Asylfragen aus Sicht von Bundeskanzler Faymann und Kanzleramtsminister Ostermayer zentral im
aktuellen EU-Arbeitsprogramm
Wien (pk) - Das Flüchtlingsthema wird 2016 die Politik der Europäischen Union in so gut wie allen
Bereichen dominieren. Deutlich zeigt das einmal mehr das heurige Arbeitsprogramm von Europäischer Kommission
und Europäischem Rat, über das Bundeskanzler Werner Faymann und Kanzleramtsminister Josef Ostermayer
in Bezug auf ihre Zuständigkeiten berichten ( III-234 d.B.). Vorangetrieben werden sollen nicht nur die Arbeiten
an einem verbesserten Schutz der EU-Außengrenzen, sondern auch jene an einem Neuansiedlungsprogramm von Flüchtlingen
in den EU-Mitgliedstaaten. Ein Paket zum besseren Migrationsmanagement kündigt die Kommission für März
an.
Der Jahreswachstumsbericht zur EU-Haushaltspolitik 2016 zeigt in Verbindung mit der Asylfrage Chancen und Herausforderungen
für den Arbeitsmarkt der Union auf. Abgesehen davon gewinnen dem Bundeskanzleramt (BKA) zufolge in der wirtschaftspolitischen
Steuerung der Europäischen Union sozial- und beschäftigungspolitische Aspekte zunehmend an Bedeutung.
Die Pläne zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion umfassen dementsprechend auch Überlegungen
zu einem europaweiten Arbeitnehmerschutz, der nationale Regelungen ergänzen soll. Weiterhin aufrecht bleiben
allerdings die bestehenden Wachstumsprioritäten: Investitionsoffensive, Umsetzung von Strukturreformen und
verantwortungsvolle Haushaltspolitik.
Die europäische Integration bleibt jedoch besonders im Sozialbereich umstritten, wie die Diskussion über
Sozialleistungen an EU-BürgerInnen in Großbritannien zeigt, das davon letztlich seinen Verbleib in der
Staatengemeinschaft abhängig macht. Konsensualer geben sich die Mitgliedstaaten vorerst in der Bekämpfung
des Klimawandels. Der Europäische Rat ersuchte die Kommission, Vorschläge zu erstellen, wie von der EU
die Begrenzung der Erderwärmung auf weniger als 2 Grad Celsius unterstützt wird. Im Rahmen der Klima-
und Energiepolitik bis 2030 soll damit das aktuelle UN-Klimaschutzabkommen Beachtung finden. In den Kulturagenden
der EU nimmt die Digitalisierung des europäischen Kulturerbes breiten Raum ein, was wiederum der Umsetzung
des digitalen Binnenmarkts nützen soll. Vor dem Hintergrund aktueller Konflikte weltweit sind Erhebungen zum
illegalen Handel mit Kulturgütern aus Kriegsregionen angedacht.
Ratstagungen kreisen um Flüchtlingsfrage
Bei allen geplanten Treffen der Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat hat die Asylpolitik oberste
Priorität. Im Bericht des Bundeskanzleramts heißt es, die Tagung am 18. und 19. Februar werde sich mit
den Fortschritten der Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise auseinandersetzen, die seit
Dezember 2015 laufen. Dazu zählen unter anderem die Sicherstellung einer rechtskonformen Flüchtlingsregistrierung
in Hotspots an den EU-Außengrenzen sowie Entscheidungen zur Rückführung Asylwerbender in die Herkunftsländer
und zur Um- bzw. Neuansiedlung von Flüchtlingen in der EU. Unter niederländischem Ratsvorsitz soll eine
Einigung auf ein europäisches Grenz- und Küstenschutzsystem erzielt werden. Von der EU-Kommission erwartet
der Europäische Rat eine Analyse des Dublin-Systems für Asylverfahren, bis zur Ratstagung am 17. und
18. März soll ein Kommissionspapier zum besseren Migrationsmanagement vorliegen. Eine globale EU-Strategie
für die Außen- und Sicherheitspolitik wird beim Europäischen Rat am 23. und 24. Juni angepeilt.
Weitere Schwerpunkte des Märztreffens sind die Auswirkungen des UN- Klimaschutzabkommens von Paris auf die
EU-Klimapolitik und die Bemühungen um einen vertieften und faireren Binnenmarkt für Waren und Dienstleistungen.
