Deutscher Politiker Gregor Gysi eröffnet Tagung im Rathaus: "Wäre Krieg in Wien,
würden wir auch fliehen"
Wien (rk) - Es ist die politische Causa prima der Gegenwart: Flucht, Migration, und deren Auswirkungen auf
Mitteleuropa. So hat sich auch der Wiener Kongress "com.sult" die Leitfrage zur "future of growth"
("Die Zukunft des Wachstums") gestellt. Der jährliche Kongress findet mittlerweile zum 13. Mal statt
und ist mit Spitzen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft besetzt. Beinahe traditionell wurde die Tagung am
Abend des 18.01. im Wappensaal des Wiener Rathauses eröffnet. Die Keynote hielt der deutsche Politiker Gregor
Gysi; Eröffnungsworte fand auch Vaclav Klaus, früherer Präsident der Tschechischen Republik.
Gysi, Abgeordneter zum deutschen Bundestag für die Partei "Die Linke", mahnte eine "sofortige
Bekämpfung der Fluchtursachen" im Nahen Osten ein. Dabei gelte es vor allem, ökonomische Hilfe zu
leisten: Die vom Westen geführten Kriege, etwa in Libyen und Irak, hätten die Lage nur verschlechtert.
Deutschland als drittgrößter Waffenexporteur der Welt "unterhöhle die Moral" des Staates,
mache er mit dem Krieg Geschäft. Der "Sog", den die tausenden Flüchtlinge auf die anderen Menschen
in ihren Herkunftsländern entwickelten, hänge auch mit der Digitalisierung zusammen. Gysi: "Menschen
in Afrika haben lange nicht gewusst, wie gut wir in Europa leben. Jetzt wissen sie es, und sie stellen Fragen."
Er erinnerte an die Geschichte vor 1990: Durch die Blockmächte UdSSR und USA habe "geordnete Weltpolitik"
geherrscht; nun fülle geopolitische Unordnung das Vakuum. Dazu käme wirtschaftliches Ungleichgewicht:
Die Zahl der Superreichen schrumpfe, jene der Armen wachse.
Vaclav Klaus nannte den Kongress com.sult als "Ort des Dialogs" in einer Zeit, wo sonst nur "Monologe"
zum Thema gehalten würden. Die "Migrationskrise" treffe Europa "ins Herz". Mit dem Wechselspiel
aus Angebot und Nachfrage hätten die Staaten Europas die Migrationsbewegungen selbst ausgelöst, meinte
Klaus.
Vor den Eröffnungsreden fand ein Kamingespräch statt, moderiert von Jan Zielonka, Politikwissenschaftler
an der University of Oxford (Großbritannien). Vertreter der tschechischen Präsidentschaftskanzlei und
des österreichischen Innenministeriums (BMI) diskutierten demografische, wirtschaftliche und kulturelle Auswirkungen
von Migration; nach einer Stunde des Diskurses schloss Zielonka mit dem Bonmot: "We are still confused, but
on a higher level".
Wiener Kongress "com.sult"
Die Tagung "com.sult" findet jährlich zu Jahresbeginn in Wien statt. SpitzenvertreterInnen aus
Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nehmen an Arbeitsgruppen sowie Diskussionsrunden teil. Nach der gestrigen
Eröffnung im Rathaus steigt das weitere Programm heute, Dienstag, im Haus der Industrie (3., Schwarzenbergplatz
4). Ihr Kommen angekündigt haben unter anderem Mohammed El Baradei, ehemaliger Chef der Internationalen Atomenergiebehörde
IAEA, und Mario Monti, früherer Ministerpräsident Italiens. Organisiert wird com.sult vom Wiener Unternehmer
David Ungar-Klein. Eine Neuauflage der Tagung im Jahr 2017 ist geplant.
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