Koalition kommt mit Abänderungsantrag KritikerInnen entgegen
Wien (pk) - Mehr als zwei Jahre lang wurde über das neue Staatsschutzgesetz verhandelt, am 27.01. hat
der Nationalrat einen Schlussstrich unter die Debatte gezogen. Nach einer eingehenden Diskussion und weiteren Adaptierungen
stimmten 91 Abgeordnete in der heutigen Sitzung für die neuen gesetzlichen Bestimmungen sowie begleitende
Änderungen im Sicherheitspolizeigesetz und stellten damit, bei 59 Gegenstimmen, eine solide Mehrheit sicher.
Bis zum Schluss hatten die Regierungsparteien versucht, auch die Opposition ins Boot zu holen, letztlich gingen
die Zugeständnisse FPÖ, Grünen, NEOS und Team Stronach jedoch nicht weit genug.
Grünen-Sicherheitssprecher Peter Pilz zeigte sich angesichts des heute von SPÖ und ÖVP vorgelegten
Abänderungsantrags dennoch über weite Strecken zufrieden. Mit den Nachbesserungen kam die Koalition den
KritikerInnen des Gesetzes noch in etlichen Punkten entgegen. Der Wunsch nach einer richterlichen Kontrolle sensibler
Ermittlungen wurde allerdings nicht erfüllt. FPÖ und Grüne erwägen daher eine Verfassungsklage.
Abgelehnt wurden vom Nationalrat eine von der FPÖ beantragte Rückverweisung des Gesetzentwurfs zur weiteren
Vorberatung an den Innenausschuss und mehrere Anträge der Opposition.
Deliktkatalog wurde abgespeckt, Rechtsschutz weiter verbessert
Hauptziel des neuen Polizeilichen Staatsschutzgesetzes und begleitenden Änderungen im Sicherheitspolizeigesetz
und im Telekommunikationsgesetz ( 763 d.B., 989 d.B.), die ebenfalls mehrheitlich beschlossen wurden, ist ein effektiver
Schutz vor terroristischen Bedrohungen. Neben der geplanten Neuorganisation des Staatsschutzes und dem Aufbau einer
umfangreichen Analysedatenbank sind in diesem Zusammenhang vor allem erweiterte Befugnisse der Ermittlungsbehörden
bei der Observierung verdächtiger Einzelpersonen vorgesehen. Außerdem soll es künftig möglich
sein, Vertrauensleute im Zuge von verdeckten Ermittlungen anzuwerben. Derzeit hätten die Behörden zu
wenig Möglichkeiten, bereits im Vorfeld von Straftaten aktiv zu werden, begründet das Innenministerium
die Initiative. Probeweise erlaubt wird auch das Tragen von Körperkameras durch PolizistInnen, zudem werden
die Möglichkeiten erweitert, Handy-Standortdaten zu ermitteln.
Mit dem heutigen S-V-Abänderungsantrag wurde unter anderem der Deliktkatalog, der dem Staatsschutz noch vor
einer Straftat die Observierung verdächtiger Personen erlaubt, in manchen Punkten abgespeckt. Herausgenommen
wurde etwa ein Gutteil der Verhetzungdelikte, der Straftatbestand der Herabwürdigung des Staates und seiner
Symbole sowie die Gutheißung von mit Strafe bedrohter Handlungen. Zudem ist bei manchen Delikten nunmehr
ein Vorsatz für den Einsatz sensibler Ermittlungsmethoden erforderlich. Damit habe man drohenden überschießenden
Überwachungen einen Riegel vorgeschoben, zeigte sich Pilz erfreut. Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser
bedauerte allerdings, dass der Staatsschutz bei befürchtetem "Landfriedensbruch" bzw. "schwerer
gemeinsamer Gewalt", wie der entsprechende Paragraph nach der Strafgesetzreform jetzt heißt, weiter
vorbeugend gegen etwaige Rädelsführer ermitteln kann.
Dezidiert festgeschrieben wurde mit dem Abänderungsantrag außerdem, dass der in der Strafprozessordnung
verankerte Schutz des Berufsgeheimnisses von AnwältInnen, JournalistInnen und anderen Berufsgruppen auch für
die Ermittlung personenbezogener Daten nach dem Staatsschutzgesetz gilt. Bei besonders sensiblen Ermittlungen ist
nun ausdrücklich eine – mehrheitliche – Senatsentscheidung durch den Rechtsschutzbeauftragten und seine beiden
StellvertreterInnen vorgesehen. Weitere Präzisierungen betreffen die Speicherung der Daten von Kontaktpersonen
oberservierter Verdächtiger, die Löschfristen protokollierter Daten, die Kontrollbefugnisse des Rechtsschutzbeauftragten
hinsichtlich der Analysedatenbank sowie die Befugnisse von Vertrauenspersonen. So wird etwa klargestellt, dass
V-Leute Wohnungen und andere vom Hausrecht geschützte Räume im Rahmen verdeckter Ermittlungen nur im
Einverständnis mit dem Inhaber betreten dürfen.
