekannte sich
klar zum Sozialstaat.
Dank gebührt laut Hundstorfer dem Parlament, das sich in der Zweiten Republik mit keinem Gesetz mehr beschäftigt
habe als mit dem ASVG: Ein Drittel der vielen ASVG-Novellen wurden in den letzten zehn Jahren beschlossen. Auch
in Zukunft soll das ASVG Herzstück eines sozialen Österreichs sein, ein solides Fundament, auf dem auch
künftige Änderungen des Sozialversicherungsrechts aufbauen können.
Schließlich ging Hundstorfer konkret auf das Thema Pensionen ein und erinnerte daran, dass die Finanzierbarkeit
des Pensionssystems schon im Jahr 1955 in Zweifel gezogen wurde. Zu Unrecht, denn allen Unkenrufen zum Trotz herrsche
seither 60 Jahre lang soziale Sicherheit in Österreich. Menschen wurden im Alter abgesichert und es konnte
bewiesen werden, dass das Parlament jederzeit dazu fähig ist, die Finanzierung das Pensionssystems durch Reformen
absichern. "Wir brauchen dafür keinen Automaten", sagte Hundstorfer. Auch bei steigender Lebenserwartung
sei es möglich, die Finanzierbarkeit des Pensionssystem gewährleisten. Und er halte es für möglich,
weiterhin 6% des BIP für die Pensionen zu verwenden. Den Sozialstaat in Österreich aufrecht zu erhalten
und den Menschen Sicherheit zu geben, sei eine Herausforderung, zu der er als Sozialminister gerne beitrage, schloss
Rudolf Hundstorfer.
Oberhauser: Ideen zur Weiterentwicklung des Gesundheitssystems
Für Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser stehen 60 Jahre ASVG für Sozialpartnerschaft, für eine
umfassende Kranken- Unfall- und Pensionsversicherung für alle Menschen in Österreich und für sozialen
Frieden. All das gelte es zu erhalten und damit die materielle Absicherung bei Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit
und im Alter zu gewährleisten. Oberhauser will das Erreichte weiterentwickeln, weil jeder Stillstand einen
Rückschritt bedeute insbesondere auch im Gesundheitssystem.
Das ASVG sorge für sozialen Frieden, wobei man nicht für sich selber einzahle, sondern nach den Prinzip
der Solidarität als Gesunder für die Kranken und als Arbeitender für die Arbeitslosen und für
die Pensionisten. Oberhauser erinnerte daran, wie schnell der Einzelne in die Lage kommen könne, selbst die
Solidarität der anderen zu brauchen und wandte sich entschieden dagegen, die Mindestsicherung als eine "soziale
Hängematte" zu betrachten. Oberhauser sprach sich entschieden dafür aus, das ASVG weiter zu entwickeln.
Bei der Arbeit an der Novellierung des ASVG plädierte die Gesundheitsministerin dafür, sich den aktuellen
Herausforderungen nach dem Grundsatz zu stellen, "eine bestmögliche Versorgung sicher zu stellen".
Dabei versprach die Ministerin aus der Sicht ihres Ressorts eine eingehende Diskussion zum Thema "Zweiklassenmedizin".
Im Rückblick auf die Entstehung des ASVG erinnerte die Gesundheitsministerin an Befürchtungen der Ärztekammer,
das ASVG würde den freien Ärzteberuf gefährden und sprach die Hoffnung aus, dass das ASVG ohne Ärztestreik
weiterentwickelt werden könne.
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