Bundesrat diskutiert über Obergrenzen, EU-Solidarität und Herausforderungen für
die Kommunen
Wien (pk) - Eine intensive Debatte über mögliche Antworten auf die aktuelle Flüchtlingskrise
stand am 11.02. zu Beginn der Sitzung des Bundesrats. Im Rahmen einer Aktuellen Stunde stellte Bundeskanzler Werner
Faymann klar, dass sich die Regierung mit aller Kraft für eine gemeinsame europäische Lösung einsetze.
Solange es diese aber nicht gebe, müsse er als politisch Verantwortlicher auf nationaler Ebene alle notwendigen
Schritte einleiten, um für Notsituationen gerüstet zu sein. Während SPÖ- und ÖVP-VertreterInnen
die Linie der Bundesregierung grundsätzlich unterstützten, warnten die Freiheitlichen vor den negativen
Auswirkungen der Massenzuwanderung. Die Grünen wiederum plädierten für einen menschlichen und konstruktiven
Zugang in der Flüchtlingskrise; Obergrenzen und Zäune seien keine Lösungen.
Faymann: Österreichs Hilfsbereitschaft ist vorbildlich in Europa
Österreich könne stolz darauf sein, dass es im letzten Jahr vielen Menschen, die an der Grenze gestanden
sind und dringend Nahrung und medizinische Versorgung gebraucht haben geholfen hat, betonte einleitend Bundeskanzler
Werner Faymann. Er habe jedoch frühzeitig darauf hingewiesen, dass europäische Solidarität gefordert
ist und nicht drei Länder alleine sich um alle Kriegsflüchtlinge kümmern können. Im Vorjahr
konnten ca. 90.000 Menschen in Österreich einen Asylantrag einbringen, was etwas mehr als einem Prozent der
heimischen Bevölkerung entspricht. Die Bundesregierung hat sich entschlossen, in den nächsten vier Jahren
insgesamt weitere 1,5 % an Flüchtlingen aufzunehmen. Damit verbunden sind faire Verfahren sowie umfassende
Integrationsbemühungen, die vom Kindergarten bis zum Wohnungsangebot reichen. Würde das die EU in allen
Staaten auch nur annähernd umsetzen, dann könnten in den nächsten fünf Jahren 12,5 Millionen
Menschen aufgenommen werden. Dies sei realisierbar, unterstrich Faymann, aber Österreich alleine könne
das nicht schaffen.
Was seinen Vorschlag betrifft, im Mittelmeer aufgegriffene Asylwerber wieder in die Türkei zurückzuführen,
so gehe es primär darum, den illegalen Fluchtweg zu unterbinden, erläuterte Faymann. In der Folge könnte
dann eine geordnete Einreise in die EU für ein gewisses Kontingent an Kriegsflüchtlingen in Aussicht
gestellt werden. Allerdings könne er nicht versprechen, dass die Türkei dies auch umsetzen will, räumte
der Kanzler ein. In der Zwischenzeit habe die Politik jedoch die Verantwortung, in enger Zusammenarbeit mit den
Nachbarstaaten auf der Balkanroute alle etwaigen technischen, organisatorischen und personellen Vorkehrungen zu
treffen, um für schwierige Situationen gewappnet zu sein. Er präferiere natürlich eine gemeinsame
europäische Lösung, für die sich die ganze Regierung intensiv einsetze, unterstrich Faymann, aber
diese müsse erst auf demokratische Weise mit allen Mitgliedstaaten ausverhandelt werden.