SPÖ und ÖVP sehen umfassenden Rechtsschutz gewährleistet
In der Debatte bedauerte ÖVP-Sicherheitssprecher Werner Amon, dass trotz intensiver Verhandlungen letztendlich
kein Konsens mit der Opposition erzielt werden konnte. In einem konstruktiven Dialog hätten aber viele Bedenken
ausgeräumt werden können, hob er hervor. Nach Meinung von Amon liegt ein ausgewogenes, wohl austariertes
Gesetz am Tisch, das den Behörden den Kampf gegen den Terrorismus erleichtere, ohne unverhältnismäßig
in Bürgerrechte einzugreifen.
Dass die Ermittlungen der Staatsschützer nicht von einem Richter, sondern vom Rechtsschutzbeauftragen des
Innenministeriums und seinen Stellvertretern kontrolliert werden, wurde sowohl von SPÖ-Sicherheitssprecher
Otto Pendl als auch von ÖVP-Abgeordneter Michaela Steinacker verteidigt. Man habe in diesem Bereich weitreichende
Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf vorgenommen, betonte Pendl und gab zu bedenken,
dass in Anbetracht der Gewaltenteilung eine richterliche Kontrolle mit der angestrebten starken parlamentarischen
Kontrolle unvereinbar wäre. Der Rechtsschutzbeauftragte im Innenministerium sei unabhängig und weisungsfrei
und habe sich bewährt, ergänzte Steinacker.
Steinacker versicherte darüber hinaus, dass mit dem neuen Staatsschutzgesetz keine Wiedereinführung der
Vorratsdatenspeicherung verbunden sei. Es komme zu keiner anlasslosen und flächendeckenden Speicherung von
Daten.
FPÖ und Grüne überlegen Klage beim Verfassungsgerichtshof
Kaum ein gutes Haar am Gesetzentwurf ließ FPÖ-Abgeordneter Gernot Darmann. Er äußerte zwar
Verständnis für das Anliegen der Sicherheitsbehörden nach mehr Befugnissen im Kampf gegen den Terror,
seiner Ansicht nach wird mit den vorliegenden Bestimmungen aber massiv in Grund- und Freiheitsrechte eingegriffen.
Man müsse sicherstellen, dass der Kern des Gesetzes die Terrorismusbekämpfung bleibe und dieses kein
Bürgerbespitzelungsgesetz werde, forderte Darmann weitere Verhandlungen im Innenausschuss. In diesem Zusammenhang
mahnte er auch die vollständige Herausnahme aller Meinungsdelikte aus dem Deliktkatalog und ein Höchstmaß
an Rechtsschutz für die Betroffenen ein. Darmann fürchtet, dass künftig auch RegierungskritikerInnen
am Stammtisch bespitzelt werden könnten und wollte eine Verfassungsklage nicht ausschließen.
Von Seiten der Koalitionsparteien wurde allerdings klar in Abrede gestellt, dass die neuen gesetzlichen Bestimmungen
auf eine Bespitzelung von BürgerInnen abzielten. Das sei keinesfalls intendiert, man werde nicht über
Kraut und Rüben Daten sammeln, bekräftigte Amon in Einklang mit seinem Fraktionskollegen Michael Hammer.
Auch SPÖ-Sicherheitssprecher Pendl bekräftigte, dass der Kampf gegen Terrorismus und Extremismus im Fokus
stehe.
Abseits des Gesetzes forderten Darmann und sein Fraktionskollege Günther Kumpitsch effektive Grenzkontrollen.
Diese seien Voraussetzung, um die Terrorgefahr besser von Österreich fernhalten zu können, betonte Kumpitsch.
Grünen-Sicherheitssprecher Peter Pilz stellte das Hauptziel des Gesetzes, die Bekämpfung des Terrorismus,
in den Vordergrund. Es gehe nicht darum, LeserbriefschreiberInnen, RegierungskritikerInnen, organisierte Fußballfans
oder TierschützerInnen zu verfolgen, unterstrich er und begrüßte in diesem Sinn die Durchforstung
des Deliktkatalogs und weitere Nachbesserungen im Gesetz.
Unzufrieden sind Pilz und sein Fraktionskollege Albert Steinhauser allerdings mit der fehlenden richterlichen Kontrolle.
Vor allem bei der Abfrage von Kommunikations-Verbindungsdaten hält Pilz eine solche für unabdingbar.
Er vermisst außerdem klare Regelungen, was die Datenweitergabe an ausländische Geheimdienste betrifft.
Pilz will das Gesetz daher gemeinsam mit der FPÖ beim Verfassungsgerichtshof anfechten. In einem nächsten
Schritt hält er es außerdem für notwendig, die parlamentarische Kontrolle des Staatsschutzes auszuweiten.
