Jülicher Fusionsforscher entwickeln Diagnostiken und Simulationsmethoden
Greifswald/Jülich (fz) - In einem Festakt hat Bundeskanzlerin Angela Merkel heute das erste Wasserstoff-Plasma
an Wendelstein 7-X eingeschaltet. Damit startet zehn Jahre nach dem Beginn der Montage der wissenschaftliche Experimentierbetrieb
an der weltweit größten Fusionsanlage vom Typ Stellarator, die am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik
in Greifswald steht. Das Forschungszentrum Jülich – von Beginn an maßgeblich an dem Projekt beteiligt
– setzt nun seine wissenschaftliche Arbeit mit der Erforschung der Plasma-Wand-Wechselwirkung fort.
Um Energie aus Fusion zu gewinnen, benötigt man ein 100 Millionen Grad heißes Plasma. Starke Magnetfelder
sollen die Gefäßwände der Fusionsanlage vor direktem Kontakt mit dem heißen Plasma schützen,
doch ganz sind Wechselwirkungen nicht vermeidbar. Energiereiche Teilchen können dem magnetischen Einschluss
entkommen und auf die umgebenden Wände des Reaktors prallen. Die hohen Ionen- und Elektronen-Flüsse können
nicht nur zu starker Wärmebelastung führen, sondern auch zu einer deutlichen Erosion der Reaktorwand.
Es ist deshalb essenziell für den erfolgreichen Betrieb künftiger Fusionsanlagen, genau zu verstehen,
wie das Plasma mit der Wand interagiert.
Supraleitender "Kabelbaum"
Die Wissenschaftler des Jülicher Instituts für Energie- und Klimaforschung, Bereich Plasmaphysik (IEK-4)
waren schon am Bau von Wendelstein 7-X wesentlich beteiligt. Mit jahrzehntelangen Erfahrungen aus dem eigenen Fusionsexperiment
TEXTOR (Tokamak EXperiment for Technology Oriented Research) entwickelten sie ein System von elektrischen Versorgungsleitungen.
Insgesamt 140 supraleitende elektrische Verbindungelemente – sogenannte Bus Bars – leiten widerstandslos Strom
und versorgen die komplex geformten Spulen der Fusionsanlage, die das schützende Magnetfeld erzeugen. Die
speziellen Stromkabel transportieren bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt bis zu 20.000 Ampere, und halten
dauerhaft Spannungen von bis zu 13.000 Volt aus. Das Bussystem wurde in einer speziell dafür gebauten rechnergesteuerten
Produktionsstraße hergestellt, und an einem Teilmodell von Wendelstein 7-X unter realistischen Bedingungen
getestet.
Spektroskopie und Simulationen
Seit dreißig Jahren beschäftigen sich Jülicher Plasmaforscher mit der sogenannten Plasma-Wand-Wechselwirkung.
Für die Untersuchung der zugrunde liegenden Physik entwickelten sie eine Reihe spezieller Systeme zur Spektroskopie
und Mikrowellenmessung. Laserinduzierte Ablations-spektroskopie nennt sich eine Messmethode mit der die Gefäßwand
der Anlage während des laufenden Betriebs untersucht wird. Dabei wird mithilfe eines Lasers an einer kleinen
Stelle Material abgetragen – nur einige hundert Atome – und zum Leuchten gebracht. Dieses Licht wird gemessen und
verrät damit die Eigenschaften des Wandmaterials.
Dieses und andere Messverfahren wurde von den Jülicher Plasmaforschern bereits an anderen Fusionsexperimenten
– unter anderem an TEXTOR und der Tokamak-Versuchsanlage JET (Joint European Torus) im britischen Culham – erprobt
und verfeinert. An Wendelstein 7-X finden seit Dezember letzten Jahres Experimente mit dem leichter zu erzeugenden
Heliumplasma statt. In diesen wurden Jülicher Messsysteme getestet, die jetzt für das Wasserstoffplasma
eingesetzt werden.
Um zuverlässige Berechnungen und Vorhersagen möglich zu machen, ist zusätzlich eine genaue theoretische
Beschreibung des Systems aus Plasma und Reaktorwand nötig. Dies ist ein wesentliches Ziel der theoretischen
Fusionsphysik, dem sich die Jülicher Forscher durch rechnergestützte Simulationen des Plasmas annähern.
Dazu werden unter anderem einzelne Teilchenbahnen betrachtet, und deren Eigenschaften statistisch gemittelt. Dieses
Verfahren wird mit speziell dafür geschriebenen Computercodes realisiert, deren erste Versionen bereits in
den achtziger Jahren von Spezialisten des IEK-4 entwickelt wurden.
Wendelstein 7-X ist nicht darauf angelegt, Energie zu gewinnen. Dieses wird erst ein für Mitte des Jahrhunderts
gemeinsam mit den europäischen Partnern angestrebter Testreaktor erfüllen. Ziel der Forscher ist zunächst,
die Dauer der Plasmaentladungen zu verlängern und – eine Spezialität des Stellarators – möglichst
kontinuierlich aufrechtzuerhalten.
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