Zur Ankurbelung von Investitionen werden als zentrale Initiativen die Digitalisierung und die Realisierung der
Kapitalmarktunion genannt. Beim Juni-Gipfel wollen die EU-Staats- und Regierungschefs übereinkommen, in welche
Reformen die für Mai 2016 erwarteten und auf Ministerebene diskutierten länderspezifischen Empfehlungen
der EU-Kommission zur Haushaltsplanung in den Mitgliedstaaten münden sollen. Ziel dabei ist, gemäß
der politischen Leitlinien von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker neue Impulse für Arbeitsplätze
und Wirtschaftswachstum zu geben. In Verbindung mit der wirtschaftspolitischen Koordinierung begrüßen
Faymann und Ostermayer die Einbeziehung sozialpolitischer Themen, wollen aber diesbezügliche Governancefragen
noch weiter behandelt wissen. In finanzpolitischer Hinsicht soll es im Juni einen Ratsbeschluss über einen
Fahrplan zum Kommissionsvorschlag für ein Europäisches Einlagensicherungssystem von Spareinlagen geben.
Sicher scheint schon jetzt, dass bei den Ratstreffen im Oktober und Dezember erneut die Asylpolitik brennendes
Debattenthema sein wird, genauso wie der Kampf gegen Terrorismus, die Vollendung des Binnenmarkts und der Energieunion
sowie die Klimapolitik. Bis Ende des Jahres soll die Evaluierung des mehrjährigen Finanzrahmens durch die
Kommission erfolgt sein, mit Bedacht auf die makroökonomische Situation der EU.
Präsidenten zeigen Weg zu echter Wirtschafts- und Währungsunion
Aufbauend auf einem 2015 vorgelegten Bericht der Präsidenten Jean-Claude Juncker (Europäische Kommission),
Donald Tusk (Euro-Gipfel), Jeroen Dijsselbloem (Eurogruppe), Mario Draghi (Europäische Zentralbank) und Martin
Schulz (Europäisches Parlament) zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) befasst sich
der Europäische Rat heuer weiter mit der Reform der wirtschafts- und finanzpolitischen Steuerung, um unter
anderem die Bankenunion zu vervollständigen. Auf Basis bestehender Verträge sollen in einem ersten Schritt
Maßnahmen wie die Neugestaltung des Europäischen Semesters in der Haushaltsplanung bis 2017 realisiert
werden. Weitere Maßnahmen zur engeren Zusammenarbeit im Euroraum bedürfen nach Dafürhalten des
Kanzleramts jedenfalls noch intensiver Diskussionen. Skeptisch steht Österreich beispielsweise der Idee gegenüber,
angedachten EU-Ausschüssen für Wettbewerbsfähigkeit direkte Mitwirkungsrechte bei der heimischen
Wettbewerbspolitik zu geben, was auch die Lohnverhandlungen der Sozialpartner betreffen würde.
Angeregt wird im Fünfpräsidentenbericht überdies eine Stärkung der EU-Institutionen zur Erhöhung
ihrer demokratischen Rechenschaftspflicht und Legitimität. Auf dieser Grundlage wird die Verwirklichung einer
vertieften, echten und fairen WWU bis 2025 angestrebt. Sollten dabei umfassende Vertragsänderungen notwendig
werden, verlangt die österreichische Regierungsspitze einen Konvent.
Die Kohäsionspolitik zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts wird 2016 weitergeführt.
Mit der Förderung nationaler und regionaler Programme will die EU Investitionen für mehr Wachstum und
zur Schaffung von Arbeitsplätzen ankurbeln. Das Investitionsvolumen beträgt laut BKA-Bericht rund 325
Mrd. €. Schwerpunkt im Aktionsplan ist dieses Jahr die Vereinfachung der Förderabwicklung, nachdem der Prozess
zur Genehmigung der Projekte im Rahmen der Europa 2020-Strategie 2015 abgeschlossen worden ist.
Großbritannien stellt EU-Grundwerte auf die Probe
Die Forderungen des Vereinigten Königreichs zur Neuverhandlung seiner Mitgliedschaft in der Europäischen
Union werden mit Sicherheit bei den Ratstreffen Anlass für kontroverse Diskussionen geben. Bis spätestens
2017 will ja Großbritannien ein Referendum über den Austritt aus der EU abhalten. Österreich trägt
laut Bundeskanzler Faymann die Reformforderungen nur dann mit, wenn die Grundprinzipien der europäischen Integration
gewahrt bleiben. Als heikelster Punkt stellt sich dabei eine mögliche Einschränkung der Freizügigkeit
dar, falls die britische Regierung ihren Plan, Zuwanderern erst nach vier Jahren Erwerbstätigkeit Sozialleistungen
zuzuerkennen, durchsetzt. Mehr Verhandlungsspielraum gibt es wahrscheinlich bei der Neuorganisation der Beziehung
von Euro- und Nicht-Euro-Staaten zum Rechtsschutz Letzterer, bei der Stärkung nationalstaatlicher Parlamente
sowie der Wettbewerbsfähigkeit. Wettbewerbsfördernd soll zum einen die Entlastung von Unternehmen durch
eine verbesserte Rechtsetzung wirken, zum anderen wird hierbei auf die Bedeutung von Handelsabkommen verwiesen.