SPÖ: Große Herausforderungen, aber Menschenrechte sind unteilbar
Er unterstütze die Linie des Bundeskanzlers in der Asylkrise voll und ganz, erklärte der steirische SPÖ-Vertreter
Mario Lindner, allerdings mit einer Ausnahme. Lindner bezweifelte nämlich, dass die Einführung von Obergrenzen
eine sinnvolle Lösung darstelle. Absolut richtig seien jedoch die Forderungen nach der Einrichtung von Hotspots
an den Grenzen sowie nach der Realisierung einer europaweiten Quote, da es nicht sein könne, dass Österreich,
Deutschland und Schweden die Hauptlast tragen. Jene Länder, die ihre Verantwortung nicht übernehmen wollen,
sollten auch mit Sanktionen rechnen müssen. Inge Posch-Gruska (S/B) sprach vor allem die Herausforderungen
für die Gemeinden an, die einen Großteil der Integrationsarbeit leisten müssen. Statt politischer
Hetze und Diskussionen über Kürzungen bei der Mindestsicherung sollte man sich darauf konzentrieren,
wie den Menschen, die nach Österreich kommen, am besten geholfen werden kann.
Äußerst besorgt zeigte sich Lindner (S/St) darüber, dass man in den sozialen Medien immer öfters
Nazi-Diktion finde und Menschen wieder unverblümt dafür eintreten, Mauthausen zu öffnen. Manche
schlagen auch vor, dass Adolf Hitler für drei Monate wiederkommen soll, um die aktuellen Probleme zu lösen.
Minister Wolfgang Brandstetter habe zwar eine gute Reform des Verhetzungsparagraphen eingeleitet, diese müsse
nun aber auch konsequent umgesetzt werden. Der Bundesrat forderte daher, dass die Staatsanwaltschaften dem Ministerium
über sämtliche Verbotsfälle laufend berichten müssen und auch die Öffentlichkeit ausreichend
informiert wird. Abschließend erinnerte Lindner an ein Brecht-Zitat: "Wo Unrecht zu Recht wird, wird
Widerstand zur Pflicht".
ÖVP unterstützt Anstrengungen der Regierung und fordert mehr Solidarität in der EU
Bundesrat Edgar Mayer (V/V) zollte der Bundesregierung Anerkennung dafür, dass sie auf den verschiedensten
Ebenen ernsthaft bemüht sei, die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen. Ebenso wie seine Vorredner
war er überzeugt davon, dass es mehr Solidarität innerhalb der EU-Staaten geben müsse und man diese
auch immer wieder einfordern soll. Ein gutes Signal diesbezüglich sei der Brief von Finanzminister Schelling
an die Kommission, wo deutlich ausgeführt wurde, dass den "willigen Ländern" mehr Geld zur
Verfügung gestellt werden muss. Bundeskanzler Faymann wiederum habe sich auf der Londoner Syrien-Konferenz
dafür eingesetzt, dass die im Mittelmeer aufgegriffenen Flüchtlinge direkt in die Türkei zurückgeschickt
werden sollen und Frontex somit zu einem echten Grenzschutzprogramm ausgebaut wird. Einen wichtigen Beitrag leiste
auch Außenminister Kurz, der derzeit gerade die Westbalkan-Staaten besucht und gemeinsame Lösungen vor
allem mit Serbien und Mazedonien herbeiführen will. Sehr positiv beurteilte Ferdinand Tiefnig (V/O) das neue
Grenzmanagement, das auf einer intensiven und guten Zusammenarbeit zwischen Innen- und Verteidigungsressort basiere.
