Wien (pr&d) - Plasmazellen sind wichtige Akteure des Immunsystems. Wissenschaftler am Forschungsinstitut
für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien und am Walter and Eliza Hall Institute (WEHI) in Melbourne charakterisierten
einen zentralen Regulator der Plasmazell-Funktion. Die Erkenntnisse der beiden Teams wurden an 18.01. in zwei aufeinander
folgenden Studien im Journal Nature Immunology veröffentlicht.
Unsere Umgebung ist voll von schädlichen Mikroorganismen und Viren. Wir überleben diese täglichen
Angriffe nur dank unseres Immunsystems, das diese Eindringlinge auf vielfältige Art unschädlich machen
kann. Bei der Immunabwehr spielen die Plasmazellen eine zentrale Rolle, da sie Infektionen bekämpfen und langfristigen
Schutz vor Krankheitserregern vermitteln.
Plasmazellen sind weiße Blutkörperchen, die aus B-Zellen hervorgehen und die ausführenden Organe
der humoralen Immunantwort darstellen. Ihre Funktion ist die Produktion von Antikörpern, die in großer
Menge an das Blut abgegeben werden und somit schädliche Eindringlinge im ganzen Körper neutralisieren
können. Eine aktive Plasmazelle kann bis zu 10 000 Antikörpermoleküle in der Sekunde produzieren
und ins Blut einschleusen. Diese Höchstleistung ist sogar im Mikroskop sichtbar: die Zellen sind vollgepackt
mit Membran-umhüllten Bläschen (dem endoplasmatischen Retikulum), die für die Entstehung und Sekretion
der Antikörper verantwortlich sind.
Damit Plasmazellen entstehen, müssen B-Zellen durch körperfremde Stoffe (Antigene) aktiviert werden.
Die zunächst gebildeten Plasmablasten wandern in das Knochenmark und überdauern dort als äußerst
langlebige Plasmazellen viele Jahre bis Jahrzehnte. Auf diesem immunologischen Gedächtnis der Plasmazellen
beruht auch der anhaltende Schutz von Impfungen.
Zentrale Rolle von Blimp1 bei der Plasmazellenentwicklung
Wissenschaftler kennen die Entstehung und Aufgaben von Plasmazellen sehr genau und schon recht lange. Doch wie
diese Prozesse eingeleitet und reguliert werden, war im Detail bisher nicht bekannt. Ein Team um Meinrad Busslinger,
Senior Scientist und stellvertretender Direktor am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien,
fand nun einen wichtigen Schlüssel zur Funktion von Plasmazellen. In einem fünfjährigen Projekt
konnten die Forscher die Wirkungsweise des Faktors Blimp1 als zentralen Regulator der Plasmazellentwicklung entschlüsseln.
Das Wissenschaftsjournal Nature Immunology veröffentlicht heute die Ergebnisse des Wiener Teams sowie eine
zweite Arbeit australischer Forscher, deren Projekt zum Teil auf den Daten aus Wien aufbaut.
In detailreichen Studien an Mauszellen wurden am IMP alle Gene identifiziert, die an der Bildung von Plasmazellen
beteiligt sind. Die Autorin Martina Minnich, auf deren Doktorarbeit die Publikation beruht, beschreibt das Resultat:
"Wir fanden, dass mehr als die Hälfte dieser Gene von Blimp1 reguliert werden. Diesem Faktor kommt somit
eine zentrale Bedeutung zu. Erstmals konnten wir auch zeigen, dass Blimp1 Gene nicht nur ausschalten, sondern auch
einschalten kann. Dies ist eine wichtige Erkenntnis für das Verständnis der Plasmazellentwicklung."
Meinrad Busslinger fasst die Ergebnisse so zusammen: "Der Faktor Blimp1 kontrolliert die meisten der essenziellen
Funktionen von Plasmazellen. Er steuert unter anderem ihre Mobilität und Wanderung in das Knochenmark, die
enorme Vergrößerung des endoplasmatischen Retikulums und die Hochregulierung der Antikörperproduktion.
Ohne Blimp1 gibt es keine Antikörper-vermittelte Immunität."
Keine Antilkörper ohne Blimp1
Während Blimp1 für die Entstehung der Plasmazellen essenziell ist, überleben ausgereifte Plasmazellen
auch ohne diesen Faktor. Sie sind jedoch nicht funktionstüchtig, da sie ohne Blimp1 keine Antikörper
produzieren können. Dieses unerwartete Resultat ist das Ergebnis von Studien am Walter and Eliza Hall Institute
(WEHI) in Melbourne, Australien. Stephen Nutt, Hauptautor dieser zweiten Studie, arbeitete mit dem IMP-Team zusammen
und konnte somit bei seinem Projekt auf Daten aus Wien zugreifen.
Das Verständnis der vielfältigen Funktionen von Blimp1 ist nicht nur für die Immunabwehr, sondern
auch für andere medizinische Fragestellungen äußerst relevant. Mutationen im Blimp1-Gen können
etwa dazu führen, dass B-Zellen in ihrer Entwicklung blockiert werden und so zur Entstehung eines bösartigen
Tumors, des sogenannten Lymphoms, beitragen. Zudem kommt es nicht selten vor, dass sich normalerweise ruhende Plasmazellen
unkontrolliert vermehren und zu einem Plasmazell-Tumor oder multiplen Myelom entwickeln.
Ein weiterer Aspekt des Immunsystems, der medizinisch von höchster Bedeutung ist, sind die vielfältigen
Autoimmun-Erkrankungen. Schwere Schädigungen von Organen und Geweben, wie etwa beim systemischen Lupus erythematodes
(SLE), sind die Folge einer fehlgeleiteten Immunreaktion, bei der sich die Antikörper von Plasmazellen gegen
das eigene Gewebe richten.
Laut Meinrad Busslinger haben "die veröffentlichen Entdeckungen tiefen Einblick in das Innenleben der
Plasmazelle ermöglicht. Allerdings haben sie auch neue interessante Fragen aufgezeigt, denen wir in unserer
zukünftigen Forschung nachgehen werden."
Über das IMP
Das Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie betreibt in Wien biomedizinische Grundlagenforschung.
Hauptsponsor ist der internationale Unternehmensverband Boehringer Ingelheim. Mehr als 200 Forscherinnen und Forscher
aus über 30 Nationen widmen sich am IMP der Aufklärung grundlegender molekularer und zellulärer
Vorgänge, um komplexe biologische Phänomene im Detail zu verstehen. Die bearbeiteten Themen umfassen
die Gebiete der Zell- und Moleku¬larbiologie, Neurobiologie, Krankheitsentstehung sowie Bioinformatik. Das
IMP ist Gründungsmitglied des Vienna Biocenter, Österreichs Leuchtturm im internationalen Konzert molekularbiologischer
Top-Forschung.
|