Schwierig gestalten sich die Verhandlungen über einen Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention
(EMRK), zu dem sie sich vertraglich verpflichtet hat. Aus einem jüngsten Gutachten des Europäischen Gerichtshofs
geht hervor, dass ein diesbezügliches Übereinkommen mit dem Europarat dem Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte, dem Hüter der EMRK, vielfach Vorrechte geben würde, die die Autonomie des Unionsrechts
zu beeinträchtigen drohen. Sensible Punkte sind demnach der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens der EU-Länder
und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, weswegen diese Bereiche vorerst ausgespart bleiben. Ungeachtet
dessen strebt man an, die Inhalte des Übereinkommensentwurfs an die Erkenntnisse des EuGH anzupassen.
Zu den Grundwerten der EU gehört nicht zuletzt die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit, die im Zeitalter der
Digitalisierung gerade hinsichtlich Meinungsfreiheit, Interne Governance, Datenschutz und Cybersicherheit mit neuen
Herausforderungen konfrontiert ist. Die kommenden Sitzungen des zuständigen Rats Allgemeine Angelegenheiten
befassen sich mit diesen Punkten, wie das Bundeskanzleramt hervorhebt und in diesem Zusammenhang vorschlägt,
die Grundrechteagentur einzubinden.
Datenschutz-Vorschläge verließen Rat ohne Zustimmung Österreichs
Der Sicherstellung und Beibehaltung eines hohen Datenschutzniveaus in Österreich verschrieben haben sich Bundeskanzler
Faymann und Bundesminister Ostermayer auch bei den vergangenen Verhandlungen auf EU-Ebene zum anvisierten Datenschutzpaket.
Den Vorschlag für eine neue Datenschutz-Grundverordnung lehnte Österreich aufgrund von Bedenken, das
bestehende Schutzniveau werde damit eingeschränkt, ab. Der gleichzeitig verhandelte Entwurf für eine
neue Datenschutz-Richtlinie entsprach ebenfalls nicht den Vorstellungen der heimischen Verhandlungsteilnehmer,
weswegen sie sich der Stimme enthielten. Noch zur Debatte steht derzeit ein Datenschutz-Abkommen mit den USA, das
die Weitergabe personenbezogener Daten für Strafverfolgungszwecke ermöglicht. Berücksichtigt wird
dabei das EuGH-Urteil gegen das Safe Harbor-"Zertifizierungsprogramm". Dieses zwischen EU und USA vereinbarte
Programm hätte ohne behördliche Genehmigung ermöglicht, dass personenbezogene Daten von europäischen
Firmen an US-amerikanische Unternehmen weitergegeben werden. In den Neufassungen der datenschutzrechtlichen Übereinkünfte
mit Washington soll nun auch das Recht natürlicher Personen auf gerichtliche Überprüfung enthalten
sein.
Kulturerbe-Digitalisierung braucht Finanzierungssicherheit
Die Digitalisierung von europäischem Kulturerbe in Verbindung mit der digitalen Bibliothek "Europeana"
gehört zu den kulturpolitischen Vorhaben, die der niederländische und der slowakische Ratsvorsitz angekündigt
haben. Neu ist das Bestreben, Kultur und Wissen auf digitalem Weg einer breiten Öffentlichkeit zugänglich
zu machen, nicht: dem BKA-Bericht zufolge begann die EU schon vor 15 Jahren, Überlegungen in diese Richtung
anzustellen. Hürden, die eine vollständige Implementierung der Europeana bislang verhindert haben, sind
nicht nur ihre mangelnde Sichtbarkeit, sondern auch urheberrechtliche Beschränkungen und natürlich die
angespannte Finanzierungssituation. Für Österreich ist klar, dass die Finanzierung der Infrastruktur
vorwiegend durch die EU zu erfolgen hat, während die Mitgliedstaaten für die Digitalisierung ihres nationalstaatlichen
Kulturerbes verantwortlich zeichnen. Vor allem die Niederlande drängen auf eine Klärung der Zukunft von
Europeana, weil sie nach der EU zweitgrößter Fördergeber dieses Projekts sind, das wiederum in
der niederländischen Nationalbibliothek verortet ist.
Der EU-Arbeitsplan Kultur sieht zudem zwei neue Expertengruppen vor, die sich den Themen "Innovationspotential
des Kultursektors" sowie "Kultur und Flüchtlinge" widmen. Von der Kommission soll es eine Mitteilung
zur Kulturdiplomatie in den EU-Außenbeziehungen geben, ebenso wie eine Studie über den unrechtmäßigen
Handel mit künstlerisch oder archäologisch wertvollen Werken aus Kriegsregionen.
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