FPÖ: Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen und Heimat Österreich schützen
Die mit der Aussage "Wir schaffen es" verbundene Einladung der deutschen Bundeskanzlerin Merkel, die
auch von Faymann mitgetragen wurde, war sicherlich gut gemeint, habe aber enorme Probleme verursacht, zeigte der
freiheitliche Bundesrat Gerhard Dörfler (F/K) auf. Österreich weise schon jetzt eine Rekordarbeitslosigkeit
auf, was durch den Zustrom von Flüchtlingen noch verschärft werde. Wer den Menschen aber keine Arbeit
geben kann, der schafft auch keine Integration, warnte Dörfler. Die Tatsache, dass hunderttausende Menschen
ohne Kontrollen die Grenzen passieren, hat natürlich auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Europa,
wie zahlreiche furchtbare Vorfälle belegen. Die Politik müsse endlich verhindern, dass Straftäter
ungehindert durch Europa reisen und dann – wie leider in Wien passiert – Kinder vergewaltigen. Es sei daher kein
Wunder, dass sich sehr viele Menschen berechtigte Sorgen machen; dies habe auch gar nichts mit Ausländerfeindlichkeit
zu tun, betonte Dörfler. Solange es keine Solidarität innerhalb der EU gibt, müsse man alles dafür
tun, dass die Sicherheit, das Sozialsystem und der Arbeitsmarkt in Österreich geschützt werden, appellierte
er an die Bundesregierung. Dass dies derzeit nicht gewährleistet sei, belegen tägliche Negativberichte
in den Medien, wo von Sexualübergriffen, Gewaltexzessen, Kriminalität oder Asylbetrug die Rede sei, beklagte
sein Fraktionskollege Hans-Jörg Jenewein (F/W.) Da Bundeskanzler Faymann dafür hauptverantwortlich sei,
sollte er endlich zurücktreten.
Grüne für konstruktive und menschliche Lösungen in der Flüchtlingskrise
David Stögmüller (G/O) plädierte für konstruktive und menschliche Lösungen in der Flüchtlingskrise.
Nicht nachvollziehen könne er den Meinungsschwenk von Bundeskanzler Faymann, der die Politik von Premierminister
Orban noch vor einigen Monaten kritisiert habe, jetzt aber selbst die Grenzen dicht machen wolle. Absolut unmenschlich
sei auch der Vorschlag, wonach die von Frontex aufgegriffenen Flüchtlinge in der Ägäis sofort wieder
in die Türkei zurückgeschickt werden sollen. An den Beifallsbekundungen von Seiten der Freiheitlichen
könne man erkennen man, dass es nicht mehr viele Unterschiede zwischen den Positionen der Regierung und der
FPÖ gibt, beklagte Stögmüller. Auch wenn Europa mit großen Herausforderungen konfrontiert
ist, müsse sichergestellt sein, dass Schutz vor Verfolgung ein Menschenrecht ist und für alle zu gelten
hat.
Längst überfällig sei seiner Meinung nach die Einrichtung von Hotspots an den EU-Außengrenzen,
damit nicht mehr so viele Menschen ihr Leben auf der Flucht riskieren und Schleppern viel Geld zahlen müssen.
Auch Außenminister Kurz sei gefordert, endlich Rückabnahmekommen mit jenen Ländern auszuverhandeln,
die sich weigern, abgelehnte AsylwerberInnen wieder zurückzunehmen. Ewa Dziedzic (G/W) setzte sich vor allem
für schutzsuchende Frauen ein, deren Bedürfnisse (Zugang zu medizinischer und psychologischer Betreuung,
Unterbringungssituation, Familienzusammenführung etc.) ausreichend berücksichtigt werden sollten. Nicht
vergessen sollte man in diesem Zusammenhang, dass jede dritte Frau in Europa von Gewalt betroffen ist und die Frauenhäuser
bereits jetzt überfüllt sind.
Es gehört zu den elementarsten Rechten eines Staates, darüber zu bestimmen, wer in das Land hineingelassen
wird und wer nicht, unterstrich der fraktionslose Bundesrat Gerald Zelina (A/N). EU-Asylquoten wären seiner
Meinung nach nur dann legitim, wenn die Union ein eigener Staat wäre; dies sei aber nicht der Fall. Zwangszuteilungen
von Flüchtlingen ohne Volksbefragung und gegen den Willen der Bevölkerung sind diktatorisch und finden
deswegen keine Akzeptanz in Europa, war Zelina überzeugt. Er verlange daher von der Bundesregierung eine Politik
im Interesse Österreichs und nicht des Auslands. Für Kriegsflüchtlinge sollten ausschließlich
die unmittelbaren Nachbarländer zuständig sein. Dies sei auch aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll,
da um 90 Prozent weniger kostet, die Flüchtlinge vor Ort zu versorgen als in Europa aufzunehmen.
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