Team Stronach und NEOS für Ausbau der parlamentarischen Kontrolle
Eine stärkere parlamentarische Kontrolle des Staatsschutzes ist auch Team-Stronach-Abgeordnetem Christoph
Hagen ein wichtiges Anliegen. Er sieht in diesem Bereich das Schweizer Modell als Vorbild. Zum vorliegenden Gesetz
merkte Hagen an, es sei sicher notwendig, der Polizei mehr Befugnisse zur Terrorismusbekämpfung zu geben,
es seien aber noch nicht alle Fragen geklärt. In diesem Sinn unterstützte er den Rückverweisungsantrag
der FPÖ.
Namens der NEOS bekräftigte Abgeordneter Nikolaus Alm, dass seine Fraktion dem Gesetz an sich positiv gegenüber
stehe. Er kritisierte allerdings, dass die NEOS in die letzten Verhandlungen nicht eingebunden waren. Man habe
auch viel zu wenig Zeit gehabt, um den vorliegenden Abänderungsantrag bewerten zu können.
Alm ortet mehrere Gefahren im Gesetz. So könnte ihm zufolge ein nicht präzise genug definierter Deliktkatalog
dazu führen, dass zu viele Daten gesammelt werden. Damit drohe eine "Vorratssdatenspeicherung light".
Zudem vermisst er eine richterliche Kontrolle sensibler Ermittlungen. Alm unterstrich in diesem Zusammenhang die
Forderung der NEOS nach einer umfassenden Evaluierung der Polizeibefugnisse und die Erstellung einer "Überwachungsgesamtrechnung".
Zudem forderte auch er einen Ausbau der parlamentarischen Kontrolle.
Ein von Alm eingebrachter Abänderungsantrag fand bei der Abstimmung keine Mehrheit. Die NEOS wollten damit
unter anderem erreichen, dass das Delikt des Landfriedensbruchs aus dem Gesetz gestrichen wird. Außerdem
drängte Alm darauf, die Frist für die Aufbewahrung von Protokollaufzeichnungen an die jeweilige Speicherdauer
von Daten anzupassen.
Mikl-Leitner: Einsatz von V-Leuten hat sich bei Kriminalpolizei bewährt
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner unterstrich, dass beim neuen Staatsschutzgesetz die Sicherheit der Bevölkerung
im Vordergrund stehe. Es gelte, die ÖsterreicherInnen vor neuen terroristischen Bedrohungen zu schützen.
Dass es letztendlich doch nicht gelungen ist, einen breiten Konsens zu erzielen, führte sie darauf zurück,
dass auf Seiten der Opposition "ein Quäntchen an gutem Willen" gefehlt habe. Schließlich habe
man weitreichende Verbesserungen beim Rechtsschutz vorgenommen. Verteidigt wurde von Mikl-Leitner auch der Einsatz
von Vertrauensleuten, man habe im kriminalpolizeilichen Bereich gute Erfahrungen mit V-Leuten gemacht.
Ausdrücklich hinter das Gesetz stellten sich auch die Abgeordneten Hannes Fazekas (S), Jürgen Schabhüttl
(S), Nurten Yilmaz (S), Nikolaus Prinz (V), Wolfgang Gerstl und Anton Heinzl (S), auch wenn Heinzl mit Verweis
auf die Bedeutung des Schutzes der Privatsphäre von einer schmalen Gratwanderung sprach. Nach Ansicht von
Prinz sind es fadenscheinige Gründe, die die Opposition dazu bewegen, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Gerstl
wies insbesondere auf die künftige Möglichkeit von PolizeibeamtInnen hin, Körperkameras zu tragen.
Das trage zu mehr Rechtssicherheit bei. Fazekas hob nicht zuletzt die Bedeutung von sozialer Sicherheit und Bildungsgerechtigkeit
für die Terrorprävention hervor.
Verständnis für die Forderung nach neuen Ermittlungsbefugnissen äußerten die ehemaligen FPÖ-Abgeordneten
Rupert Doppler und Gerhard Schmid (beide o.F.). Sie hinterfragten aber die Datenweitergabe an ausländische
Geheimdienste. Mit sensiblen Daten müsse sorgfältig umgegangen werden, mahnte Doppler. Schmid warnte
außerdem vor einer Art Spitzeldienst durch die Anwerbung von InformantInnen.
Opposition fordert Evaluierung der Polizeibefugnisse
Mitverhandelt mit dem neuen Staatsschutzgesetz wurden ein Antrag der FPÖ und zwei Anträge der NEOS (
1195/A(E), 1413/A(E)), die bei der Abstimmung jedoch keine Mehrheit fanden. Der Opposition wäre es insbesondere
darum gegangen, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden zu evaluieren und "grundrechtsschonenden Aufklärungsmethoden"
Vorrang vor überbordenden Überwachungsmaßnahmen zu geben. Alle Befugnisse, die sich nicht als notwendig
erweisen oder unverhältnismäßig sind, sollten aufgehoben werden. Die NEOS wenden sich außerdem
gegen eine Wiederbelebung der Vorratsdatenspeicherung.
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