Auszeichnung für Weltklasseforschung
Salzburg (universität) - Bereits zum zweiten Mal wurde jetzt die Salzburger Biologin Sabine Agatha
zur Namensgeberin einer neuen Wimpertierchenart. Mit dem Namen Antestrombidium agathae für kürzlich entdeckte
marine Einzeller würdigen chinesische Kollegen die weltweit führenden Forschungen der Salzburgerin im
Bereich der marinen planktischen Wimpertierchen. Salzburg ist mit China und Korea international ein Hotspot der
Wimpertierchenforschung.
Die Expertise von Dr. Sabine Agatha von der Universität Salzburg liegt derzeit vor allem in der Beschreibung
neuer mariner Arten und deren Untersuchung mit neuesten wissenschaftlichen Methoden. Ein Spezialgebiet Agathas
ist die Erforschung der fantastischen Gehäuse-bauenden Wimpertierchen („Tintinnen“). Als Bindeglied in allen
Nahrungsnetzen sind Wimpertierchen global von immenser Bedeutung und damit auch für unsere Ernährung.
Die einzelligen Organismen kommen überall in großen Mengen vor, wo es zumindest zeitweise feucht ist:
im Boden, im Süßwasser, im Meer. Mit freiem Auge sind die meist nur 0,03 bis 0,3 mm „großen“ Wimpertierchen
(Ciliaten) aber selten sichtbar. Mit ihren beweglichen Wimpern können sie sich nicht nur fortbewegen, sondern
auch Nahrung heranstrudeln und filtrieren. Der prominenteste Vertreter ist wohl das Pantoffeltierchen, das vielen
aus dem Biologieunterricht ein Begriff ist. Allein im Meer, dem hauptsächlichen Forschungsfeld Agathas, sind
neben den etwa 1000 Arten Gehäuse-bauender Wimpertierchen noch eine Vielzahl weiterer Arten der Winzlinge
beheimatet. Noch wesentlich mehr Einzeller (bis zu 80 Prozent) sind aber nach Expertenschätzungen bisher unentdeckt.
Besonders viele Rätsel zu lösen gibt es bei den Gehäuse-bauenden Wimpertierchen („Tintinnen“). Wie
bauen diese einzelligen Lebewesen ohne Gehirn ihre kunstvollen Häuschen, die sie mit sich tragen und die ihnen
vermutlich als Frassschutz oder zur Wahrnehmung der Schwerkraft im Wasser dienen? Es sind oft glasartig durchscheinende
oder mit Partikeln besetzte Strukturen in Form von Sektkelchen, Blumenvasen oder Röhren. Woraus bestehen die
teils sehr bizarren und ästhetischen Formen, die sogar einem Kochvorgang von 45 Minuten bei 160 Grad Celsius
in einer der stärksten Laugen (KOH) widerstehen? Welche Bakterien können derartige Gehäuse im Meer
zersetzen und damit die Inhaltsstoffe wieder „recyclen“? Wie lange dauert der Zersetzungsprozess und gibt es Unterschiede
zwischen den Gehäusen der verschiedenen Arten? Diese Widerstandsfähigkeit entscheidet nämlich auch
mit darüber, welche Arten wir als Fossilien finden können.
Auf einige dieser Fragen hat Sabine Agatha, international führende Forscherin auf dem Feld, Antworten gefunden.
„Wir können im Lichtmikroskop beobachten, wie sich das Baumaterial für die Gehäuse in den lebenden
Tieren anreichert. Die Rasterelektronenmikroskopie hat uns dann gezeigt wie das Material in kleinen Kügelchen
aus den Lebewesen austritt und mit schon vorhandenen Gehäuseteilen verschmilzt. Das sind faszinierende Einblicke
in einen mikroskopischen Kosmos von ungeahnter Vielfalt. Man darf nicht vergessen, Einzeller stellen das Gros der
Lebewesen auf der Erde“, sagt Agatha, stellv. Leiterin der AG Ökologie, Biodiversität und Evolution der
Tiere im Fachbereich Ökologie und Evolution der Universität Salzburg.
Vom Mittelmeer bei Neapel bis in die Nordsee, von der Irischen See bis zum Atlantik vor Florida ist Sabine Agatha
immer wieder mit Forschungsexpeditionen unterwegs. Rund ein Dutzend Mal war das schon der Fall. „Letztes Jahr war
ich an der Nordsee. Dort habe ich sehr viele Tintinnen lebend beobachten können und bin mit einer reichen
Ausbeute zurück nach Salzburg gekommen. Hier erforschen wir die Merkmale der Zellen und der Gehäuse nach
Anwendung modernster Färbetechniken und unter Einbeziehung der im Elektronenmikroskop sichtbaren Ultrastruktur,
also der Feinstruktur. Ein Vergleich von Zelle und Gehäuse verschiedener Arten liefert uns Hinweise auf Verwandtschaftsverhältnisse
der Tintinnen ebenso wie die Stammbäume aus Gensequenzanalysen“, sagt Agatha.
Die enorme Bedeutung der Einzeller liegt in der sogenannten „mikrobiellen Schleife“ („microbial loop“). Damit bezeichnen
Biologen den Stoffkreislauf im Nahrungsnetz des Planktons, in dem gelöste organische Kohlenstoffverbindungen
von Bakterien aufgenommen werden, die neben einzelligen Algen Nahrung von zahlreichen Wimpertierchen, der Beute
kleiner Krebschen und Fischlarven sind. Ohne Wimpertierchen würde möglicherweise der microbial loop nicht
mehr funktionieren oder die Nahrungsnetze nicht mehr die Menge an Fischen und anderen Meeresfrüchten für
unsere Ernährung hervorbringen. Die Grundlage, um diese Zusammenhänge zu verstehen, ist die Benennung
der vorkommenden Arten, ihre Untersuchung und die Klärung ihrer Verwandtschaftsverhältnisse. Ziel unserer
Biodiversitätsforschung ist es letztlich, die Arten bekannt zu machen und zu schützen, auch im Hinblick
auf unsere Nahrungsgrundlagen“, sagt Sabine Agatha.
Im Oktober 2015 wurde der Biologin bereits zum vierten Mal ein FWF- Projekt bewilligt. 280.000 Euro stehen ihr
damit in den nächsten drei Jahren für die Analyse der Verwandtschaftsverhältnisse von planktischen
Wimpertierchen zur Verfügung.
Sabine Agatha studierte in Bonn Biologie und promovierte am Institut für Hydrobiologie und Fischereiwissenschaft
in Hamburg. Seit 1998 forscht sie an der Universität Salzburg. Ihr derzeitiger Forschungsschwerpunkt liegt
auf dem Gebiet der Taxonomie (Bestimmung und Beschreibung von Arten), Systematik und Evolution von marinen Planktonciliaten.
Thematisch tritt Agatha damit in die Fußstapfen des weltweit renommierten und inzwischen emeritierten Zoologen
Professor Wilhelm Foissner von der Universität Salzburg, der sich vorwiegend auf Ciliaten aus dem Süßwasser
und dem Boden konzentrierte. In Zukunft will sich Agatha allerdings auch diesen Lebensräumen zuwenden; zunächst
durch die Untersuchung von Süßwasser-Tintinnen.
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