Demokratie-Symposium im Parlament anlässlich 70 Jahre freier Wahlen in Österreich
Wien (pk) - Je nach politischer Einstellung überwiegt nach Wahlen entweder Freude oder Niedergeschlagenheit.
Der Wahltag am 25. November 1945 war aber für alle Österreicherinnen und Österreicher Grund zum
Jubeln. Damals fanden nämlich nach den Jahren des Austrofaschismus und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft
die ersten demokratischen Wahlen der Zweiten Republik statt. Anlässlich des Jubiläums vergangenen Herbst
lud im Parlament am 11.01. Zweiter Präsident des Nationalrats Karlheinz Kopf zum Symposium "Demokratie
- quo vadis?", um der Frage, wohin sich unsere Demokratie entwickelt, auf den Grund zu gehen. Der ursprünglich
für November 2015 geplante Termin war wegen der parlamentarischen Gedenkveranstaltung für die Opfer der
Terroranschläge in Paris verschoben worden. Neben der Geschichte des Wählens in Österreich kreiste
die Konferenz auch um aktuelle Fragen der politischen Partizipation und ihrer Weiterentwicklung, gerade in Bezug
auf die Form des Wahlrechts.
Denkanstöße zum Erhalt der parlamentarischen Demokratie
"Das Schneckentempo ist das normale Tempo der Demokratie", zitierte Zweiter Nationalratspräsident
Kopf den früheren deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt, als er die Akzeptanzprobleme der parlamentarischen
Demokratie und die zunehmende Entfremdung zwischen Politik und Bevölkerung skizzierte. Viele Bürgerinnen
und Bürger seien langer politischer Diskussionen überdrüssig und verlangten nach rascheren Entscheidungen.
"Der Ruf nach einfachen Lösungen stärkt aber vereinfachende Reaktionäre", warnte Kopf
vor einem Verlust von Freiheit und Gerechtigkeit in diesem Zusammenhang.
Direktdemokratische Instrumente würden demokratische Entscheidungsprozesse zwar eher verlangsamen als beschleunigen,
so der Präsident, Elemente der direkten Demokratie wie eine stärkere Persönlichkeitsorientierung
im Wahlrecht könnten jedoch der Politikverdrossenheit entgegenwirken. "Sie könnten die repräsentative
Demokratie repräsentativer machen, weil mehr inhaltliche Auseinandersetzung der Politik mit den Bürgern
gegeben ist". In Erinnerung an die Zeiten faschistischer Herrschaft konstatierte der Zweite Nationalratspräsident,
Demokratie, Wahlrecht und Menschenrechte seien keine Selbstverständlichkeit und ihr Bestand sei nicht garantiert
– selbst in Europa nicht. Daher wolle er Denk- und Diskussionsanstöße geben, wie die parlamentarische
Demokratie mit ihren Werten auch in Zukunft zu erhalten ist.
Was kann die Politik aus der Geschichte lernen?
Für den Historiker Helmut Wohnout vom sozialwissenschaftlichen Karl von Vogelsang-Institut und den Politikwissenschafter
Anton Pelinka waren die bundesweiten Wahlen im in Besatzungszonen aufgeteilten Österreich am 25. November
1945 eine entscheidende Weichenstellung in Richtung funktionierender Demokratie. Obwohl die Rahmenbedingungen so
kurz nach Kriegsende gegen Wahlen gesprochen hätten, betonte Wohnout, sei die provisorische Staatsregierung
unter Karl Renner nicht davon abgewichen, diesen "Schlüsselakt jeder repräsentativen Demokratie
herbeizuführen". Als Preis dafür habe man die Anerkennung der österreichischen Beteiligung
am Nationalsozialismus aufgeschoben, gab Pelinka zu bedenken, attestierte den politischen Eliten im Umkreis von
Renner, Leopold Figl und Julius Raab allerdings großes Engagement bei der Etablierung eines westlichen, demokratischen
Mehrparteiensystems.
"Damals gab es keinen Anlass, die Verhältniswahl zu problematisieren, denn sie behinderte die Entscheidungsfähigkeit
nicht", ging der Politikwissenschafter näher auf das Wahlergebnis von 1945 ein. Die 95 Prozent Zustimmung,
die SPÖ und ÖVP gegenüber der als dritte Kraft antretenden Kommunistischen Partei erhielten, habe
dem jungen Staat Stabilität gegeben. Der politische Erfolg des in den Jahrzehnten danach etablierten Systems
zweier dominierender Parteien nehme allerdings seit den 1980er-Jahren stetig ab, meinte Pelinka, der eine Neukonzeption
des Wahlrechts nach italienischem oder niederländischem Muster vorschlug.
Den Perspektiven des österreichischen Wahlrechts widmete sich in weiterer Folge eine Podiumsdiskussion, moderiert
von Michael Fleischhacker, Chefredakteur der online-Plattform Neue Zürcher Zeitung Österreich. DiskutantInnen
waren Eva Weissenberger, Chefredakteurin des Wochenmagazins NEWS, die Generaldirektorin der Bausparkasse Wüstenrot
Susanne Riess, Industriellenvereinigung-Generalsekretär Christoph Neumayer und Politikberater Thomas Hofer
von der Public Affairs-Agentur H&P.
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